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Ausgabe:

1956 Nr. 9

Spalte:

521-528

Autor/Hrsg.:

Alt, Albrecht

Titel/Untertitel:

Utopien 1956

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 9

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auch von ihm selbst so gewertet, denn einige haben Aufnahme
unter die „Kleinen Schriften" gefunden, so etwa die Arbeit über
Hos. 5, 8 bis 6, 6 und über Jes. 8, 23 bis 9, 6. Als Exeget hat er
weitgehend unter dem Einfluß von Bernhard Duhm gestanden,
dessen exegetische Art und exegetischer Spürsinn ihn deutlich beeindruckt
haben. Im Gebrauch des massoretischen und griechischen
Textes spürt man den Einfluß. Aber er ist auch hier wieder doch
ganz der Eigenständige, etwa in der Exegese der berühmten mes-
sianischen Perikope aus Jes. 9, 1—6. Vermöge seiner territorial-
geschichtlichen Deutung weiß er diesem Text einen historischen
Sinn zu geben, fernab von aller messianischen Deutung, die er
ablehnte, weil sie unnötig mit der Frage der Esdiatologie belastet
war. Es ist bedauerlich, daß er zum Theologentag 1954 sich nicht
entschließen konnte aus zeitlichen Gründen, den ihm angetragenen
Vortrag über „Alttestamentlidie Esdiatologie" zu übernehmen
. Die Alttestamentliche Wissenschaft hätte von seiner Art,
die hier aufgegebenen Probleme zu sehen und zu lösen, sicher unendlich
viel gelernt. Er liebte den vieldeutigen, aber auch in der
modernen Theologie vielgeliebten Begriff nicht und keineswegs
in der Anwendung auf das Alte Testament, wenigstens nicht in
seinen älteren Bestandteilen. Er wußte deutlich genug um die
Diesseitigkeit und Immanenz des alttestamentlichen Denkens, um
einen aus anderen Denksphären stammenden Begriff so ohne weiteres
auf die alttestamentliche Denkwelt zu übertragen. Mag man
ihm auch nicht zustimmen können, auf alle Fälle ist die unbestechlich
kühle Art, die geistigen Verhältnisse des Alten Testaments
zu sehen und einzuschätzen, für uns ein großer innerer Gewinn.
Sein Widerstand gegen manche moderne Vergewaltigung des alt-
testamentlichen Textes muß uns ein Warnruf für weitere Zeiten
bleiben. Albrecht Alt war nicht der Alttestamentler, der zu Konzessionen
aus theologischen Geschmacksgründen bereit war. Die
Grundlage der Exegese ist der Text, dessen älteste und beste Gestalt
zu Grunde gelegt werden muß. Wie wichtig unserem Meister
die Arbeit am Text war, beweist auch seine fürsorgliche Mitarbeit
an der Herausgabe der Biblia Hebraica von Kittel. Als die
Württembergische Bibelgesellschaft nach dem zweiten Weltkrieg
neue Ausgaben veranstaltete, hat er monatelang seine Arbeitskraft
der Durchsicht des Textes gewidmet. Wenn unsere junge
lernende Generation ihren ,,Kodex" zur Hand nimmt, soll sie
dankbaren Herzens auch dieser Arbeit unseres Verewigten gedenken
.

IV.

Ein reiches Lebenswerk wie das unseres Meisters in einer
knappen akademischen Stunde erschöpfend darstellen zu wollen,
wäre eine Vermessenheit. Man kann abbrechen, wo man will,
man wird stets den Eindruck haben müssen, nur Stückwerk gesagt
zu haben. Aber auf ein Gebiet muß noch hingewiesen werden, auf
dem entscheidende Erkenntnisse von ihm ausgegangen sind. Das
ist das Gebiet der Gattungsforschung. Nachdem die von Gunkel
und Greßmann ausgehende Forschungsrichtung sich der Erforschung
der Prosa- und poetischen Gattungen unter ästhetischem Gesichtspunkt
zugewendet hatte, ist das Ergebnis dieser Forschung aus unserer
Wissenschaft nicht mehr fortzudenken. Wer unseren Meister
als Psalmenexegeten kennengelernt hat, weiß, wie er diese Forschung
hochschätzte bei allen Schwächen und Unzulänglichkeiten,
die er hier sah. Seine Exegese von Ps. 29 zeigte das deutlich.

Er hat seinerseits die Gattungsforschung auf dem Gebiet der
Rechtskultur in Angriff genommen, nachdem auf dem Alttesta-
mentler-Tag 1921 in Leipzig Rudolf Kittel darauf hingewiesen
hatte, daß die Erforschung des altorientalischen Rechtslebens eine
vordringliche Vorarbeit sei für die Eruierung der israelitischen
Rechtskultur. Unser Meister ist dieser Frage selbständig nachgegangen
in seiner berühmten Schrift über „Die Ursprünge des israelitischen
Rechts". Die Art, wie er hier die Israel eigene Rechtsgattung
herausgearbeitet hat, zeigt ihn als den feinsinnigen Beob-
j achter des alttestamentlichen Textes einerseits wie auch den weitgespannten
Forscher, der aus Island entlegenes Analogiematerial
herbeiholt, um zu zeigen, daß Israel in manchen Zügen seiner
Rechtskultur nicht allein in der Welt steht. In dieser Schrift hat er
der im wesentlichen literarkritisch arbeitenden Forschung den Rük-
ken gestärkt durch seine gattungsgeschichtlichen Beobachtungen.
Zugleich gewann der Historiker neues Material, um die Auseinandersetzungen
Israels mit seiner Umwelt zu zeigen wie auch die
Bewahrung der religiösen und nationalen Eigenart in einer neuen
Umwelt. Zahlreiche Forschungen auf diesem Gebiet, die seit Erscheinen
dieser Schrift angestellt worden sind, auch Dissertationen
, die aus seiner Schule hervorgegangen sind, beweisen, wie
hier aus seiner Kenntnis der Rechtsgeschichte des Alten Orients
Bleibendes gesagt worden war.

V.

Wo wir auch abbrechen mögen, wir bleiben unvollkommen
| in dem, was wir von ihm gesagt haben. In diesem Eingeständnis
der Schwäche einer vollkommenen Würdigung liegt zugleich eine
dankbare verehrende Anerkennung der Größe unseres Meisters
und seiner Leistung.

Will man versuchen zusammenzufassen, so wird man sagen
müssen: Er hat gar nicht so sehr in der Reihe der anderen Wissenschaftler
gestanden. Er ist im Grunde genommen nie eines
Lehrers Schüler gewesen. Er ist von Anbeginn an eigenständig
gewesen, von dem eigenständigen Urteil des Studenten im Babel-
Bibel-Streit angefangen bis hin zur vollen Entfaltung seines Werkes
. Er knüpft an Eduard Meyer an, aber er führt weiter und gewinnt
neue Erkenntnisse. Er knüpft weder ganz an Kittel noch
an Greßmann an, nicht einmal an Bernhard Duhm, dem er doch
so nahestand. Er ist über Zeitgenossen und zeitgenössische Wissenschaft
herausgewachsen in seinem eigenen Werk von einer seltenen
Weite und Reichkraft. Sollen wir ihn mit William Albright
mit bestem Recht den größten Historiker Israels in der Moderne
nennen? Vielleicht ist das noch zu wenig. Vielleicht muß man
doch den Satz prägen und ihn zu bekennen wagen: Albrecht Alt
hat aus charakterlicher und ethischer Eigenart und aus eigenem
weitgespannten Forschen ein eigenes Werk geschaffen, das nach
seinem wissenschaftlichen Ertrag, seiner ethischen Haltung und
seinen theologischen Zusammenhängen richtungweisend und anregend
bleiben wird für viele Generationen. Auf seinen Namen
wird ein späteres Jahrhundert ehrfurchtsvoll und dankbar blicken,
so wie wir heute etwa auf den Namen von Heinrich Ewald im
19. Jahrhundert verehrend blicken.

Utopien

Von Albrecht A 11 tl

Gegen die Auffassung der Überlieferungen des Alten Testa- j er in dem beschränkten Raum eines Zeitschriftenaufsatzes nur
ments über die Landnahme der israelitischen Stämme in Kanaan einen Teil dessen zur Sprache bringen konnte, was hier erwogen
und gegen die aus dieser Auffassung folgende Ansicht von dem werden muß, wenn ein zutreffendes Gesamtbild Zustandekommen
geschichtlichen Zusammenhang und Ablauf der zugehörigen Er- soll. Auch ich darf mir in den folgenden Ausführungen keine er-
eignisse, die Yehezkel Kaufmann in seiner Schrift „The schöpfende Darstellung zum Ziel setzen; dazu wäre ein Buch von

Biblical Account of the Conquest of Palestine" (Jerusalem 1953)
vorgetragen hat, sind schon von E i ß f e I d t an anderer Stelle erhebliche
Bedenken sowohl von der literarischen wie von der historischen
Seite her geltend gemacht worden'. Es greifen hier

mindestens demselben Umfang wie Kaufmanns Schrift erforderlich
. Vielleicht ist es aber dem Leser, der sich ein eigenes Urteil
bilden will, eine gewisse Hilfe, wenn ich ihn ohne jeden Anspruch
auf Vollständigkeit noch an einige Gesichtspunkte er-

aber so viele und so verschiedenartige Probleme ineinander, daß innere, die bei dem heutigen Stand der Forschung in jedem Falle

~7T~Z--■ berücksichtigt werden müssen.

) Zum Druck besorgt von O. Eißfeldt, Halle 'S. k ', , w . , r . ,

) WO 2, 2 (1955) S 158 ff • vgl auch OLZ 50 (1955) Sp. 534 f. Natürlich muß dabei zuerst von den literarischen Uestaltun-