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Ausgabe:

1956

Spalte:

423-426

Autor/Hrsg.:

Fendt, Leonhard

Titel/Untertitel:

Die Selbstkommunion im Luthertum 1956

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 7/8

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malerischen Werk Andrej Rublevs nähert, in dem unbeirrt eine
optimistische Note durchklingt" (S. 112). L. gibt schließlich dieser
religiösen Verwurzelung der Kunst Rublevs den Vorrang:
„Rublev erfüllte die traditionelle .religiöse Form' mit neuem
Gehalt. Seine Kunst ist weicher, poetischer, abgeklärter als die
Kunst seiner Vorgänger. Es wäre unnötig, in ihnen byzantinische
Strenge und byzantinischen Asketismus zu suchen10. Wie auch Nil
Sorskij hat sich Rublev mit äußerster Freiheit von allen griechischen
Vorbildern abgewandt. Er hat diese in Richtung jener tiefen
Menschlichkeit schöpferisch umgestaltet, welche die russische
Ikonenmalerei (russkaja ikonopis') des 15. Jhdts. von der byzantinischen
Malerei (ot vizantijskoj zivopisi) unterscheidet" (S. 102
-103).

An anderer Stelle habe ich mich mit den feinfühligen und
lichtvollen Analysen Lazarevs auseinandergesetzt11. Dabei habe ich
darauf hingewiesen, daß man über die fruchtbaren Deutungen
L's hinausgehend vor allem die Umgestaltung des griechischen
Hesychasmus, den er m. E. vor allem in seinem Werk über die
byzantinische Malerei zu einseitig-negativ beurteilt hat, in das
russische Starcentum eines Sergej Radonezskij und seiner Nachfolger
beachten muß12. Ich glaube nicht, daß die asketischen Traditionen
des christlichen Ostens von Nil Sorskij und dem Starcentum
„erweicht" wurden, stimme aber mit L. überein, wenn er
sagt, jene seien von diesen in den Dienst der Menschenliebe genommen
. Die Stellungnahme der Schüler Nils, der sog. „Trans-
volga-Starcen" (Zavolzskie starcy), gegen die zunehmende Sa-
kralisierung des russischen Staates im 16. Jhdt. mit seiner Verachtung
des Wertes der Einzelpersönlichkeit zeigt das sehr deut-

10) Hierzu ausführlich in: V. N. Lazarev: Istorija vizantijskoj zivopisi
. Moskva 1947. I., S. 224 ff. und S. 242 ff.

lx) Groß-Novgorod und Feofan der Grieche in: Ostkirchliche Studien
. 3. Bd. Würzburg 1954. S. 179—192, 287—306.

") A.a.O., S. 298 f., Vgl. S. 288.

lieh. M. E. braucht man dabei gar nicht auf Nil Sorskij zeitlich
vorzugreifen. Bereits bei dem unmittelbaren Zeitgenossen Rublevs
, dem Vitenschreiber Epifanij Premudryj (Epiphanius der
Weise) finden wir deutliche Züge einer Kritik, sowohl an dem
Machtstreben des Großfürstentums Moskau, als auch an dem
koinobitischen Leben der Mönche, welches die individuellen Formen
der Askese, wie sie der hl. Sergej ursprünglich pflegte, stark
nivellierte1'.

Aber das sind Einzelheiten und Fragen der Interpretation der
entsprechenden Stellen aus der Vitenliteratur. Jedenfalls hat Lazarev
mit seiner Analyse der Werke Andrej Rublevs einen wichtigen
Beitrag zur Wesensdeutung dieses Meisters der russischen
Ikonenmalerei geliefert.

13) Es handelt sich um zwei Stellen in der Vita des hl. Sergej, die
mir z. Z. nur in der dtsch. Übersetzung bei E. Benz: Russische Heiligenlegenden
, Zürich 1953 zugänglich ist. An der ersten beklagt Epifanij den
Übergang des Fürstentums Rostov an Moskau, in dessen Folge die Eltern
des Heiligen nach Radonez umsiedelten, Benz, S. 313, vgl. V. Klju-
cevskij: Drevnerusskija zitija svjatych kak istoriceskij istoenik.
Moskva 1871, S. 106—108. Die zweite Stelle bringt die deutliche, wenn
auch milde Kritik gegen den Bruder Sergejs, Stefan, der das schwere Eremitenleben
in Gemeinschaft mit seinem Bruder verließ, um in ein
koinobitisches Stadtkloster einzutreten, Benz, S. 318. Andrerseits stand
die orthodoxe Hierarchie dem Einsiedlertum äußerst kritisch gegenüber,
da sich in ihm, ähnlich wie auf dem Athos (D. Obolensky: The Bogo-
mils. A Study in Balkan Neo-Manidiaeism. Cambridge 194 8, S. 252 ff..
Hesychasten und Bogomilen!) unkontrollierbare Ketzerbewegungen verbargen
. So mußte sich Pavel Obnorskij (gest. 1429), einer der bedeutendsten
Schüler des hl. Sergej, den Vorwurf des „Herumtreibens"
(chazenstvo) und der Scheinheiligkeit (pustosvjatstvo) gefallen lassen.
(E. Golubinskij: Istorija russkoj cerkvi. II. Moskva 1900, S. 407—403.)
So erweist sich der Individualismus des russischen Starcentums als eine
außerordentlich komplexe Größe, was vielleicht noch zusätzlich interessante
Fragen zur Kunst Andrej Rublevs aufwirft.

Nymans Buch1 ist nun d i e Monographie über die sog.
„Selbstkommunion" des Liturgen im lutherischen Gemeindeabendmahl
— für Deutschland ebenso wie für Dänemark, Island,
Norwegen, Schweden und Finnland. Nyman legt uns das ganze
liturgiegeschichtliche, rechtsgeschichtliche und systematische Material
vor, und hier dürfte das Buch abschließend sein; in der Beurteilung
des Materials natürlich werden immer wieder neue Gedanken
auftreten. Mit „Selbstkommunion" nun wird in diesem
Zusammenhang die „Selbstspendung" gemeint, d. h. der lutherische
Priester spendete das Abendmahl in der Gemeindeabendmahlsfeier
nicht bloß den andern, sondern auch sich selbst —
und dazu führte ihn nicht ein „Gesetz", sondern seine „Pflicht
unter dem Evangelium" (wie Nyman zutreffend formuliert). Bezeugt
wird diese „Selbstkommunion" von der Formula Missae
1523 (No. IV) an: Deinde communicet tum sese tum populum —
bis zu Luthers Brief vom 4. Juli 1541 an Hieronymus Weller:

Die „Selbstkommunion" im Luthertum

Von Leonhard Fendt, Augsburg

lebranten her denkt und die Rubrik so faßt: „Nach diesem Gebet
empfahe der Priester das Sakrament, ist er anders geschickt
daz u". Denn Luther (Nyman S. 50) gibt das nicht
zu — und Laurentius Petri 1571 statuierte, es wäre der Gemeinde
ein Ärgernis, wenn der Celebrant die „Selbstkommunion" unterließe
. (Immerhin taucht mit der „Würdigkeit" eine Nebenlinie
von nicht geringem Einfluß auf.) Stand also die Reformationszeit
durchaus bei der „Selbstkommunion", so ist die Situation um
1600 völlig verändert. Nun erschien als korrekt-lutherisch die
Verfahrensweise, daß der Celebrant des Abendmahls sich nicht
selbst bediene, sondern sich durch einen zweiten Pastor bedienen
lasse! Die „Selbstkommunion" aber (die sporadisch vorkam, aber
in Württemberg und Hessen immer noch als Nebenart galt) wurde
im 17. Jhdt. in Deutschland als eine Neuerung empfunden, ja als
der Schrift und der reinen Lehre zuwider bezeichnet. Es ist der
Hauptzweck des Nymanschen Buches, die Gründe für diesen

Sic tarnen haec puto intellegi (nämlich die von Luther den Dia- j Umschwung aufzuklären (und das Unrecht dieses Umschwungs

coni comministrantes im Abendmahl zugestandene relative Freiheit
des Empfangs), ut is, qui publicum officium exercet in Missa,
ut vocant, omnino una communicet (trotzdem hier communicare
intransitiv, in der Formula Missae transitiv genommen wird —
und trotzdem in der Deutschen Messe die Sache nicht eigens berührt
wird). Nyman führt zahlreiche andere Bezeugungen durch
Autoren und Kirchenordnungen an, so daß man den Schluß ziehen
muß: Für Luther, seine Mitarbeiter, die „lutherische" Priesterschaft
dieser Zeit, die „lutherischen" Gemeinden von damals,
war die „Selbstkommunion" des Liturgen im Gemeindeabendmahle
(der „Messe") korrekt, selbstverständlich, hochliturgisch. Dies
gilt auch, wenn z. B. Kantz 1522 von der „Würdigkeit" des Ce-

*) Nyman, Helge: Kyrkotjänarens Nattvardsgäng i lutherskt
gudstjänstliv. Mit einer Zusammenfassung auf Deutsch. Abo/Finnland:
Abo Akademi 1955. 281 S. gr. 8° = Acta Academiae Aboensis Hu-
maniora XXI, 4. ' „Selbstkommunion des Celebranten energisch in die Gemeinde

nachzuweisen — aber das ist schon „Deutung" des Materials!).
M. E. rührt Nyman an den eigentlichen Grund des Umschwungs,
wo er bei Luther im Hintergrunde der „Selbstkommunion" des
Celebranten das Bestreben findet, seine „Selbstkommunion" als
Teil der Gemeindekommunion zu fassen, also zwischen „Amtsträger
" und „Gemeindeglied" bei demselben Celebranten zu
unterscheiden — als Kommunikant ist der Celebrant „Einzelperson
" in der Gemeinde. Vielleicht muß man aber gar nicht auf die
Spannung „Amtsperson" — „Einzelperson" zurückgreifen, vielleicht
genügt schon die Überlegung: Luther tat zur ererbten
„Selbstkommunion" des Mittelalters die Gemeindekommunion,
machte aus der Messe die Gemeindekommunion, und so war die
„Selbstkommunion" tatsächlich ein Teil der Gemeindekommunion
! Aber für beide Möglichkeiten gilt dann: Die lutherischen
Epigonen hatten ein wirklich lutherisches Interesse daran, die