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Ausgabe:

1956 Nr. 9

Spalte:

527-540

Autor/Hrsg.:

Hertzberg, Hans Wilhelm

Titel/Untertitel:

Zur neueren Auslegung des Alten Testaments 1956

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 9

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Die Erzählung von der Steinigung Achans und seiner Familie in
der Ebene Achor (Jos. 7, 10—26) darf trotz ihrer eigenen gegenteiligen
Versicherung (V. 26) von Hause aus nichts mit einer ätiologischen
Erklärung für die Existenz eines bestimmten Steinhaufens
in jener Ebene zu tun gehabt haben, weil ja doch bekanntlich
ganz Palästina ein Land der Steine und der Steinhaufen ist
und infolgedessen den einzelnen Erscheinungen dieser Art der
Charakter des Auffälligen abgehe, der die Voraussetzung für das
Zustandekommen einer ätiologischen Sage sei (S. 71). Aber weiß
er denn nicht, daß der Satz von dem Reichtum Palästinas an Steinen
und Steinhaufen durchaus nicht für alle Teile des Landes
gleichmäßig gilt und gerade auch nicht für die Gegenden, in denen
man die Ebene Achor zu suchen hat? Denn mag sie ein Teil
des Jordangrabens zwischen Jericho und dem Toten Meer gewesen
sein, was ich noch immer nicht für ausgeschlossen halte6, oder
die Senke el-buke'a südwestlich davon auf der untersten Stufe
des judäischen Gebirges, wie neuerdings N o t h mit beachtenswerten
Gründen vorgeschlagen hat7, so handelt es sich doch auf
jeden Fall um eine Gegend, deren Bodenfläche nur an den Rändern
gegen die benachbarten Berge hin Steine und vielleicht auch
Steinhaufen aufzuweisen hatte, hingegen abseits der Ränder aus
weichen Ablagerungen des Diluviums oder Alluviums bestand.
Die Israeliten der Frühzeit hätten mit sehr stumpfen Augen durch
das ihnen verliehene Land gehen müssen, wenn ihnen ein Steinhaufen
in einer solchen Gegend nicht aufgefallen und der Erklä-

e) Dalman, PJB 9 (1913) S. 18 f. (zweiter Vorschlag); North, Geo-
graphia exegetica (1955) S. 26 f. (mir unzugänglich).
7) Noth, ZDPV 71 (1955) S. 52 ff.

rung bedürftig erschienen wäre; zur Schaffung einer ätiologischen
Sage war also hier für sie aller Anlaß gegeben, und die Frage kann
nur sein, ob dabei der historische Ausgangspunkt für die Entstehung
des Steinhaufens richtig getroffen ist". Mit den anderen
ätiologischen Erzählungen des Buches Josua verhält es sich ebenso
; die Ziele, auf die sie hinauslaufen, sind zwar sehr verschieden,
aber sämtlich ebenfalls so beschaffen, daß der früh erwachte historische
Sinn der Israeliten hier ein weites Feld der Betätigung
durch die Bildung ätiologischer Sagen fand.

Aber wenn Kaufmann schon den ätiologischen Charakter
der Erzählungen des Buches Josua nicht anerkennen will, so gibt
er doch zu, daß sie von Hause aus je in sich geschlossen waren und
daß ihre Zusammenstellung zu einer Reihe erst das sekundäre
Werk des Verfassers des ganzen Buches ist. Trotzdem möchte er
für diese Kompilation zugleich die Art und den Wert eines Werkes
echter Geschichtschreibung in Anspruch nehmen, indem der
historische Kernbestand der Ereignisse der Landnahme getreulich
festgehalten sei, wenn auch von den benutzten Vorlagen her da
und dort mit sagenhaften Ausschmückungen überlagert. Damit
ist meiner Meinung nach mehr behauptet, als was man nach der
j Natur der Dinge auch nur erwarten darf. Denn durch die An-
j einanderreihung ursprünglich selbständig gewesener Einzelerzählungen
, auch wenn sie noch so geschickt ausgeführt sein mag,
entsteht nun einmal kein echtes Geschichtswerk.

8) Auch wenn die Kombination des Steinhaufens mit der Steinigung
Achans irrig sein sollte, kann aber die letztere aus richtiger historischer
Erinnerung geschöpft sein.

Dieser Sammelbericht will das wiederaufnehmen, was in
ThLZ 1949 Sp. 211—22 zu diesem Thema ausgeführt worden ist.
Berücksichtigt waren in jenem Aufsatz vor allem die ersten Erscheinungen
nach dem Kriege, und das hieß zugleich nach einer
Zeit, die das AT diffamiert und seine Botschaft verzerrt oder
gar nicht hörbar werden ließ. Es gab damals neben beachtlichen
und verheißungsvollen Ansätzen auch manches, was als theologischer
Wildwuchs gekennzeichnet werden mußte, so daß jene
Übersicht nicht ohne Sorge angestellt wurde.

Inzwischen hat sich einiges geändert. Die Auslegung des AT
ist in ruhigere Bahnen gelangt. Verstiegenheiten verschiedener
Art sind zurückgedrängt, neubeschrittene Wege sind weiter begangen
worden. Die damals angezeigte katholische Auslegung
zum AT „Echter-Bibel" ist längst zu Ende geführt, und unmittelbar
nach der Veröffentlichung jenes Aufsatzes begann das AT
Deutsch zu erscheinen, das als eine Frucht der mancherlei Besinnungen
und Erwägungen über die Weise rechten Auslegens
des AT angesehen werden will und kann. Auch Eißfeldts Handbuch
geht weiter, und am Horizonte erscheinen gleich zwei andere
wissenschaftliche Kommentarwerke: der wiederkehrende
„Sellin", im Verlage Bertelsmann, und der Kommentar des Neu-
kirchener Verlages — ein eigenartiges Neuaufleben der Zeit um
die Jahrhundertwende, als der „Marti" neben dem „Nowack"
stand.

In welcher Art die neuen Kommentare die heutige Sicht
alttestamentlicher Wissenschaft zur Darstellung bringen, mag
die Zukunft deutlicher aufweisen. Dem Berichterstatter liegt es
hier ob, aus den ihm im Laufe mehrerer Jahre zur Anzeige über-
gebenen Werken alttestamentlicher Auslegung — die einen Ausschnitt
aus dem erschienenen Schrifttum darstellen — den Stand
der Sache zu erheben, wie er sich heute ergibt.

Zunächst liegt das Werk von Martin Thilo, von dem
damals vier Lieferungen erschienen waren, nunmehr vollständig
vor1. Die damals gegebene Charakterisierung ist auch für die

Zur neueren Auslegung des Alten Testaments

Zweites Stück
Von H. W. H e r t z b e r g, Kiel

weiteren Lieferungen die gleiche geblieben. Es handelt sich, wie
der Untertitel sagt, um eine Hilfe „für den Bibelleser", der die
offene (Luther)bibel vor sich hat und die ihm hier in die Hand
gegebene Auslegung daneben liest, um, wie die Leute von Beröa,
festzustellen, „ob sichs also verhielte". Für die Prosaschriften
wird, wenn überhaupt, der Luthertext gebracht, nur durch kurze,
oft treffende Bemerkungen unterbrochen. Die Chronik bleibt im
ganzen unausgelegt; einige Kapitel erscheinen bei den entsprechenden
Texten der Samuelbücher, der These des Vf. gemäß,
daß es sich in der Chronik um „eine Ergänzung" der älteren Geschichtsbücher
handele. Die dichterischen Bücher werden z. T.
(Hiob, Sprüche 1—9, 30 f., Prediger, Hohes Lied) in eigener Übersetzung
, die Psalmen, ein Teil des Sprudibuches und die Propheten
im Luthertext dargeboten, letztere allerdings so, daß
sehr oft eine wörtliche, dann sehr sorgfältige Übersetzung in
Klammern beigefügt wird. Bisweilen (z.B. Psalm 73, 17 „Gottes
Geheimnis" statt „Heiligtum Gottes") wird der Luthertext geändert
. Gegen das Prinzip, so weit wie möglich vom Luthertext
auszugehen, ist in Ansehung des Zweckes dieses Werkes nichts
einzuwenden. Wo eine eigene Übersetzung gegeben wird, bemüht
sich der Vf. um Verständlichkeit. Die Haltung dem Text
gegenüber ist sehr konservativ, obwohl gelegentlich die Möglichkeit
eines Schreibfehlers zugegeben wird. Die gleiche Einstellung
liegt den Einleitungsfragen gegenüber vor, soweit sie
Berücksichtigung finden. Bei den Kleinen Propheten z. B. ist
das nicht der Fall. Was Deuterojesaja anbetrifft, wird in IV S. 77
immerhin der „Zweifel" offen gelassen, „ob die in diesen -Kapiteln
enthaltenen Reden als Reden des Propheten Jesaja, des
Sohnes des Amoz, gelesen werden sollen oder nicht". Für das
Ganze gilt: der Vf. nimmt den Text so, wie er da steht, und
sucht sich damit abzufinden. Sachliche Schwierigkeiten werden
im allgemeinen umgangen, Kritik am AT wird vermieden; selbst
z. B. das Verfahren der Juden in Est. 9 wird verstehend begründet
. Die apologetische Absicht des Werkes ist unverkennbar. Der
Vf. möchte dem Leser über Klippen des Verständnisses und der

*) Thilo, Martin, Dr.: Das Alte Testament ausgelegt für Bibelleser
. 2. Bd.: Die Bücher Josua bis Esther. 3. Bd.: Die Lehrbücher.
Geschichte des Morgenlandes zur biblischen Zeit. Stellenregister. 4. Bd.:

Die prophetischen Bücher. Gütersloh: Bertelsmann [1949—51]. II, 519 S..
II, 3 56 S., 2 Tab., lKt.; II, 488 S. gr. 8°. 2. u. 4. Bd. je DM 16.-.
Hlw. DM 20.-; 3. Bd. DM 12.-, Hlw. DM 16.-.