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Ausgabe:

1956

Spalte:

459

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Svenskt kyrkoliv i Finland, årsbok 1954 1956

Rezensent:

Israel, Friedrich

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459

Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 7/8

460

Über den praktischen Zweck hinaus, nämlich in die für die
ganze evangelische Christenheit bedeutsame Grundordnung der
EKD einzuführen, hat das Werk Brunottes grundsätzliches Gewicht
, weil es dem Theologen und dem Kirchenjuristen, aber —
wie wir meinen — auch dem Staatsrechtler deutlich machen kann,
wie eng heute in der Kirche Recht und Bekenntnis aufeinander
bezogen sind. Daß sich vom reformierten Bekenntnis aus hinsichtlich
der Verfassung der Kirche andere Schlußfolgerungen ergeben
als vom lutherischen Bekenntnis, für das nach Brunottes
Urteil nur die rechte Zuordnung von Amt und Gemeinde in der
kirchlichen Ordnung entscheidend ist, wird ebenso klar wie die
als Frucht der letzten Jahrzehnte unaufgebbar gewordene Autonomie
kirchlichen Handelns und Gestaltens auch auf der kirchenrechtlichen
Ebene. Mancher mag beim Studium dieses Buches erneut
die nun einmal geschichtlich gegebenen konfessionellen
Spannungen angesichts der doch tatsächlich vorhandenen großen
Gemeinschaft der deutschen evangelischen Christenheit schmerzhaft
spüren. Je nüchterner und realistischer man aber, von Bru-
notte sachkundig belehrt, diese Tatbestände in Sicht bekommt,
umso mehr bleibt der Theologe und der Kirchenjurist vor einer
schwärmerischen Gestaltung des Kirchenrechts und der kirchlichen
Ordnung bewahrt.

Das Buch wird sich für den kirchlichen Praktiker wie für den
Kirchenhistoriker, aber auch für den Systematiker und Kirchenjuristen
als unentbehrliches Rüstzeug erweisen.

Greifswald Friedrich*Wilhelm Krummacher

Svenskt kyrkoliv i F i n 1 a n d, ärsbok 1954, 171 S.; 1955,
162 S. (32. und 33. Jahrg.)

Finnland hat zwei Staatssprachen, wie auf den Briefmarken
zu sehen ist: finnisch Suomi, und schwedisch Finnland. Die 82
schwedischen Gemeinden, einschließlich der beiden deutschen, haben
seit 1923 ein eigenes Bistum Borgä. Die beiden vorliegenden
Jahrbücher, beneidenswert ausgestattet und mit mannigfachen
Bildern versehen, zeugen von dem reichen geistlichen und theologischen
Leben in diesem Teil der ev.-luth. Volkskirche Finnlands.
Darüber hinaus berichten sie auch vom kirchlichen Leben der finnisch
sprechenden Sprachgruppe, die sich in fünf Bistümer gliedert,
sowie aufschlußreich von den andern nordischen Kirchen.

Das schwedische Bistum wurde bisher über 30 Jahre lang von
Bischof Max von Bonsdorff verwaltet. Der Herausgeber des
Jahrbuches 1954, der Professor für praktische Theologie Georg
Olof Rosenqvist ist am 1. Mai 1954 zum Bischof von Borgä gewählt
worden. Dem Bischofswechsel sind manche Aufsätze gewidmet
, und auf dem Vorsatzbild des Jahrbuches 195 5 sind beide
Bischöfe in den erlesenen Farben ihrer Ornate zu sehen.

Das Verzeichnis der schwedischen kirchlichen und theologischen
Literatur in Finnland hat für 195 3 nicht weniger als 67
Nummern, 1954 nur 26, dazu je 20 Zeitungen und Zeitschriften.
— Aus der Fülle der erbaulichen, schöngeistigen und kirchlich-
statistischen Aufsätze sei weniges herausgegriffen: 1954: Eindrücke
aus dem Lande Israel, vom Prof. d. alttest. Theol. Helmcr
Ringgren. Die Schwachsinnigen, von Prof. Donner. 1955: Der
Kirchweg — Romantik und Problem, von Probst Geber. Mittelalterliche
Wandmalereien in Finnlands Kirchen, mit 5 Bildern,
vom Staatsarchäologen Nordman. (Hier S. 61 der einzige Druckfehler
: Taddeus.)

Leipzig Friedrich Ostarhild

P e r r i n, Henri: Tagebuch eines Arbeiterpriesters. Aufzeichnungen
1943/44. München: Kösel [1955]. 352 S., 1 Titelb. 8°. Lw. DM 13.50.

Der Titel kann irreleiten; das Buch führt nämlich nicht nach
Frankreich, sondern nach Deutschland. Perrin, ein junger Jesuit,
läßt sich 1943 in Frankreich als Industriearbeiter anwerben, um
nach kurzer Ausbildung als Dreher in Deutschland unter den Zehntausenden
von französischen Arbeitern und Kriegsgefangenen als
Seelsorger dienen zu können. Er landet in Leipzig und beginnt
im mitteldeutschen Industrieraum in seiner Freizeit eine geistliche
Wirksamkeit, von der man mit stärkster Anteilnahme Kenntnis
nimmt. Neben ihm tauchen andere als Arbeiter getarnte Priester
auf. Obgleich sich das Buch in weiten Partien wie ein Roman liest,
wozu auch das einige Male gebrauchte Wort „Abenteuer" verführen
wird, sei vor jedem Versuch einer Verharmlosung auf das
nachdrücklichste gewarnt. Welchen Wert hat es schon als Dokument
eines Zeitgeschehens, das sich der Beobachtung der gesamten
Öffentlichkeit entzogen haben dürfte! Priester in Arbeiterkluft
ziehen im Herzen Deutschlands in ihreT Freizeit von Lager
zu Lager, sammeln die französischen christlichen Pfadfinder und
die Seminaristen, rüsten sie im Geheimen für den missionarischen
Dienst zu und feiern mit ihnen und anderen Gläubigen in ländlichen
Gasthausstuben, in Dorfkirchen oder unter freiem Himmel
die Messe, immer belauert von der Gestapo, der auch Perrin erliegt
, so daß die zweite Hälfte des Buches uns in ein Leipziger
Gefängnis führt. In unübersehlichen Massen von Entchristlichten
und praktischen Atheisten bilden sich unter Verhältnissen, die an
frühchristliche Situationen erinnern, Zellen christlichen Gemeinschaftsieb
ens. Auf unauffälligen Spaziergängen in der freien Natur
, in Winkeln von Fabrikräumen und Kantinen, in der Ecke
eines Waschraumes, selbst in der Gefängniszelle wird das Abendmahlsbrot
gespendet, — einzigartige Kommunionfeiern, die in der
Kirchengeschichte ihresgleichen suchen dürften. Durch den Stacheldrahtzaun
eines Kriegsgefangenenlagers hindurch beichtet
heimlich der eine und absolviert ebenso heimlich der andere. Zur
vita communis erfahren wir: „Einige Seminaristen legen alle Pakete
, die sie in der Woche erhalten haben, zusammen, und am
Sonnabend veranstalten sie ein richtiges Brudermahl, zu dem sie
zwei oder drei Kameraden einladen, die nie ein Paket bekommen",
lirchristliche Liebesmahle werden erneuert: „Dann teilen wir auf
demselben Tisch, auf dem soeben das heilige Opfer gefeiert wurde,
ein brüderliches Mahl", — und das in einem Milieu, in dem man
„vor Eigennutz umkommt". Gefängnismonate werden in den
Dienst der Bruderliebe gestellt und zu Meditationsübungen und
Exerzitien genutzt. Möchte doch in der entchristlichten Welt das
muffige Ghettochristentum überwunden werden, „jenes farblos
nichtssagende Leben der sogenannten praktizierenden Katholiken,
die immer nur brav hinter ihren Pfarrern hertrotten"! Wir kennen
kein Dokument, das dem billigen Gefühls- und Gewohnheits-
christentum solche Absage erteilte wie Perrins Buch. Nebenbei
hören wir einmal, daß hohe Dispense — der Kardinal von Paris
Suhard wird in diesem Zusammenhang genannt — die ungewöhnlichen
Formen des liturgischen Lebens ermöglicht hätten. Nicht
zuletzt werden wir auch den Hinweis auf die Weite und Tiefe
christlichen Menschentums schuldig sein, das in den zugespitztesten
Situationen unter Zwangsarbeitern und Gefangenen seine
schönsten Bewährungsproben bestand. Nachdem wir Deutschen
von aller Welt geächtet waren, sind wir besonders dankbar für
das, was der Christ Perrin über uns sagt. Kein Wort der Ungerechtigkeit
oder des Hasses, dafür viel Lob, wo es am Platze ist,
- für unsere öffentliche Ordnung, unser Vertrauen in den häuslichen
Frieden, für die wahre Brüderlichkeit der deutschen Priester
, für die vorbildliche liturgische Haltung deutscher Jugend
in den Gottesdiensten. „In den drei Monaten meines Hierseins
habe ich noch kein Wort gegen Frankreich gehört. .. überall bin
ich Sympathie, Achtung und Wertschätzung begegnet". Selbst im
Gefängnis sind Wärter, denen Menschlichkeit nachgerühmt werden
kann, keine einmalige Seltenheit. Wo Perrin bei seinen Leidensgenossen
grundsätzlich feindselige Einstellung gegen die Deutschen
fand, hat er sie als unchristlich bekämpft.

Wertvoll dürfte auch die Mitteilung sein, daß Perrin bei den
deutschen Priestern auf genaue Kenntnisse über die geistigen Bewegungen
im französischen Katholizismus der Gegenwart stieß.
„Lange Abendgespräche über die Erneuerung des französischen
Katholizismus; über Claudel und Bernanos, Peguy und Maritain,
deren Werke hier viel gelesen werden"; an einer späteren Stelle
werden noch Hello und Jammes genannt und von den Deutschen
Heidegger.

Alles in allem: ein ungewöhnliches Buch, das den Leser nicht
losläßt und tief beunruhigt. Es hat eine Sendung an der Christenheit
zu erfüllen.

Perrin ist am 25. Oktober 1954 in Paris tödlich verunglückt,
im Alter von 40 Jahren.

Rostock O. Holti