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Ausgabe:

1956

Spalte:

439

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dibelius, Martin

Titel/Untertitel:

Die Pastoralbriefe 1956

Rezensent:

Seesemann, Heinrich

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439

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mann selbstverständlichen Ergebnisse ihrer historischen Erforschung
fruchtbar gemacht werden für das Verständnis des Neuen
Testaments durch den Bibelleser. Die Überwindung der Esoterik
der Wissenschaft ist auch im „nur" historischen Bereich des Neuen
Testaments eine dringende Aufgabe; wie sie sinnvoll geschehen
kann, zeigt das vorliegende Buch.

Halle/S. Gerhard Delling

Dibelius, Martin, Prof. D. Dr., D.D. f: Die Pastoralbriefe erklärt.
3. Aufl. neu bearb. v. H. C o n z e 1 m a n n. Tübingen: Mohr 1955.
III, 118 S. gr. 8° = Handbuch zum Neuen Testament, 13. DM 7.20;
Hlw. DM 9.60.

Wir müssen Conzelmann für die Neubearbeitung des Kommentars
von Dibelius zu den Pastoralbriefen (zuletzt erschienen
in 2. Auflage 1931) herzlich dankbar sein. Diese Neubearbeitung,
die den Text von Dibelius vielfach unverändert übernimmt und
nur wenig streicht, ist zugleich in jeder Weise eine gute Weiterführung
der Arbeit an den Pastoralbriefen. Das bezieht sich zunächst
auf die Einfügung der seit 1931 erschienenen Literatur
sowie neuer Beleg- und Vergleichsstellen (bes. aus der sog. Sektenschrift
), sodann aber auch auf die schärfeTe Herausarbeitung
des theologischen Charakters der Briefe. Conzelmann hat Recht,
wenn er schreibt: „die geschichtliche Beurteilung der Past leidet
weithin unter der einseitigen Betonung der Echtheitsfrage" (S. 7).
Darum geht er auf ihren theologischen Charakter sowohl in dei
Einleitung als auch in der Erweiterung mancher Exkurse ausführlich
ein. Er übernimmt im wesentlichen die Beurteilung von Dibelius
, schränkt aber die Beurteilung der „Bürgerlichkeit" ein:
„Die Bürgerlichkeit wird nicht Weltfrömmigkeit, die Berufung
auf Schöpfer und Schöpfungsordnung wird nicht zur Weltbetrachtung
entfaltet" (7); „ ... diese (Bürgerlichkeit) findet ihre Grenze
an der Situation des Bekennens" (32). Wesentlich erscheint
auch das Hervorheben der Beurteilung, die Paulus in den Past
findet: „Er erscheint als Garant der Tradition, Deuter der Gegenwart
, Vorbild des Lebens, speziell des Leidens" (8); „...er
wird als ein Typ christlicher Existenz überhaupt geschildert"
(97). — Conzelmann hebt immer wieder die Bedeutung der Tradition
in den Past hervor (vgl. die Einleitung oder S. 47); „das
Traditionsgut wird nicht interpretiert, sondern eingeschärft und
als die heilsame Lehre für die Gegenwart erklärt" (8); darum
will er die vyiaivova didaaxaUa nicht nur rationalistisch verstehen
, sondern als „das im Sinn fester Lehrtradition verstandene
Evangelium" (21).

Diese wenigen Hinweise genügen, um darauf hinzuweisen,
daß wir hier einen Kommentar vorliegen haben, der seine Aufgabe
— gerade als „Handbuch" — insofern vorzüglich erfüllt, als
er dem Benutzer in jeder Weise alles Material darbietet, das er
zur Exegese braucht. Ebenso gibt er ihm die gute Möglichkeit,
die theologischen Fragen zu durchdenken und an Hand der genannten
Literatur weiter durchzuarbeiten.

Frankfurt a. M. H. Seesemann

K n o x, Wilfred L.: The Sources of the Synopric Cospels. Vol. I St.
Mark. Ed. by H. C h a d w i c k. London: Cambridge University Press
1953. XIV, 162 S. 8°. Lw. S. 21/-.

Neben der formgeschichtlichen Arbeit, die von 1919 ab in
steigendem Maße das Feld der Evangelienforschung beherrschte,
hatte sich immer, wenn auch als Nebenstrom, die Frage erhalten,
welche Spuren zusammenhängender Quellen sich in den Evangelien
feststellen ließen. In der Tat bedeutete das Aufspüren der
ersten und kleinsten Überlieferungseinheiten nicht, daß damit die
ganze Vorgeschichte der Evangelien aufgeklärt sei. Es war auch
nicht anzunehmen, daß etwa Markus der erste Sammler solcher
Einheiten war. Im Gegenteil: mindestens die Leidensgeschichte
erwies sich gerade unter der formkritischen Betrachtung als älterer
Quell faden. Aber war sie der einzige?

Das posthum erschienene Buch von K., erster Teil eines Werkes
, in dem nach Mk. auch noch Lk. und Mt. behandelt werden
sollen, versteht das zweite Evangelium ganz überwiegend als eine
— übrigens nicht besonders geschickte — Ineinanderarbeitung älterer
Quellen.

Als erstes wird eine Sammlung Streit-Geschichten untersucht
, die — anders als bei M. Albertz — bereits mit 1,40—45 einsetzt
: Jesus zeige, daß er nicht mit Gesetzesübertretung beginnt. Das
Kolorit ist palästinisch, der Aufbau ohne Anspruch auf chronologische
Genauigkeit: bald treten die Pharisäer bereits als die verschworenen
Gegner Jesu auf, bald beschränkt sich ihr Tadel auf die Jünger. Das
von Mk. 1,40 bis 3,6 verarbeitete Stück endet so, daß es (vielleicht
unter Einschluß der Zinsgroschengeschichte: „Herodianer" 3,6 und
12, 13) als Einleitung zu einer Passionsgeschichte gedient haben könnte.
Mit Mk. 3, 7 setzt dann die bereits von Ed. Meyer entdeckte, aber etwas
anders abgegrenzte Zwölferquelle ein. Aus ihr stammen
3, 7—15; 6, 7—13. 30—32 (53—56? S.u.); 9, 33—35. 38—40; 10,32
bis 41; 11, 11; 14, 1 f. 10 f. 17—21 usw. s.u. Dazu aus Lk., der ebenfalls
Zugang zu dieser Quelle hatte, 8, 1—3; 22, 15—18. usw. s.u. Die
Quelle ist charakterisiert durch die Bezeichnung des festen Jüngerkreises
als „die Zwölf", durch ein besonderes Interesse an einzelnen, auch
Neben-Gestalten aus diesem Kreise und eine summarische Beschreibung
der Tätigkeit Jesu am Anfang (also drei Merkmale, die die Formgeschichte
als spät ansetzte, bereits in einer Quelle des Mk.!). Die nächste
von K. herausgearbeitete Quellenschrift ist das G 1 e i c h n i s b u c h,
auf das 4, 1—20. 26—34 zurückgehen, freilich mit mancherlei Umstellung
. Sie enthielt wieder zunächst eine Beschreibung der Predigttätigkeit
Jesu, dann drei Gleichnisse, darauf Bitte um Erklärung und Ablehnung
dieser Bitte 4, 13. Später trat dann als zweite Antwort das
Jesaja-Zitat 4, 12 und als dritte die gängige Auslegung 4, 14—20 hinzu
, worauf dann auch der beschreibende Abschluß 4, 33 f. angefügt
wurde. 4,21—2 5 entstammt frei umlaufendem Spruchgut. Ferner ergibt
sich für K. aus 4,3 5—41; 5,21—43 als wahrscheinlich die Benutzung
eines Wunderbuches durch Mk., das drei Wunder enthielt wie
das Gleichnis-Buch drei Gleidinisse. Ob das Wunderpaar 6, 34—52 auch
dieser oder ob es einer anderen Wunder-Quelle angehörte, läßt K.
offen. 6, 53—56 schlägt er vor wegen seines summarischen Charakters
der Zwölferquelle zuzuweisen. Als deutliche Einheit zeichnet sich 7,
1—23 die Qorbangeschichte ab. bestehend aus einleitender
Erzählung, Frage an Jesus, Antwort darauf, weitere Worte, eingeleitet
durch „und er sagte zu ihnen"; gegen Ende eine Frage der Jünger, die
zu abschließenden Worten führt. Also ein ähnlicher Aufbau wie im
Gleichnisbuch. Die Qorbanquelle ist heidendiristlicher Herkunft und
diente als „Material" für den Kampf gegen die jüdischen Reinheitsgebote
. Ein „Buch lokalisierter Wunder" liegt den Erzählungen
7, 31—37; 8, 22—26; 10, 46—52 zugrunde, das Mk. aber wegen der
genannten Örtlichkeiten auseinandernehmen mußte, um die einzelnen
Wunder in seinem Aufriß am angegebenen Ort spielen lassen zu können
. Die Heilung des Taubstummen stand in der Quelle an letzter
Stelle: an ihr hängen noch, für alle drei Erzählungen geltend, das Weitersageverbot
an die Geheilten ( ■<> l) und die Akklamation. Beides
fehlt den beiden andern Stücken der Quelle. Charakeristisch für diese
ist, daß die Heilung gegen einige Widerstände, sei es der Krankheit,
sei es der Umstehenden, durchgeführt werden muß. Auch im Mittelabschnitt
des Evangeliums 8,27—10,45 sind außer der Zwölfer-
noch andere Quellen verarbeitet. So scheint die Verklärungsperikope
(„sechs Tage später" 9,2!) ursprünglich unmittelbar an das Petrusbekenntnis
8,27—30 angeschlossen zu haben. Ihr Abschluß 9, 10 ist durch
das Elia- Gespräch 9, 11—13 von der Heilung des epileptischen Knaben
getrennt, die Mk. bereits mit der Verklärung verbunden vorfand. Das
hierdurch ausgeschiedene Stüde 8,31—9,1 gehört anscheinend zu einer
selbständigen Quelle, die nach der Leidensweissagung und der Zurechtweisung
des Petrus einiges Redegut, eingeführt mit „und er sagte zu
ihnen", enthielt. Aber auch 9, 11—13 scheint dazu gehört zu haben, da
es an 9, 1 anschließt und nur wegen der Erscheinung des Elia bei der
Verklärung seinen jetzigen Platz bekommen hat. Die erhaltenen Stücke
sind wohl nur Teil einer Quelle, vielleicht Einleitung zu einer Leidensgeschichte
. Sonst scheint Mk. in diesem Teil noch 9, 36 f. 41—50 aus
einer Quelle mit Stichwortanknüpfung geschöpft und 10, 17—31 ein
dreiteiliges Stüde über den Reichtum (der wiederholt beobachtete Dreitakt
: Erzählung, Lehre, Fragenbeantwortung) als selbständige Quelle
oder Teil einer solchen aufgenommen zu haben. Während Mk. 12, 38
bis 40 die Warnung vor den Pharisäern nur als vereinzeltes Logion
bringt, verfügen Mt. und Lk. sichtlich über eine zusammenhängende
Quelle von sieben (oder sechs?) Weherufen mit einem eingeschobenen
Zitat aus der „Weisheit Gottes" (Lk. 11,49—51). Deutlich verarbeitet
die kleine Apokalypse Mk. 13 eine um „das Greuel der Verwüstung
" gruppierte Quelle (13, 8. 12. 14—20 [21—23 bereits vor Mk.
eingeschoben] 24—27) in eine ebenfalls ihm vorliegende, durch den
wiederholten Imperativ ßltjieze gekennzeichnete Reihe von Warnsprüchen
(13, 5b. 6. 9a. 1 1. 33—37). Neben kleineren Ergänzungen
hat Mk. die Verse 13,28—32 aus anderer Tradition eingefügt. Lk. 17,
20—37 ist dagegen erst sekundär zur Apokalypse gemacht und enthält
Spruchgut, das ursprünglich der Thematik „realized eschatology" entstammt
(das Buch ist C. H. Dodd gewidmet!). In der Leidensgeschichte
wird die Quellenscheidung schwieriger, da von der Verhaftung
ab weder „die Zwölf (bzw. Elf)" nodi „die Jünger" mehr erwähnt
werden. Doch glaubt K., auch in der zweiten Hälfte die Zwölfer-