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Ausgabe:

1956 Nr. 1

Spalte:

42-44

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lohmeyer, Ernst

Titel/Untertitel:

Gottesknecht und Davidsohn 1956

Rezensent:

Fascher, Erich

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 1

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Mehr Wahrscheinlichkeit hat die Schul-Hypothese für das
Mt. ev., das ja in seiner Struktur einen stark lehrhaften Eindruck
macht. Andererseits dürfte seine Charakteristik als „manual for
teaching and administration" sein Wesen doch sehr verengen
und verkürzen und auf den Erzählungsstoff kaum zutreffen. Mag
es aus einer Schule hervorgegangen sein, so war es doch nicht
auf den Schulgebrauch begrenzt, sondern auch für die gottesdienstliche
Lesung und damit für die Gemeinde bestimmt. Viel
ergiebiger, als auf der „Schule" zu insistieren, wäre es gewesen,
durch Herausarbeitung der kompositorischen, literarischen und
theologischen Besonderheiten das „Milieu" und das geistige
Bild der „Kirche des Matthäus" zu rekonstruieren.

Den Ausgangspunkt des 2. Hauptteils bildet die Wortstatistik
der synoptischen AT-Zitate, die Hawkins (Horae Syn-
opticae", 1909, S. 154 ff.) aufgestellt hat, und nach der diejenigen
Zitate, die bei zwei oder allen drei Synoptikern vorkommen
, eher einen reinen LXX-Text bieten, während die „formula
quotations" (= Reflexionszitate) in bemerkenswerter Weise von
der LXX abweichen. Aber die Sachlage ist komplizierter.
St. prüft zunächst „The Texts" (46-142) in sorgfältiger Untersuchung
jedes einzelnen Zitates und seiner Beziehungen zum
M. T., zu den Targumen, zu den griechischen und syrischen
Übersetzungen. Dann wertet er das Ergebnis in dem Abschnitt
..Discussion and conclusions" aus (143-217): Die LXX war die
Bibel des Mk., Mt. hat dessen Zitate übernommen und noch
mehr an den LXX-Text angeglichen; das Mt. und Lk. gemeinsame
Zitatenmaterial wurde „in a consciously LXX milieu" geformt
(150) und seine geringen Abweichungen weisen nicht auf
den direkten Einfluß seitens einer festen Tradition semitischer
Zitate hin. Das Zitaten-Sondergut des Mt. zeigt ein anderes Bild;
zwar enthalten die Reflexionszitate LXX-Züge, und unter den
anderen gibt es solche von reinem LXX-Typ, so daß „Matthew s
own material gives evidence of a church milieu familiär with the
LXX as the Workshop where Matthew took shape" (150 f.). Indessen
finden sich in den Reflexionszitaten starke Abweichungen
von LXX, die nicht immer eine größere wörtliche Übereinstimmung
mit dem M. T. einschließen.

„In all cases we could suppose a knowledge of the Hebrew text,
but in its interpretation Matthew shows great freedom and a tendency
to make use of readings which we could often support by examples
from various LXX manuscripts, the later Greek versions, the Targums
and even the O. T. Peshitta" (151). „On the whole there is scarcely
any tradition of translation or interpretation which does not emerge
in Matthew's manner of understanding his quotations. This leads us
to presume that Matthew wrote Greek and rendered the O. T. quotations
along the line of various traditions and methods of interpretation
. This gives proof of a targumizing procedure which demands
much of the knowledge and outlook of the scribes. In distinction
from the rest of the Synoptics and the Epistles with what seems to be
their self-evident use of the LXX, Matthew was capable of_havmg,
and did have, the authority to create a rendering of his own" (127).

Das Hauptinteresse St.s gilt daher den Reflexionszitaten.
Ihre Zitiermethode und ihre Freiheit in der Formulierung müssen
innerlich zusammenhängen, zumal sie für das Zitaten-Sondergut
des Mt. in seiner Gesamtheit nicht charakteristisch sind, und die
Reflexionszitate auch nicht auf eine Quelle, etwa gar in aramäischer
Sprache, zurückgehen können (vgl. 203—217). Bevor
St. dem Wesen der Reflexionszitate weiter nachgeht, hebt er ihre
Sonderstellung im NT heraus (156-165) und bespricht „The Old
Testament texts" (166—182), besonders das Problem der griechischen
Übersetzungen, mit dem Ergebnis, daß die Reflexionszitate
nicht Zeuge für eine jüdische Revision eines griechischen
AT-Texts sein können.

Dagegen findet St. in dem Habakuk-Kommentar der Qum-
ransekte (DSH) eine weitgehende Analogie zu den matth. Reflexionszitaten
(18 3—202). Hier wird der Text von Hab. 1 u. 2
Satz für Satz zitiert und als in den Ereignissen um den „Lehrer
der Gerechtigkeit" und in den Erlebnissen seiner Gemeinde erfüllt
kommentiert; das geschieht in der Weise, daß die Formel
• • hy lTrfc™ „seine Deutung bezieht sich auf..." oder eine
ähnliche Wendung vom Zitat zur Erklärung überleitet. Eine
wörtliche Entsprechung zu der matth. Formel („dies geschah aber,
damit erfüllt würde . . .") findet sich zwar nicht, „but the apo-
calyptic cofiylction of the Qumran Sect gives the term 1t$D

a similar connotation" (184). Es zeigt sich hier eine besondere
Art von Midrasch, parallel zum halakhischen und zum hagga-
dischen Midrasch, den St. im Anschluß an Brownlee „midrash
pesher" nennt. Der Hab.-Text weicht z. T. sehr stark vom M. T.
ab, viel stärker als der der Jesaiarolle, und ist offensichtlich von
der hermeneutischen Methode der Sekte beeinflußt; die „Erfüllung
" wirkt sich auf den Text der Weissagung aus. Man hat in
DSH und in der Jesaiarolle also zwei Typen des at.lichen Textes
vor sich, deren Verschiedenheit von den verschiedenen Funktionen
herrührt, die die Texte innerhalb der Sekte hatten: der
Jesaiatext diente zur liturgischen Lesung im Gottesdienst, DSH
ist dagegen das Erzeugnis schriftgelehrten Studiums — das zeigt
eine sorgfältige Untersuchung des Hab. textes und seiner Beziehungen
zum M. T. und den Übersetzungen; dieser Text hat nie
außerhalb des Kommentars selbständig existiert. Die Voraussetzungen
dieser „Pescher-Methode" sind die Überzeugung von
der Erfüllung der Prophetie und ein gelehrtes Studium der
Schriften.

Die Folgerungen, die St. aus dieser Analogie für Mt. zieht,
liegen auf der Hand. Die Reflexionszitate stellen eine Pescher-
Übersetzung dar, die ein „advanced study" der Schrift und eine
Vertrautheit mit dem M. T. sowie mit den Auslegungstraditionen
, die uns von den Übersetzungen her bekannt sind, voraussetzt
. Man hat also zwei Typen von Zitaten nebeneinander im
Mt., den liturgischen und den Pescher-Typus; dieser letzte hat
seinen Sitz im Leben nicht im Kult, sondern ist eine gelehrte
Auslegung und als solche „a decisive indication that we must
postulate a School of Matthew" (201). Mt. ist ,,a handbook and
storehouse for teaching, preaching and church government"
(206). -

Die Bedeutung des Buches liegt weniger in der speziellen
These von der „Schule des Mt." als in der gewissenhaften philologischen
Aufarbeitung des Zitatenmaterials und seiner Probleme
; besonders die Ausführungen über die Reflexionszitate
und ihre Analogie zu DSH haben mich überzeugt. Hier hat der
Verf. klärend und fördernd gewirkt, und seine Untersuchung ist
die Basis, von der die Weiterarbeit für das sachliche Verständnis
des Mt. ausgehen muß. Man hätte freilich gewünscht, daß St.
selbst in diese Richtung vorgestoßen wäre, und hätte — dem
Buchtitel nach — über die Schule des Mt. mehr zu erfahren gehofft
als das Postulat ihrer Existenz und die Methode ihrer
Schriftgelehrsamkeit. Denn gerade die Reflexionszitate implizieren
ein Geschichtsverständnis, das sich nicht nur in dem (allgemein
urchristlichen) Bewußtsein erfüllter Weissagungen erschöpft
. Was sagen diese Zitate in ihrem jeweiligen Kontext und
im Ganzen des Evangeliums? Was sagen sie über das Verhältnis
zum heiligen Buch und zur heiligen Geschichte Israels? Welches
Verständnis der eigenen Gegenwart ist in ihnen enthalten? Wie
deuten sie die Gestalt und Geschichte Jesu? Wie interpretieren
sie die Mosetypologie der Kindheitsgeschichten, aber auch des
ganzen Buches? Da St. auf solche Fraeen nicht eingeht, bekommt
man nur ein blasses Bild von der Schule des Mt. bzw. von der
Theologie des Mt. oder der Theologie seiner Schule. Aber man
muß dem Verf. natürlich das Recht zugestehen, seine Arbeit zu
begrenzen. Ihr Gewicht und Wert liegt auf der philologischen
Untersuchung der Grundlage der at.lichen Zitate. Auf diesem
Gebiet hat der Verf. eine Leistung vollbracht, die ebenso enorm
wie dankenswert ist.

Bonn P. Vielhauer

Lohmeyer, Ernst: Gottesknecht und Davidssohn. 2., unveränd.
Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1953. III, 155 S. gr. 8°.
DM 7.80.

Da seit Adolf von Harnacks bekannter Akademie-Abhandlung
von 1926 über den Gottesknecht keine weitere Untersuchung
erschienen ist, eine solche über den Davidssohn seit etlichen
Jahrzehnten fehlt, hält es der Verf. mit Recht für erwünscht,
beide Begriffe einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen
und diese zu kombinieren, da dadurch „genauere Auskunft über
sonst wenig hervortretende Seiten in der Jesusanschauung der
Urgemeinde" zu erhoffen sei.