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Ausgabe:

1956 Nr. 10

Spalte:

616-620

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Jahrbuch der Österreichischen Byzantinischen Gesellschaft ; 2.1952 1956

Rezensent:

Irmscher, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 10

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Gewiß wird die katholische Theologie noch anderes zur Auseinandersetzung
mit dem Marxismus herzutragen.

Rostock Q- Holtz

L a s a u I x, Ernst von: Neuer Versuch einer alten, auf die Wahrheit
der Tatsachen gegründeten Philosophie der Geschichte. Hrsg. und
eingel. von Eugen T h u r n h e r. München: Oldenbourg 1952. 180 S.
8°. DM 9.80.

Lasaulx (französisiert aus van der Weyden) wurde am
16.3.1805 in Koblenz geboren, studierte in Bonn (Niebuhr,
Welcker, Aug. Wilhelm Schlegel) und München (Görres, Sendling,
Baader) klassische Sprachen, Literatur und Geschichte. Er wurde
nach einer längeren Studienreise durch Italien, Griechenland, Türkei
und Palästina im Frühsommer 1835 Professor für klassische
Philosophie und Ästhetik in Bonn und heiratete bald darauf die
Tochter von Franz von Baader (Julie). 1844 wurde er nach München
berufen, kam aber durch seinen Protest gegen die Nobili-
tierung der Lola Montez in Konflikt mit dem König und wurde
zwangspensioniert. Lasaulx war 1848 als Abgeordneter Niederbayerns
ein sehr tätiges Mitglied der Nationalversammlung, erhielt
1849 sein Amt zurück und starb am 9. Mai 1861.

Die Möglichkeit einer Philosophie der Geschichte beruht
nach L. darauf, daß „die ganze Menschheit als ein organisches
Wesen, nur einen aus der Tiefe ihrer ursprünglichen Substanz
hervorquellenden Lebensprozeß, eine allen Individuen gemeinsame
Natur, einen Leib und eine Seele, einen allgemeinen
Willen und eine allgemeine Vernunft hat"; „daß ein objektiver
Verstand in den Dingen ausgeprägt ist, und daß der subjektive
Verstand des Menschen fähig ist, diesen objektiven Verstand
Gottes zu verstehen" (66). Im Unterschied von der He-
gelschen Geschichtsphilosophie, die konstruktiv denkend im vernünftigen
Staat das Ziel aller Geschichte erblickt, ist die von L.
stärker biologisch-empiristisch ausgerichtet. L. beobachtet und
beschreibt die Entwicklung der geschichtlichen Organismen. Sein
Denken ist noch resignierter als das Hegels, dessen Begriff der
Dialektik voll geheimer Resignation ist. Lasaulx sagt: „Auch die
Völker sterben, wenn der Keim ihrer Individualität völlig entwickelt
und erschöpft und ihre Lebensaufgabe erfüllt ist" (154).
„Aber es darf gehofft werden, . . . daß aus der Auflösung der
bisherigen Zustände Europas, sei es hier oder jenseits des atlantischen
Ozeans aus europäischen Elementen zuletzt noch neue und
bessere Zustände hervorgehen werden" (169). L. hat auf Jacob
Burckhardt gewirkt, in der Stimmung verwandt, im einzelnen oft
antithetisch. Daß Spengler ihn gekannt hat, läßt sich nicht nachweisen
. Aber die Parallelen zwischen L. und Sp. sind so zahlreich
und handgreiflich, daß dies verwunderlich ist (Begriff einer
Kulturmorphologie, Begriff der Kulturstadien, der historischen
Gleichzeitigkeit, des biologisch bedingten Kulturverfalls usw.).
Auch zu Toynbees Auffassung von der Geschichte als „Herausforderung
und Antwort" (challenge and response) besteht eine
Analogie, wenn L. sagt, „die geordnete Reihe der Jahrhunderte
beruhe wie ein antistrophischer Gesang auf einem großen Parallelismus
, dem Rufe Gottes und der Antwort des Menschen" 65/66).

Welchen Wert hat die Neuherau6gabe einer so alten und
fast vergessenen Schrift? Im Negativen, daß die Problematik deutlich
wird, die in dem Unternehmen: Philosophie der Geschichte
liegt. Es ist ja nicht nur der historische Positivismus, der im Theoretischen
ihre Voraussetzungen fraglich gemacht hat, sondern es
i6t die politische Weltsituation, die heute ein Philosophieren
über den Sinn der Weltgeschichte ziemlich sinnlos macht. Etwas
anderes ist es, wenn sich der Glaube in einer Theologie der Geschichte
darüber klar zu werden versucht, was Geschichtsverlauf
und geschichtliche Situation von heute für Welt-christenheit und
Welt-kirche bedeuten. Im Positiven, daß man lernt, die historischen
Einzelheiten im Lichte großer Perspektiven zu sehen und
dabei zwischen den biologischen, den soziologischen, den geistigen
und den geistlichen Faktoren zu unterscheiden, die miteinander
und durcheinander in der Geschichte wirksam sind. Bloße
Kulturb i o 1 o g i e macht resigniert und pessimistisch. Das werden
wir überwinden müssen. Denn wenn wir es uns nicht selber
einreden, gibt es keinen Grund, weswegen Europa dekadenter
sein soll als andere Weltteile. Es gibt aber viele Gründe dafür,

daß die Welt ohne den Kopf und das Herz Europas nur kümmerlich
leben kann.

Mainz Friedrich Delckat

Jahrbuch der österreichischen Byzantinischen
Gesellschaft. Mit Unterstützung von Fachgelehrten hrsg. von
W. Sas-Zaloziecky. II.: Wien: Rohrer 1952. 191 S. m. Abb. gr. 8°.
S. 120.-. HL: Wien: Rohrer 1954. 182 S. m. Abb. gr. 8°.

Als wir in dieser Zeitschrift 78, 1953, 161 f. das Jahrbuch
der Österreichischen Byzantinischen Gesellschaft als eine neue
Stimme im Chorus der inzwischen schon recht zahlreich gewordenen
byzantinistischen Fachorgane begrüßten, konnten wir bei
aller Hochachtung vor dem Geleisteten doch den Wunsch nicht
unterdrücken, „daß das Jahrbuch in seiner inhaltlichen Gestaltung
zunehmend einheitlicher werde, kurz, daß es mehr Gesicht bekommen
möge." Daß wir mit diesem Wunsche nicht nur subjektiven
Empfindungen Ausdruck verliehen, sondern daß die das
Jahrbuch tragende Gesellschaft offensichtlich ganz ähnliche Erwägungen
leiteten, beweisen die hier zu besprechenden Fortsetzungsbände
, deren äußere Gestalt übrigens unverändert geblieben
ist und unverändert bleiben konnte. Der zweite Band stand
noch unter der alten Redaktion und zeigt eine ähnliche Unausgeglichenheit
des Inhalts, ein gleiches Übergewicht der kunsthistorischen
Fragen wie der erste; für den dritten zeichnet Herbert
Hunger verantwortlich, Staatsbibliothekar und Universitätsdozent
in Wien, eine Persönlichkeit von ausgebreiteter Erudition
und bewundernswerter Arbeitskraft1, die in den Redaktionsgeschäften
von einem zehnköpfigen Komitee unterstützt
wird, welches das Erstarken der byzantinistischen Studien in
Österreich sichtbar vor Augen führt2.

In beiden Bänden sind die meisten Aufsätze auch für den theologisch
oder religionsgeschichtlich orientierten Leser von Interesse. Hans
Gerstinger macht uns Bd. 2, S. 13 ff. mit einer Gestellungsbürgschaftserklärung
(oder noch korrekter: Enthaftungsbürgschaft) bekannt,
welche im 6.17. Jhdt. in Herakleopolis magna geschrieben wurde und
1890 in die Papyrussammlung Erzherzog Rainer nach Wien gelangte
(Signatur: Pap. Graec. Vindob. 25656): Für eine im Staatsgefängnis von
Herakleopolis in Schuldhaft einsitzende Kolonenfamilie übernehmen
drei (oder mehr)3 ihrer koptischen Mitbürger die Bürgschaft dafür, daß
sie die Enthafteten jederzeit wieder stellig zu machen oder selbst für
die an diese gerichteten Forderungen aufzukommen bereit sind. Von den
Zeugen ist einer Diakon an der Johanneskirche. Die Invocatio der Urkunde
— es war vermutlich die christliche 'Ev ovöfiaxi xov xvgiov xxX. —
ist nicht erhalten. — Zu dem in der westlichen Byzantinistik vielbehandelten
Problem des Hesychasmus nimmt S. 23 ff. Endre I v ä n k a in übersichtlichen
, die wesentliche Literatur vorführenden* Darlegungen Stellung
. Zunächst geht er auf das Verhältnis von Hesychasmus und Palamismus
— scheinbar synonymen Begriffen — ein: Zur Rechtfertigung
des Hesychasmus, der aus dem östlichen Mönchtum erwachsenen mysti-
chen Lehre und Praxis, entwickelte Gregorios Palamas seine Theorie von
der zwischen der göttlichen Substanz und der geschaffenen Welt liegenden
Sphäre der göttlichen Energien, deren der Mystiker teilhaftig zu
werden vermag, ohne deshalb „Gottes Wesenheit zu erblicken oder mit
ihr in Kontakt zu treten" (S. 2 5). Diese Lehre des Palamas, so eng sie
auch mit dem Hesychasmus verbunden ist, kann auch von solchen aufgenommen
werden, welche der hesychastischen Mystik fernstehen, wie
andererseits der Mystiker sie nicht unbedingt anzuerkennen braucht; die
Begriffe Hesychasmus und Palamismus dürfen also keineswegs gleichgesetzt
werden. Einwänden auf ihre Konzeptionen setzten die Anhänger
des Palamismus das Axiom entgegen, daß die „Dialektik", die begriffliche
Beweisführung im theologischen Raum keinen Platz habe. Bekanntlich
siegte diese Auffassung und damit die platonische Tradition
über die aristotelische, welche sich in Byzanz nicht anders gegenübergestanden
hatten, als das im Westen der Fall war. Doch in der westlichen

*) Von seinen zahlreichen Arbeiten sei hier vor allem sein Lexikon
der griechischen und römischen Mythologie, Wien 1953, genannt;
es hat inzwischen schon drei Auflagen erlebt.

2) Dies bezeugen nicht zuletzt auch die Tätigkeitsberichte der
österreichischen Byzantinischen Gesellschaft, welche Bd. 2, 181 f. und
Bd. 3, 171 abgedruckt sind.

3) F. D(ölger), Byzantinische Zeitschrift 46, 1953, 431 spricht versehentlich
nur von den mit Namen genannten Panas und Apollos.

*) Man sollte endlich dazu kommen, die Titel russischer, rumänischer
etc. Arbeiten nicht in Übersetzung, sondern in der Originalsprache
anzuführen. Die bibliographische Ermittlung solcher übersetzter Titel
macht oft große Schwierigkeiten, und der Sprachunkundige vermag die
betreffenden Arbeiten trotz dieser Eselsbrücke doch nicht zu lesen.