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Ausgabe:

1956 Nr. 10

Spalte:

613-615

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hommes, Jakob

Titel/Untertitel:

Der technische Eros 1956

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 10

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alten Text Wort für Wort oder gar in seiner ursprünglichen
Rechtschreibung besitzen. Aber wenn man einmal damit beginnt,
an der Hs zu ändern und 4, 2 statt habebitis ein habetis,
5, 20 statt salvat ein salvabit einzusetzen oder 5, 15 den Fehler
suscitavit zu verbessern, so ist es schwer, um nicht zu sagen unmöglich
, eine sichere Grenze zu finden. So begreift man z. B.
nicht, warum 3, 8 das falsche morfifera unberührt bleibt. Ein unveränderter
Abdruck würde den Benutzer sowohl durch die Rechtschreibung
als durch die Fehler immer wieder daran erinnern,
daß er den gewachsenen Text einer einzelnen Hs mit allen ihren
Zufälligkeiten vor sich hat und nicht einen zurechtgemachten.

Auch in der S-Linie, die bald durch Priscillian, bald durch
67, bald durch Bachiarius repräsentiert wird, ohne daß die Annahme
gerechtfertigt wäre, daß diese Zeugen alle den gleichen
Text in Händen gehabt hätten, hätte man sich mit einem Abdruck
des besten Zeugen für das Speculum Audi Israhel, des
Codex Sessorianus, begnügen können, und wegen der offenkundigen
Beziehungen dieses Textes zur Vulgata sollte man ihn über
oder unter dieser finden, nicht von ihr durch die F-Linie getrennt.

Ähnlich wie die Berliner Itala (vgl. Gött. gel. Anz. 1955,
"93 ff.) möchte die Ausgabe zwei verschiedene Ziele zur gleichen
Zeit erreichen, die Textgeschichte aufzeigen oder wenigstens andeuten
und das gesamte Material darbieten. Ich habe den Eindruck
, als würde das Werk damit gewinnen, wenn man sich bei
den späteren Bänden ausschließlich auf das letztere beschränken
wollte. Der Ablauf der Textgeschichte wird ohnedem noch mancher
eingehenden Untersuchung bedürfen. Wir sind schon zufrieden
, wenn man uns das Material möglichst vollständig, genau
und in übersichtlicher Form vorlegt.

Und was dies anbetrifft, brauchen wir mit dem Lob nicht zu
geizen: Bei der Nachprüfung auf die Vollständigkeit hin gelang
es mir nicht, auch nur eine einzige übersehene Stelle nachzuweisen
. Und was für den Benutzer noch wichtiger ist: die nachgeprüften
Texte sind mitsamt den Stellcnangaben fehlerfrei mitgeteilt.

Bonn Heinrich Vogels

KI HC H EN GESCHICHTE: ALLGEMEINES

Horn m es, Jakob, Prof.: Der technische Eros. Das Wesen der materialistischen
Geschichtsauffassung. Freiburg: Herder 1955. XI, 520 S.
gr. 8°. DM 32.-.

Das umfangreiche Werk beschäftigt sich unter einem ungewöhnlichen
Titel mit dem Marxismus, dessen philosophische,
geschichts-, wirtschafts- und gesellschaftswissenschaftliche Theorien
eindringende Analysen erfahren, die den Hauptumfang des
Buches beanspruchen. Die Quellen, auf welche die Untersuchung
begründet ist, sind in erster Linie die Schriften von Engels und
Marx; von den Neueren haben Lenin und Plechanow die stärkste
Beachtung gefunden. Gerechtfertigt wird die eingehende, vom
Leser Opfer an Zeit und Kraft fordernde Arbeit mit der Überzeugung
, daß der Marxismus zu den geistigen Großmächten der
Gegenwart gehöre, dem sich auch in christlichen Kreisen ein
wachsendes positives Interesse zuwende. Die materialistische Geschichtsauffassung
sei noch in keiner Weise abgekämpft, „sondern
hat. .. ihre eigentliche Wirksamkeit unseres Erachtens noch
vor sich". Wenn auch einige ursprüngliche Bestandsstückc aufgegeben
seien, so bliebe „ihr menschlich-philosophischer und
weltanschaulicher Kern gegenwärtig und zukunftsträchtig". So
wurde es dem katholischen Theologen, der schon in seinem Werk
„Zwiespältiges Dasein" eine Auseinandersetzung mit der exi-
stentialcn Öntologie von Hegel bis Heidegger vollzogen hatte,
zur Pflicht, sich in eingehende und weitreichende kritische Arbeit
am Problem des Marxismus einzulassen.

Der Titel erklärt sich so: nach der marxistischen Philosophie
ist das Verhältnis des Menschen zum Ganzen der Wirklichkeit
durch die Arbeit, d. h. durch das technische Schaffen bestimmt
, durch das der Mensch sich erst eigentlich selbst aus der
Natur hervorbringt. Indem die Energie dieses technischen Schaffens
als Eros bezeichnet wird, erfährt es kritisch eine Deutung,
die an der Charakterisierung der menschlidien Verhaltensweise
zur Natur als ekstatisch hängt. Indem nach marxistischer Lehre

der Mensch Mensch wird, tritt er aus seiner Wirklichkeit heraus,
um dem Einen und Ganzen enthusiastisch zuzugehören, beflügelt
vom technischen Eros. Es ist die Meinung des Verf., daß die phi-
losophisch-marxistisdie Methode eine Abart der enthusiastischekstatischen
Philosophie ist, in deren Ahnenreihe die antiken
Mysterien, Pythagoras, Heraklit, Plato, Plotin sich finden.

Wie kommt es zu dieser ungewöhnlichen Deutung? Dadurch
daß als Grundlage des philosophischen Gespräches die aristote-
lisch-thomistische Seinslehre genommen wird. Nach der Lehre
vom Naturrecht vermag ja der Mensch sein Leben „natürlich" zu
ordnen, weil Gott als der Schöpfer alles Seiende in einer guten
allgemeinen Verbundenheit einander zugeordnet hat, in die auch
ich positiv eingefügt bin, der ich also nicht mich dialektisch entgegenzusetzen
und die ich ekstatisch zu überwinden hätte, um
zum Menschsein zu gelangen. Wir verstehen, daß vom Thomis-
mus her ein Nein zum dialektischen Materialismus gesprochen
werden muß, bezweifeln aber das Recht der ekstatisch-enthusiastischen
Deutung, hinter der sich wohl auch ein Unverständnis
der theologisch-dialektischen Methode verbirgt.

Hommes hat nicht nur atheistische, sondern auch theologische
Gegner vor Augen, derentwegen er sein voluminöses Buch
schreibt. Trotz der königlichen Stellung des Thomas streben katholische
Theologen einer theologisch-dialektischen Methode zu;
ohne sie mit Namen zu nennen, meinte sie Pius XII. in Partien
von Humani generis. Man weiß, daß die Dissentierenden vor allem
im französisdien Klerus zu finden sind, und die „Theologie
nouvelle" hat sich zugleich lebhaft für die Schriften des jungen
Marx erwärmt! So wundern wir uns nicht, daß Hommes, der Apologet
des Thomismus, H. de Lubac SJ und den christlichen Publizisten
E. Mounier bekämpft, weil sie in bewußtem oder unbewußtem
Entgegenkommen gegen den Marxismus den künstlich
-geschichtlichen Teil des mensdilichen Daseins als die Natur
des Menschen ausgeben und gegen die natürliche Wirklichkeit im
Sinne des Thomismus ausspielen.

„Wenn die erwähnte „fortschrittliche" Richtung der Theologie und
Philosophie, die heute bereits eine große Macht über die ganze Erde
hin entfaltet, sich in dieser Weise mit dem — unter das theologische
Vorzeichen gestellten — philosophischen Grundgedanken des historischen
Materialismus solidarisch erklärt, so beleuchtet das schlaglichtartig
die geistige Situation der Gegenwart und den Grad, bis zu dem
wir schon gekommen sind, wenn auch auf christlicher Seite jene Prinzipien
des historischen Materialismus übernommen werden, die mit der
theistischen Metaphysik gänzlich unvereinbar, weil im Grunde atheistisch
sind" (S. 8).

Und eine Seite vorher heißt es: „Diese im weiteren Sinne
verstandene materialistische Geschichtsauffassung zieht heute
durch alle politischen und religiösen Lager hindurch immer weitere
Kreise. Sie ist in starkem Vormarsch begriffen und v/ird unseres
Erachtens über kurz oder lang die Vertreter der objektiven
Ethik und des Naturrechtes, der transzendenten Metaphysik und
des theistischen Gottesgedankens aufs schärfste bedrängen". Von
da aus versteht man die Äußerung des Begutachters, der vor der
Drucklegung das Manuskript zu lesen hatte, des Professors an
der Gregoriana G. Gundlach SJ, daß das Buch „der heute in intellektuellen
Kreisen beliebten Kommunismus-Phiiie eine unerhört
vertiefte Opposition mache", selbstverständlich „von dem
geistigen Grundstandpunkt des Verf. aus", der das Werk als
„einzigartig" erscheinen lasse.

Wenn wir auch glauben, daß wir das Buch schon hinreichend
gekennzeichnet haben, so möchten wir doch noch hervorheben,
daß viele tiefdringende Analysen — etwa über die nur noch geschichtliche
Einheit des Daseins, über das wesentlich gesellschaftliche
geschichtliche Selbst des Menschen, über die Überhebung der
Tedinik über die Natur, über die Entstehung der Klassenherrschaft
und ihre revolutionäre Überwindung — das Studium wenn nicht
gerade zu einem Genuß so doch zu einem wirklichen Gewinn
werden lassen. Es kommen aber zu viele Wiederholungen vor;
auch ist nach unserm Geschmack vieles zu breit entfaltet.

Wird das Werk eine größere Wirksamkeit haben? Wir glauben
es nicht, denn dazu ist seine philosophisch-theologische Basis
zu schmal und dementsprechend die Auseinandersetzung zu
einseitig und zu monoton. So dürfte seine Wirkung auf die theologischen
Seminare der katholischen Kirche beschränkt bleiben.