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Ausgabe:

1956 Nr. 9

Spalte:

541-546

Autor/Hrsg.:

Kuhn, Karl Georg

Titel/Untertitel:

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften 1956

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 9

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Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in I

33. Bericht über neue Qumranfunde

Von Karl Georg

L

Seitdem im Jahre 1952 in der näheren Umgebung von Chir-
bet Qumrän eine zweite Höhle mit Handschriftenfunden (neben
der ersten Fundhöhle von 1947) entdeckt worden war, hat sich
die Zahl solcher Höhlen rasch vermehrt. Fast jedes Jahr kamen
neue hinzu. Nach den umfangreichen Textfunden aus lQ boten
die Höhlen 2Q, 3Q, 5Q und 6Q verhältnismäßig wenig Fragmente
. (Über den besonderen Fund aus 3Q wird gleich noch zu
sprechen sein.) Diese Höhlen liegen (außer 5Q) an dem steilen
Felshang, der vom Gebirge Juda zum Toten Meer hin abfällt. Von
diesen Höhlen sind lQ (1947) 2Q und 6Q (1952) von den Beduinen
entdeckt worden, 3Q und 5Q haben P. de Vaux und seine
Mitarbeiter bei der systematischen Untersuchung dieses Felshangs
in der Umgebung von Qumrän 1952 gefunden. Im selben Jahre noch
fanden die Beduinen 4Q, und zwar nicht an dem Felshang, sondern
an dem Rande der diesem Hang vorgelagerten Mergelterrasse,
auf dem Chirbet Qumrän selbst liegt. 4Q liegt keine 100 m von
Qumrän entfernt. Aus dieser Höhle stammt die große Masse von
Handschriftenfragmenten, die jetzt im Palestine Archaeological
Museum in Jerusalem geordnet, zusammengesetzt und für die
Edition vorbereitet werden. In den folgenden Jahren fanden nun
wieder P. de Vaux und seine Mitarbeiter unmittelbar neben 4Q
weitere 4 Höhlen mit Handschriftenresten (7Q—10Q). Die Anzahl
der hier gefundenen Fragmente ist nicht groß. Ganz neuerdings
, im Frühjahr 1956, ist, wie man hört, eine weitere Höhle,
jetzt also die elfte, gefunden worden, die einige wertvolle
neue Handschriften enthalten soll, darunter eine von Leviticus.

Das Material aus denjenigen Höhlen, die von den in Jerusalem
tätigen Forschern entdeckt wurden, kam dort ins Museum.
Diejenigen Texte, die aus den von den Beduinen entdeckten Höhlen
stammen, vor allem das umfangreiche Material aus 4Q, mußten
und müssen den Beduinen erst abgekauft werden, um sie der
Wissenschaft zugänglich machen zu können. Da das von der jordanischen
Regierung dafür zur Verfügung gestellte Geld bei weitem
nicht zum Ankauf der ganzen Fülle des Materials ausreichte,
hat sich eine Reihe von wissenschaftlichen Instituten durch Stiftung
von Geldern an diesen Ankäufen beteiligt. So haben z. B.
der Vatikan in Rom, die Mc Gill University in Kanada und die
Universität Manchester in England beträchtliche Summen für den
Ankauf von Fragmenten aus 4Q aufgebracht. Auch der Verf.
konnte von deutschen Stellen in Bonn und Stuttgart und von
privater Seite solche Stiftungen erreichen und damit im Frühjahr
1955 für etwas mehr als 10 000 Dollar einen großen Teil der
noch im Besitz der Beduinen befindlichen Texte aus 4Q ankaufen.
Sie werden z. Zt. noch gemeinsam mit allen anderen Texten im
Museum in Jerusalem bearbeitet. Zu diesem deutschen Ankauf
gehören auch beträchtliche Fragmente eines pescher Nahum,
einer Erklärung zum Buche Nahum, die im Stil ganz dem bekannten
pescher Habakuk aus lQ entspricht. Dieser pescher Nahum
ist darum besonders wichtig, weil er zum ersten Male in den
Qumräntexten eindeutig fixierbare historische Anspielungen enthält
, und zwar auf den Seleukidenkönig Demetrius III. Eukärus
und den Hasmonäerkönig Alexander Jannai, d. h. auf die von Jo-
sephus bell. I 4, 5-6 und ant. XIII 14, 1-2 geschilderte Situation
um das Jahr 90 v. Chr. Dieser Text wird jetzt im Journal of Bi-
blical Literature von dem Bearbeiter John M. Allegro veröffentlicht
.

Die neu gefundene Höhle llQ scheint wieder von den Beduinen
entdeckt worden zu sein. Denn Lankester Harding, der
Direktor des Department of Antiquities in Amman, hat in einem
Artikel in der „Times" zu Geldstiftungen aufgefordert, damit
dieser neue Fund aufgekauft werden kann. Diese Höhle liegt anscheinend
ebenfalls an dem Felshang, wo auch lQ und 2Q gefunden
wurden.

'alästina neu gefundenen hebräischen Handschriften

und über die Öffnung der Kupferrollen

Kuhn, Heidelberg

II.

Alle Texte aus Qumrän sind auf das übliche Schreibmaterial

[ geschrieben, auf Lederrollen; ein kleiner Teil auch auf Papyrus.
Nur zwei Rollen machen eine merkwürdige Ausnahme davon.

j Sie sind aus Kupfer, und die Schrift ist in sie eingehämmert. Gefunden
wurden sie 1952 von P. de Vaux und seinen Mitarbeitern
in der Höhle 3Q. Diese Höhle liegt, ebenso wie lQ, an dem
steilen Felshang vom Gebirge Juda zum Toten Meer hin, noch etwas
weiter von Chirbet Qumrän entfernt als lQ. Als ich im Jahre
1953 im Auftrage der deutschen Forschungsgemeinschaft nach Jerusalem
kam, lagen die Kupferrollen dort im Museum, gut verschlossen
und streng bewacht in einem Glaskasten. Dort konnte
ich sie durch die Freundlichkeit der Direktoren des Museums studieren
. Der Glaskasten, in dem sie lagen, durfte aber nicht ge-

i öffnet werden. So habe ich sie damals immer nur unter Glas ge-

S sehen.

Ursprünglich waren es drei dünne Kupferplatten gewesen,
weniger als einen Millimeter dick. Jede der drei Kupferplatten

i hatte eine Höhe von etwa 30 cm und eine Länge von 80 cm. Die
drei Platten nebeneinander hatten also eine Gesamtlänge von
2,40 m. Das ist in etwa die gleiche Höhe und Länge, wie sie
auch bei den Lederrollen üblich war, die wir aus Qumrän kennen.
Auch der auf den Kupferrollen eingehämmerte Text ist ebenso
angeordnet wie der auf den Lederrollen: Der Text steht in Ko-

I lumnen nebeneinander. Ursprünglich waren diese Kupferplatten
aneinandergenietet. Sie wurden dann von den Essenern, genau
in der gleichen Weise, wie sie es mit den Lederrollen machten,
zusammengerollt, mit dem Text nach innen und der Rückseite
nach außen. Beim Zusammenrollen hat man eine der drei Kupfer-
platten abgetrennt, indem man die verbindenden Nieten aufgebrochen
hat, und aus dem Ganzen zwei Rollen gemacht. Denn
wenn man die drei Kupferstreifen zusammengelassen hätte, wäre
aas, in einer einzigen Rolle zusammengerollt, zu dick und unförmig
geworden.

Die Schrift ist so in die Kupferplatten eingehämmert, daß sie
sich teilweise auf der Rückseite als Erhöhung ausgeprägt hat.
Und nur die Rückseite war ja damals, in dem unaufgerollten Zustand
, sichtbar. Und auch von dieser Rückseite nur ein kleiner
Teil, nämlich die äußerste Rollenwindung. So konnte man auf
diesem Stück der Rüdeseite einiges von den Buchstaben an den
Durchprägungen erkennen, also gewissermaßen in Spiegelschrift.
Das war allerdings dadurch schwierig, daß die Buchstaben verschieden
tief eingehämmert und von sehr verschiedener Größe
waren und dadurch, daß es oft nicht einfach war, Buchstabenspuren
von zufälligen Unebenheiten der Rolle zu unterscheiden. Das
Kupfer war im Laufe der Jahrtausende vollständig oxydiert und
daher sehr brüchig, so daß es unmöglich war, die Rollen einfach
so, wie sie waren, wieder auseinanderzurollen. Sie wären dabei
in winzige Brocken zerfallen.

Was mich damals im Jahre 1953 in Jerusalem natürlich am
brennendsten interessierte, das war zu versuchen, aus den Spuren
von Buchstaben auf der Rückseite einiges zu entziffern und so
etwas über den Inhalt dieser Rollen in Erfahrung zu bringen. Ich
stellte zunächst fest, daß die Textkolumnen je etwa 20—25 cm
breit sind, und daß sie jeweils aus 16—17 Schriftzeilen bestehen.
Weiter sah ich, daß die einzelnen Zeilen etwa 20—25 Buchstaben
enthielten. So ergab sich, daß die einzelnen Kolumnen je etwa
300—400 Buchstaben enthalten haben mußten. Wahrscheinlich
waren es durchschnittlich nur etwa 300 Buchstaben, weil ein Teil
der Zeilen nicht ganz mit Text ausgefüllt war. Aus dem Verhältnis
der Gesamtlänge zu der durchschnittlichen Kolumnenbreite
schloß ich, daß der ganze Text etwa 10, höchstens aber 12 Kolumnen
umfassen kann. So ergab sich ein Gesamtumfang des Textes
von etwa 3 000, höchstens 4 000 Buchstaben.

Davon waren aber damals im unaufgerollten Zustand aus
den Spuren auf der Rückseite kaum mehr als hundert Buchstaben