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Ausgabe:

1956 Nr. 9

Spalte:

561-563

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Credo ecclesiam 1956

Rezensent:

Benckert, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 9

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in Venedig" das Schweben zwischen Schönheit und Tod, für das
die Stadt in allen ihren Teilen als Raum und Atmosphäre Wirklichkeit
und Symbol zugleich ist. Hofmannsthals Ringen
um Ordnung und Gemeinschaft, um Bindungen und gestaltetes
Leben verkörpert sich in der ruhigen, zurückhaltenden, klaren
Prosa seines Romanfragments „Andreas oder die Vereinigten",
einer Prosa, die nach nichts zu streben scheint als nach Vollendung
. Traum und Verzauberung legen einen Bann über sie, der
die Spiegelbilder stärker als die Wirklichkeit erscheinen läßt und
den Suchenden hindert, seine Einsamkeit zu durchbrechen. Für
Kafkas gesamtes Werk steht die ausgewählte Stelle aus „Das
Schloß", die den Helden des Romans wie „immer vor dem Anfang
" zeigt, hilflos, obwohl in äußerster Anstrengung, herausfordernd
und doch unterliegend, angespannt und besiegt. In freier
Schöpfung steigen in Kafkas Werk Bilder über Bilder auf, die
nicht abbilden, sondern immer wieder neu bilden, was den Menschen
, als den ewig Hoffenden, stets Erwartenden, denen aber nie
Erfüllung zuteil wird, in einem unendlichen Daseinsraum entgegentritt
und sich zugleich entzieht. Kafkas Sprache verzichtet auf das
Poetisch-Schöne, denn in ihm wäre Ruhe und Befriedigung, die
dem Menschen in der feindlichen Fremde, aus der es kein Entrinnen
gibt, nicht werden können.

Hans C a r o s s a ist der ausgeglichenste und ruhigste unter
allen von Martini behandelten Dichtern. Typisch für ihn ist die
Episode aus dem Krieg in „Führung und Geleit", in der sich die
Verwandlung des Realen als eines gefährlich Gespaltenen in ein
Geistiges, Geeintes vollzieht Durch die Kraft zur Überwindung
des Zerstückelten und Zufälligen ereignet sich die Reinigung des
Daseins, in der sich das Dichtertum Carossas bewährt. Das dichterische
Wort dient hieT dem Leben und wirkt heilend, indem es
den Sinn im anscheinend Unsinnigen offenbar werden läßt.

Als „ästhetisches Experiment" bezeichnet Martini den Versuch
Hermann B r o c h s in seinem Werk „Der Tod des Vergil",
aus dem ein Abschnitt abgedruckt wurde, mit den Mitteln der
Sprache das Suchen des Menschen nach einer Erlösung zu vergegenständlichen
, „einer Erlösung zu seiner Freiheit und Ganzheit
in und über dem Teilhaft-Irdischen und seinen ausweglosen
Zersplitterungen, nach einer neuen metaphysischen Bestimmung
der Existenz von den Übergängen des Todes her". Das dichterische
Sprechen in Brochs Buch ist — im Gegensatz zu seinen
früheren Werken — ständig rhythmisch gehoben und will mit den
Mitteln lyrischer Entrückung die Kluft überwinden zwischen der
Gebundenheit des Menschen im Endlichen und seiner Möglichkeit
zur Freiheit.

Die zwölf Interpretationen Martinis, die als „Vorstudien zu
einer Literaturgeschichte der neueren Zeit betrachtet werden" wollen
, sind literatur-wissenschaftlich wie zeitgeschichtlich von bedeutendem
Wert, zumal eine Literaturgeschichte, die sich Martinis
Darstellung annähernd vergleichen könnte, noch fehlt. Sehr
glücklich erscheint vor allem der Ansatz des Buches: es erfaßt
vom „Wagnis der Sprache" her, d. h. vom bewußten Versuch des
Menschen, mit den Mitteln der Kunst über sich selbst hinaus zu
gelangen, das Drängen eines Zeitalters, das bestrebt ist, aus eigener
Kraft Klarheit über die Lage des Menschen in der Welt zu
gewinnen — sich selbst zu helfen.

Rostock Hildegard Emmel

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Credo Ecclesiam. Von der Kirche heute. Hrsg. von der Evangelischen
Michaelsbruderschaft. Kassel: Stauda 1955. 75 S. 8°. Kart.
DM 3.80.

In Kürze ist hier eine „Denkschrift" anzuzeigen, „mit der
die Ev. Michaelsbruderschaft nach langen Jahren des Zuwartens
Ende 195 5 ihr Schweigen bricht" — wie es in einem Verlagsprospekt
heißt.

Die Schrift vereinigt 3 Arbeiten: 1. Die Denkschrift, die dem
Heft den Titel gibt (S. 9—36), unterzeichnet von dem Ältesten
(Pastor Schmidt-Hamburg) und dem Rat deT Ev. M. (Dombois.
Langmaak, K. B. Ritter, R. Spiecker, W. Stählin, W. Wagner, und
H. D. Wendland). 2. Sukzession im Neuen Testament von H. D.
Wendland-Münster (37—44). 3. Das Problem der apostolischen

Sukzession und die Evangelische Kirche, unterzeichnet von Dr.
iur. Dombois, Pastor A. Graf-Thun und Pastor Dr. Dr. Hochstet-
ter-Bergisch-Gladbach (S. 45-75).

Die Gedankenwelt ist in allen drei Teilen durchaus einheitlich
. Das „autoritative" Schwergewicht liegt auf der eigentlichen
Denkschrift, das inhaltliche wohl auf dem — längsten —
dritten Teil. Im l.Teil wird in Anlehnung an die einzelnen
Worte des 3. Artikels: credo unam sanetam catholicam et apo-
stolicam ecclesiam, sanetorum communionem in 7 Abschnitten
thesenartig das Programm einer „wirklichen reformatio" (10)
der - sc. evangelischen - Kirche aufgestellt. Es ist nämlich nicht
nur die gegenwärtige Neugestaltung, sondern die Reformation
des 16. Jahrh. unvollendet geblieben (29).

A. Folgende Punkte etwa machen eine „entschlossene Neuordnung"
(10) nötig: eine „tiefgreifende Selbstzersetzung", „Restauration des
Liberalismus" (9), „theologisches und kirchenpolitisches Parteidenken"
mit „Zügen des Kollektivismus und der schwärmerischen Sektenbildung"
(9), die vom Kirchenkampf her gebliebenen „schweren geistlichen Schäden
" (9), unzureichende Notlösungen in den Ordnungsfragen (10),
„Deformation" und „Gestaltzerstörung" der Kirche, die dazu noch als
besonders reformatorisch gepriesen würden (10), Glaube ohne Werke
als Frucht einer Überbetonung der Rechtfertigungslehre (12), theol.
Lehre ohne „Altar" (14) und Lehrer mit „veraltetem autonomen Wis-
senschaftsbegriff" (15), Fehlen der Beichte sowie der geistlichen und
liturgischen Übung (16), eine Kirche ohne die „Voraussetzungen sakramentalen
Handelns" (18), „Verengung des kirchlichen Amtes auf das
Predigtamt" (19), „Inflation des gesprochenen Wortes" (20), Predigt
als „intellektuelle Belehrung" (21) und Abendmahl als „Anhängsel"
(20), Unterschätzung der „Gesamtkirche" (22), Verkennung des ökumenischen
Charakters des Bischofsamtes (23), überholtes Landes-, National
- und Konfessionskirchentum (24), Mangel an der in den „Geheimnissen
Gottes" der Kirche gegebenen Mitte (24), „die Zwangsvorstellung
, unausgesetzt politisch handeln zu müssen" (25), die einzelne
Gemeinde ohne das Bewußtsein, „daß sie nur als Glied der allgemeinen
Kirche christliche Gemeinde sein kann" (29), „provinzielle
Enge" (29), antirömische Affekte (29), eine verengernde Lehre von
..Ansätzen frühkatholischer Entwicklung" und vom „reformatorischen
Ansatz" (30), Fehlen der successio apostolica (30, 37 ff.). Dies alles —
und noch viel anderes mehr — macht eine gründliche reformatio nötig.
Wir sind demnach offenbar eine Kirche ohne Einheit, ohne Heiligkeit,
ohne Katholizität und Apostolizität und ohne Gemeinschaft am Heiligen
.

B. Worin besteht nun die gerade heute nötige Neuordnung? Als
conditio sine qua non gilt ein neues verpflichtendes und verbindliches
Bekenntnis von der Kirche (ll). Dies Bekenntnis wird in 7 Abschnitten
entfaltet:

I. Credo S. 12 ff. — 1. „Glauben (sich geloben) heißt bereit sein,
etwas an sich geschehen zu lassen, was Gott an uns tun will und was
wir ihm darum schuldig sind." (sie) 2. „Der Glaube ist gottesdienstliches
Bekenntnis der Kirche, nicht Lehrsystem." 3. „Der Glaube fordert
Einübung in das Christentum."

Darum muß der Altar Mitte des Lebens der Lehrer und Ziel ihrer
Lehre sein. Darum ist „autoritative Lehrentscheidung" nötig und darum
Beichte und Meditation.

II. Ecclesiam S. 16 ff. — 1. „Beruf der Kirche ist die Haushalterschaft
über Gottes Geheimnisse." 2. Durch diese gottesdienstliche Aufgabe
bestimmen sich die Maßstäbe kirchlicher Rechtsbildung. 3. „Wir
können an der Kirche nur bauen, wenn wir selber Kirche sind."

Darum ist Ernst zu machen mit der Erkenntnis, daß die Kirche die
„Fortsetzung der Existenz Christi im verheißenen Beistand des Geistes",
daß der „Mysteriencharakter der pneumatischen Kirche" Zentrum ihres
Lebens ist. Die eucharistische Feier stellt „die innere Einheit aller Gott
und der Welt zugewandten Tätigkeit der Kirche" dar. Aus dem „Grundmaß
des Gottesdienstes" (Wort — Antwort) ergibt sich das „Grundmaß
der kirchlichen Ordnung", nämlich das Gegenüber von Amt und Gemeinde
. So ist die Hauptaufgabe: Erziehung zum rechten Gebrauch des
Sakraments.

III. Unam S. 21 ff. — 1. „Die Einheit und Identität des Heiligen
Geistes bestimmt die Einheit der Kirche gegen menschlichen Zentralismus
und menschlichen Eigenwillen." 2. „Die Gesamtkirche ist nicht ohne
die Gemeinde, und die Gemeinde nicht ohne die Gesamtkirche." 3. „Die
Wirklichkeit des Gottesdienstes bindet die Kirche zur Einheit und scheidet
die Geister."

So sind weder Teilkirche noch Gemeinde für sich souverän, sie leben
nur in geistlicher und rechtlicher Wechselbeziehung zur Gesamtkirche
. Das bischöfliche Amt repräsentiert die Einheit der Kirche, aber
nur dann, wenn es in ökumenischer Gemeinschaft steht.

IV. Sanctam S. 24 ff. — 1. Die Kirche ist nur bei Vermeidung von
Theokratie und Staatshörigkeit heilig. 2. „Der Dienst der heiligen