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Ausgabe:

1956

Spalte:

465

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hessen, Johannes

Titel/Untertitel:

Religionsphilosophie 1956

Rezensent:

Hermann, Rudolf

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465

Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 7/8

466

Wessel, K.: Neue Funde und Untersuchungen zum Frühchristlichen
Kirdienbau in Deutschland.

Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst Moritz Arndt - Universität
Greifswald. Gesellsdiafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 4/5 IV,
1954/55 S. 345—365.

PHILOSOPHIE VND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Hessen, Johannes, Prof. D. Dr.: Religionsphilosophie. 2. Aufl. I.: Methoden
und Gestalten der Religionsphilosophie. II.: System der Religionsphilosophie
. München/Basel: Reinhardt 1955. 306 u. 338 S.
gr. 8°. Kart. DM 28.-; Lw. DM 32.-.

Über die erste Auflage dieses Werkes hat der Unterzeichnete
sehr ausführl ich in ThLZ 1951. Nr. 8. Sp. 449/462 berichtet.
Da es sich bei dieser 2. Auflage im wesentlichen um einen Neudruck
handelt, so darf die Anzeige kurz sein. Der Vf. teilt in
einem Vorwort mit, daß „der Text einer sorgfältigen Durchsicht
unterzogen und, wo es angebracht schien, verbessert" wurde.
Papier und Ausstattung sind wesentlich besser als in der Notzeit
von 1948 (Der Verlag damals, ebenfalls sehr verdienstlich
in dem Wagnis eines so umfangreichen Werkes, war Dr. Hans
von Chamier, Essen). Erfreulicherweise sind in der 2. Auflage
Randüberschriften hinzugetreten. Schade, daß nicht die Seitenzahlen
der 1. Auflage am Rande vermerkt sind. Kleine Unstimmigkeiten
im Register, etwa beim Namen Kierkegaard, sind kaum
der Rede wert.

Wir dürfen uns also freuen, daß dieses Buch, das, wie der
Vf. mitteilt, „über 4 Kontinente . . . gewandert" ist, jetzt neu
greifbar zu Diensten steht. Sein Dienst ist in der Tat unentbehrlich
. Es ist auch heute noch das zuverlässigste und bestgeschriebene
Stand- und Grundlagenwerk für alle religionsphilosophische
Arbeit.

Wenn der Vf. freilich schreibt: „Zu sachlichen Änderungen
lag um so weniger Grund vor, als seit Erscheinen meines Werkes
auf religionsphilosophischem Gebiete nichts Wesentliches
hinzugekommen ist, — so mag eben jetzt eine andere Form der
2. Auflage nicht möglich gewesen sein. Aber daß auch das Vorwort
zur eigentlichen Sache nichts bringt, leuchtet durch die zitierte
, etwas genügsame, Begründung nicht völlig ein. Wäre, um
nur einiges zu erwähnen, nicht die Religionsphilosophie von
Othmar Spann der Erwähnung wert gewesen? Oder auch der religionsphilosophische
Entwurf von Günther Jacoby in der Festschrift
für Hessen selber? Bedeutet der Fortgang der Kierkegaardforschung
, über den Liselotte Richter in ThLZ 1952, Sp. 141
berichtet, so wenig? Bieten die religionswissenschaftlichen Kongresse
, etwa der von 1953 mit dem Generalthema: „Auseinandersetzung
und Zusammenarbeit der großen Religionen" nicht
wesentliche Fragestellungen? Audi auf Bedenken und Einwände
hätte man wohl eine Resonanz im Vorwort erhoffen können.
Wenigstens war die Rezension des Unterzeichneten, die der
Vf. im Vorwort als Zeichen der starken Beachtung seines Werkes
unterstreicht, auch deshalb so ausführlich, weil sie, bei hoher und
aufrichtiger Anerkennung, zugleich Auseinandersetzung bieten
wollte.

Aber welche Gründe den Vf. auch bestimmt haben mögen,
auf sachliche Eingriffe, bzw. auf Äußerungen zur Sache, zu verzichten
, — auf alle Fälle gehört Hessens Religionsphilosophie in
jede wissenschaftliche Bibliothek, in möglichst viele Studierstuben
sowie in die Hände aller an der Sache nicht nur wissenschaftlich
, sondern auch persönlich Beteiligten, einschließlich sol-
oier, die suchen oder zweifeln. Das konfessionelle Moment tritt,
natürlich nicht letzten Endes (in der Bevorzugung bestimmter
Denkmethoden und Begriffsbildungen), aber doch weithin in
dankenswerter Weise zurück. Das Buch kann von jedem philosophisch
interessierten Gebildeten verstanden weiden.

Berlin Rudolf Hermann

Tschirch, Fritz, Prof. Dr.: Weltbild, Denkform und Sprachgestalt-
Grundauffassungen und Fragestellungen in der heutigen Sprachwissenschaft
. Berlin: Renner 1954. 104 S. 8° = Erkenntnis und Glaube.
Schriften d. Ev. Forschungsakademie Ilsenburg H. 13. DM 6.80.

Es ist in einer von der Technik beherrschten Zeit, die dein
Grundsatz der polytechnischen Bildung huldigt, in der Sprache

nur noch ein schlecht gepflegtes, oft mißhandeltes Verständigungsmittel
.ist, schwer, für sprachwissenschaftliche Dinge Gehör
zu finden. Die vorliegende Schrift versucht es. Es geht ihr nicht
um Feststellungen und Gesetzmäßigkeiten sprachlichen Verhaltens
und Seins, nicht um die Frage „Was ist?" — wiewohl auch
da heute noch vieles fragenswert ist, wie uns z. B. der eben erscheinende
Wortatlas Mitzkas mit bestürzender Deutlichkeit
zeigt —, ihr liegt vielmehr die hintergründige Frage nach dem
„Warum ist das alles so?" am Herzen — und die führt durch die
nur scheinbar vordergründige Sprache hindurch zum Sprachträger,
zum Menschen. Sie will in eine Sprachgeschichte einführen, die
Aufschlüsse darüber geben soll, wie der Mensch in seiner Eigenart
geworden ist, sie ist überzeugt, daß die Sprachgeschichte die
Geister vergangener Jahrhunderte und Jahrtausende zu beschwören
vermag, daß man, nach einem Wort Cola Minis, mit ihr am
weitesten zurückgreifen kann ins Geheimnis Mensch.

Was die Forschung in stiller, von der breiteren Allgemeinheit
zumeist übersehener Arbeit der letzten Jahrzehnte zögernd
und nun immer zupackender gesichert oder wahrscheinlich gemacht
hat, worum sie sich heute heißen Herzens, wenn auch nicht
unter allgemeiner Zustimmung müht — bei uns in Deutschland
ist diese Arbeit gegenwärtig weithin mit dem Namen Weisgerbers
verbunden —, wird hier in recht lesbarer, manchmal erregender
Weise vor einem größeren Leserkreis ausgebreitet. Da wird
z. B. an dem Gegenüber von lat. c a n t a v i und deutsch i c h
habe gesungen gezeigt, wie das, was zunächst einheitliche

j Wahrnehmungstatsache ist, dem menschlichen Nachdenken als
komplexe Größe erscheint, wie der spätere Mensch sie nach dem
Geschehen, dem Handlungsträger und der Zeit auseinanderlegt,
oder es wird an Beispielen wie deutsch ich heirate, was

i Mann und Frau sagen können, gegenüber von lat. in m a t r i-
m o nium dueo, uxorem dueo und russisch z e n-
J 11 s j „ich versehe mich mit einem Weibe", was nur der Mann
sagen kann, und dem von der Frau gebrauchten lat. n u b o „ich
verschleiere mich" und russ. vychozu zamiiz „ich gehe
hinter dem Mann heraus" dargestellt, wie der menschliche Geist
sich müht, über die erdrückende Fülle konkreter Wirklichkeit
durch Denkakte zu systematisierenden und abstrahierenden Oberbegriffen
zu kommen, die freilich nun blasser, nicht mehr so
wirklichkeitsgesättigt sind, die nicht so sehr die einzelnen Wesenszüge
, sondern die wesentlichen Umrisse, nicht mehr das Individuelle
, sondern das Typische herausheben, die ihm aber
Uberschau, Ordnung, Herrschaft ermöglichen.

An Hand urtümlicher Reste mannigfachster Art in unserer
Sprache und in der anderer Völker, auf Grund der sogenannten
Ausnahmen der Grammatik, wird in eine sehr frühe Welterfassung
hineingeleuchtet, wird aufgezeigt, wie sich über das Feststellen
objektiver Tatbestände hinaus der Blick für das subjektive
Verhalten des Menschen öffnet, wie er die Gegebenheiten
nicht nur wahrnimmt, sondern allmählich seelisch durchdringt, wie
sich dem zunächst in Dämonenfurcht befangenen Menschen die
Welt allmählich entdämonisiert, wie er das, was er erst am Außen
wahrnimmt, auch von innen her erfaßt und dieses Innen ihm
schließlich wichtiger wird als das Außen usw.

Und schließlich wird nach Humboldts Vorgang von der
Sprache als einer wirkenden Kraft gehandelt. Es ist gewöhnlich
nicht leicht, einzusehen — und man will es nicht gern einsehen —,
daß die Sprache des Menschen Tun und Denken bestimmt und
beherrscht, auch wenn er behauptet, er beherrsche sie, daß die
Sprache schon vielfach gewertet hat, wenn der Sprecher sich anschickt
zu werten, daß die Sprache eine Weltsicht aufzwingt, der
man sich, wenn man einmal in diese Sprache hineingewachsen ist,
nicht entziehen kann, die in langer Arbeit vorausgehender Geschlechter
geschaffen ist und die sich von Sprachvolk zu Sprachvolk
wandelt.

Ein Anmerkungsanhang sichert die vorgebrachten Meinungen
und gibt dem Leser die Möglichkeit, sich in die vorhandene,
oft entlegene Literatur weiter hineinzuarbeiten. Dem Büchlein
sind viele nachdenkliche Leser zu wünschen, denen Sprache und
vorab Muttersprache mehr als alltägliche Selbstverständlichkeit
ist.

Halle/Saale Karl Bischoff