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Ausgabe: | 1956 |
Spalte: | 421-424 |
Autor/Hrsg.: | Onasch, Konrad |
Titel/Untertitel: | Der russische Ikonenmaler Andrej Rublëv im Lichte der neuesten sowjetischen Forschung 1956 |
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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 7/8
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geschiente als eine unterirdische (heterodoxe), die kabbalistische
Mystik vorbereitende Strömung verlaufen ist"". Und was nun die
Beurteilung der Pseudoklementinen bzw. der Ebioniten ihrer
Quellenschrift angeht, so wird es sich herausstellen, daß sie einmal
in der Auseinandersetzung mit der feindlichen gnostischen
20) Sehr richtig stellt jüngst G. V a j d a (Recherches recentes sur
l'esoterisme juif, RHR 147, 1955, 70) fest: „La Kabbala n'est pas une
simple replique de la Gnose, mais possede en propre sa loi organique
et sa strueture".
Umwelt gestanden, zum anderen aber just für diese Auseinandersetzung
die Vorstellungen der heterodoxen jüdischen Gruppenbildungen
übernommen haben. Wenn man diesen Sachverhalt
„synkretistisch" nennen will und wenn man unter Synkretismus
die Vereinigung verschiedener Positionen zur Bekämpfung eines
gemeinsamen Gegners versteht, habe ich nichts dagegen. Viel-
, mehr habe ich selbst in meinen Büchern den Ebionitismus verschiedentlich
eine „antignostische, aber synkretistische Erschei-
j nung" genannt.
Der russische Ikonenmaler Andrej Rublev im Lichte der neuesten sowjetischen Forschung
Von Konrad O n a s c h, Halle
Andrej Rublev (gest. zwischen 1427 und 1430) bildet zwei- ! vor allem nationalen Leistung nichts Neues: Sie wurde bereits in
fellos den Höhepunkt der russischen, wenn nicht überhaupt der ! der ersten Auflage betont5. Der Kunsthistoriker Purisev stellte
gesamten byzantinisch-slavischen Ikonenmalerei. Manche seiner ; die Kunst Rublevs gleich hinter den „Heerzug Igors"6 und die
Werke, vor allem die berühmte „Dreieinigkeit", ist im Laufe der ; sowjetischen Literaturhistoriker sehen in seinem Werk einerseits
letzten Jahre schon Allgemeingut eines breiteren kunstliebenden ; „widerstrebende, aufeinanderstoßende, alte und neue künstleri-
Publikums geworden. Darüber hinaus hat die kunsthistorische For- j sehe Normen", andrerseits aber auch „die wichtigste Quelle der
schung, sofern sie — ebenfalls in den letzten Jahren — der Ikonen- j russischen nationalen Kunst", wie sie endlich nicht versäumen,
maierei erhöhte Bedeutung zusprach, besonders diesen Meister, auf die „theologisch-kontemplative Konzeption" (bogoslovsko-
seine Technik, aber auch seine innersten Kräfte zu erschließen ge- ! sozercatel' naja mysl') seines Gesamtwerkes hinzuweisen7,
sucht. Im Folgenden möchte ich die Aufmerksamkeit auf den j Lazarev ist nun über diese allgemeinen Wendungen, auch
„Andrej Rublev und seine Schule" betitelten Abschnitt in dem | der 1. Auflage, weit hinausgegangen und hat ihnen einen kon-
3. Bande der „Geschichte der russischen Kunst", Moskau 1955 kreten Hintergrund gegeben. Als Kunsthistoriker geht er dabei
von V. N. Lazarev lenken1. i von der Analyse der einzelnen, Rublev zugeschriebenen Denk-
Über die Herkunft Rublevs wissen wir nichts. In den Psko- mäler aus, wobei er sich immer wieder auf die hervorragende
ver Chroniken erscheint gegen Ende des 15. Jhdt. ein Bojar Rub- Leistung der „Staatlichen Restaurationswerkstätten" beziehen
lev2, und Snegirev wollte deshalb Andrejs Heimat in Pskov ge- kann. Zu diesen ist vor allem der „Spas" (Erlöser) von Zvenigo-
funden haben3. Trotzdem zu dieser Hypothese alleine die Tat- j r°d zu zählen, von dem das Werk gegenüber S. 104 eine vor-
sache verlocken könnte, daß Feofan Grek von seiner Wirksam- j zügliche Farbenreproduktion bringt. Über diesen „Erlöser"
keit im Novgoroder-Pskover Raum her den jungen Andrej hätte j schreibt L.: „In seiner tiefen Menschlichkeit erinnert der Erlöser
kennenlernen können, hat man seit Lichaöev von ihr energisch an die berühmte Figur Christi im Tympanon des „Königsportals"
Abstand genommen. Bereits Igor' Grabar' in seinen grundlegen- ! der Kathedrale von Chartres: Sowohl bei Rublev, als auch bei
den Analysen der Kunst Rublevs betont die enge Verbindung
Rublevs mit dem Dreieinigkeitskloster bei Moskau, ohne auf
seine Herkunft einzugehen*. Auch Lazarev geht auf das Problem
dem frühgotischen Meister ist das Bild der Gottheit so sehr vermenschlicht
, daß es überhaupt den abstrakten Kultcharakter verliert
" (S. 124). Stellt L. hier den menschlichen Zug des „Erlösers"
seiner Herkunft nicht ein, sondern ordnet ihn lediglich in die heraus, so betont er ebenso bei deT berühmten Dreieinigkeit
allgemeinen Zusammenhänge der erwachenden nationalen Kultur j (Troica) die innere „Schmiegsamkeit und Freiheit" (gibkost' i
Rußlands, des Sieges Dmitrij Donskojs über die Tataren 1380 und
des geistlichen Lebens des Dreieinigkeitsklosters ein. „Als Mönch
des Dreieinigkeitsklosters lebte Rublev in der engsten Umgebung
Sergej Radonezskijs, der konsequent dem Hader der schwachen
russischen Feudalmächte entgegentrat." Von hierher empfing, so
meint Lazarev, Rublev ein richtiges Gefühl für die heraufziehende
Epoche eines neuen Kunstgefühls, das vom Volke getragen wurde
(S. 102). Nun ist diese Betonung des Werkes Rublevs als einer
') Istorija Russkogo Iskusstva. Tom III. Moskva: Izdatel'stvo
Akademii Nauk SSSR 1955, 746 S. Der Abschnitt Andrej Rublev i ego
skola S. 102—186. Dieser 3. Bd. enthält, wie die andern Bde., die Geschichte
der Baukunst, Ikonen- und Monumcntalmalerei, Skulpturen,
Gravuren und Gewandstickereien im sakralen und säkularen Raum. Er
umfaßt die Zeit vom Erstarken des Moskauer Großfürstentums über die
Entstehung der „Zentralherrschaft" bis zum 17. Jhdt., d.h. nach Di-
onysij erscheint noch die Stroganov-Schule, während Usakov nicht mehr
zusammenfassend behandelt wird. Bd. 2 (Moskau 1954, 424 S.) beschäftigt
sich ausschließlich mit der Kunst Novgorods und Pskovs, während
in Bd. 1 (Moskau 1953, 574 S.) auf Grund der intensiven archäologischen
Forschungen der letzten Jahrzehnte, der altslavischen Kunst
im Gegensatz zur 1. Auflage, eine umfangreichere Darstellung gewidmet
wird (S. 39—92), um danach ausführlich die Kiewer Epoche, die Kunst
der westrussischen Fürstentümer und von Vladimir-Suzdal' zu behandeln
. Das Werk ist reich illustriert, mit zahlreichen bunten Tafeln versehen
und wird von namhaften sowjetischen Gelehrten besorgt. Der
Herausgeber ist der Nestor der russischen und sowjetischen kunsthistorischen
Forschung. Igor' Grabar', der auch die 1. Auflage leitete (Istorija
Russkago Iskusstva. I—III, V/VI. Moskva: Izdanie I. Knebel' 1908
bis 1915).
*) Pskovskie Letopisi II. Moskva 1955 (ANSSSR), S. 63, 69 (198,
208) vgl. I, 793.
2 Vgl' P. Lichacev: Manera pis'ma Andreja Rubleva (= Pam-
jatniki drevnej pis'mennosti, No. 126. SPB 1907, S. 26).
*) Voprosy restavraeü I, Moskva 1926, S. 12.
svoboda) in der Komposition (freie Durchbrechung des Kreises
durch die Senkrechte) (S. 152). Diese für den — wie die alten
Quellen ihn nennen: „demütigen" (smirennyj) Rublev (vgl.
S. 105 f.) kennzeichnenden Wesenszüge sieht L. tief verwurzelt
mit den Impulsen jener russischen Frömmigkeit, die mit dem Namen
des Gründers des Dreieinigkeitsklosters, Sergej Radonezs-
kij, verbunden sind und mit den zeitgenössischen Kunsttraditionen
, sei es die provinzielle Renaissance oder die Spätgotik
(S. 103—104), wie er sich auch zunehmend von Feofan Grek entfernte
(S. 114 f.). Der Zauber der inneren Kühnheit und Freiheit
seiner Gestalten hat nadi L. dieselbe Wurzel wie etwa die Darstellung
der menschlichen Persönlichkeit in den uns überkommenen
Werken Nil Sorskijs (gest. 1508)". L., der als Marxist von
der These Engels ausgeht, daß die religiösen Bewegungen des ausgehenden
Mittelalters gesellschaftliche und politische Voraussetzungen
haben (S. 102)", kommt im Hinblick auf die asketischen
Tendenzen in den Schriften Nils zu diesem Ergebnis: „Sie sprechen
von einer Erweichung der traditionellen asketischen Ideale, wie
einem verstärkten Interesse an der individuellen geistigen Welt
des Menschen. D. h., daß sich das Schrifttum Nil Sorskijs dem
6) Bd. VI, S. 209 ff.
6) B. V. Michajlovskij — B. I. Purisev: Ocerki istorii drevnerusskoj
monumental'noj zivopisi. Moskva-Leningrad 1941, S. 19.
7) Istorija russkoj literatury. T. II. Moskva-Leningrad 1946
(ANSSSR), S. 192. Vgl. schließlich noch Ocerki Istorii SSSR. Period
Feodalizma IX-XV w. Moskva 1953. (ANSSSR). S. 368.
8) Zu Nil Sorskij s. Igor Smolitsch: Russisches Mönchtum. Entstehung
, Entwicklung und Wesen 988—1917. Würzburg 1953. S. 101 ff.
•) Da auch die Sowjetwissenschaft wegen des Fehlens von Quellen
bis jetzt die soziale Herkunft eines Andrej Rublev und anderer Ikonenmaler
nicht genügend erhellen konnte, bleibt die Konkretisierung
dieser Engels'schen These, soweit sie auf Rublev angewendet werden
könnte, allerdings noch unbefriedigend.