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Ausgabe: | 1956 |
Spalte: | 401-404 |
Autor/Hrsg.: | Quell, Gottfried |
Titel/Untertitel: | Der Kultprophet 1956 |
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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 5'6
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Dies Schema wird wieder aufgenommen in der letzten Rede:
„Erinnert Euch nur an die mehreren Stufen der Religion, auf welche
ich Euch aufmerksam gemacht habe, daß nämlich die Religion dessen, der
das Universum als ein System betrachtet, nicht eine bloße Fortsetzung
sein kann von der Ansicht dessen, der es nur erst in seinen scheinbar
entgegengesetzten Elementen anschaut, und daß dahin, wo dieser steht,
wiederum derjenige nicht auf seinem Wege gelangen kann, dem das
Universum noch eine chaotische und ungesonderte Vorstellung ist" (132).
Die Stufen der Religion stehen also nicht in einer inneren
Verbindung miteinander. Die höhere Stufe wächst nicht organisch
aus der niederen heraus. Vielmehr geht jede Stufe auf eine selbständige
Grundanschauung zurück, aus welcher dann jeweils die
einzelnen positiven Religionen herauswachsen. Es gibt keine „Religion
im allgemeinen", sondern nur „Religionsindividuen", die
aus ihrer Grundanschauung zu verstehen sind. Das Schema wird
also restringiert. Das wird noch deutlicher durch die nachfolgenden
Erörterungen:
„Jene drei so oft angeführten Arten, das Universum anzuschauen
als Chaos, als System und in seiner elementarischen Vielheit, sind weit
davon entfernt, ebenso viele einzelne und bestimmte Religionen zu
sein" (140). Die drei Stufen sind „nichts anderes als eine gewöhnliche
und überall wiederkommende Einteilung des Begriffs der Anschauung'
(141). „Sie sind keine bestimmten Formen der Religion, wenn auch
diese Formen ein bestimmtes Verhältnis haben zu jenen Stufen. Auch
nach dieser Einteilung bleibt alles im Bereich der Religion so unendlich
als vorher. Auch die Vorstellungsformen wie Personalismus und
Pantheismus gehen durch alle drei Arten der Religion hindurch" (14).
Worauf es Schleiermacher ankommt, ist zu zeigen, daß es eine
unendliche Zahl von Religionen gibt, die selbständig immer auf
eine bestimmte Grundanschauung des Universums zurückgehen.
Das genannte Schema wird hier also zurückgedrängt, aber nicht
aufgehoben. Auch an der Wertung der Stufen wird festgehalten.
Er untersucht nur zwei bestimmte Religionen, das Judentum und
das Christentum. Die Grundanschauung des Judentums ist die Idee
der vergeltenden Gerechtigkeit. Aber:
„Herrlicher, erhabener, der erwachsenen Menschheit würdiger, tiefer
eindringend in den Geist der systematischen Religion, weiter sich verbreitend
über das ganze Universum ist die ursprüngliche Anschauung
des Christentums" (158).
Die Wertüberlegenheit dieser Anschauung besteht darin, daß
sie das allgemeine Entgegenstreben alles Endlichen gegen die Einheit
des Ganzen erfaßt hat und zugleich den Weg der Erlösung
von diesem Entgegentreten aufgedeckt hat durch den Mittler, der
selbst das Entgegenstreben überwunden hat und aus der Einheit
mit dem Universum lebte. Das Christentum ist daher „Religion
in höherer Potenz", die „Religion der Religionen". Aber es will
nicht ausschließende Universalreligion sein. „Auf alle Weise werde
das Universum angeschaut und angebetet. Unzählige Gestalten
der Religion sind möglich" (169). Das in der zweiten Rede angegebene
dreistufige Schema wird also weitgehend aufgelockert.
Aber der Maßstab der Bewertung wird beibehalten. „Religion
haben, heißt das Universum anschauen, und auf der Art, wie ihr
es anschaut, auf dem Prinzip, welches ihr in seinen Handlungen
findet, beruht der Wert eurer Religion" (70 f.). Der Wert der
christlichen Religion ist im Vergleich zu allen anderen bisher in
die Erscheinung getretenen Religionsformen der höchste, weil
diese Religion die Entgegensetzung alles Endlichen gegen das
Universum als irreligiöses Prinzep erkannt hat und gleichzeitig
den Weg gezeigt hat, die Einheit mit dem Universum wiederherzustellen
.
Das erwähnte dreistufige Religionsschema erscheint wieder
m § 7 der Glaubenslehre. Hier wird es entwickelt aus der Drei-
stufung des Gefühls oder Selbstbewußtseins. Auf der ersten Stufe
sind Anchauung und Gefühl noch unentwickelt verworren in einander
. Es ist die Stufe der „hier ähnlichen Verworrenheit". Auf
der zweiten Stufe treten Gefühl und Anschauung klar auseinander,
ts ist die Stufe des sinnlichen Selbstbewußtseins, auf der der
Mensch teils frei teils unfrei ist, teils von Lust teils von Unlust
bewegt wird. Erst in dem dritten Teil seiner Bewegung, in welchem
das Gefühl zum schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl wird,
und alles Gegensätzliche aufgehoben ist, erreicht das Selbstbewußtsein
seine höchste Stufe. Auf ihr wird alles, dem sich das Subjekt
auf der mittleren Stufe entgegensetzte, als „mit ihm identisch
zusammengefaßt" (§ 5,1). Dabei ist zu beachten, daß die drei Stufen
von Schleiermacher als Teile einer aufwärts führenden Entwicklung
verstanden werden, daß die dritte Stufe, das schlecht-
hinnige Abhängigkeitsgefühl als „wesentliches Element" der
menschlichen Natur dem Ganzen zu Grunde liegt, daß aber dann,
wenn dies „an sich" in die Erscheinung tritt, diese Erscheinung
auf der dritten Stufe immer mit der zweiten Stufe verbunden
bleibt. Wurde in den Reden die innere Selbständigkeit der Stufen
des Schemas hervorgehoben, so wird jetzt ihre Verbindung betont
. Die höhere Richtung auf das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl
„als eine der menschlichen Seele ursprüngliche und eingeborene
" begleitet unbewußt schon die erste Stufe, um sich dann
immer reiner zu entfalten, ohne je ganz rein zur Entfaltung zu
kommen, da sie auf ihrer höchsten Stufe an das sinnliche Bewußtsein
gebunden bleibt.
Diesem dreistufigen Gefühlsschema entspricht das dreistufige
Religionsschema: in dem Zustand der Verworrenheit des Selbstbewußtseins
gründet der Götzendienst oder Fetischismus, in dem
Zustand des sinnlichen Selbstbewußtseins, das noch nicht die volle
Einheit und Indifferenz gegen die in ihm gesetzte Mehrheit erreicht,
der Polytheismus, in dem Zustand des höheren Selbstbewußtseins
, in welchem wir uns unserer Selbst als schlechthinnig abhängig
bewußt sind, der Monotheismus. Auf dieser höchsten
Stufe wird die ganze Welt in die Einheit unseres Selbstbewußtseins
mit aufgenommen. Durch das Ganze geht ein „geheimes
Streben nach Einheit", wie schon der Fetischismus nicht ohne religiöse
Erregung und der Polytheismus schon „ganz dicht an den
Monotheismus streifen kann" (§ 8,2). Und wie im Gefühlsschema
gibt es in der ganzen Bewegung der Religionen nur eine aufsteigende
Linie. Ein Rückgang vom Monotheismus zum Polytheismus
ist in der Geschichte nirgends festzustellen.
Was in dem Gefühlsschema nicht ohne weiteres angelegt
ist, ist die nunmehr erfolgende Dreiteilung der höchsten Stufe
der Religionen in die jüdische, christliche und mohammedanische.
Das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl, von dem gesagt wird,
daß es in allen unverändert dasselbe sei, legt von sich aus nicht
die neue Dreiteilung nahe. Es bietet „keinen Grund zur Verschiedenartigkeit
" (§ 9, l). Aber die Geschichte zeigt uns jene
drei großen Gemeinschaften, die jeweils besondere Ausdrucksformen
des schechthinnigen Abhängigkeitsgefühls darstellen und
nach dem Grad der Reinheit dieser Darstellung zu bewerten sind.
Mit einer Beschränkung der Liebe Jahwes auf das eigene Volk
zeigt das Judentum noch eine Verwandtschaft mit dem Fetischismus
, während der Islam durch den starken sinnlichen Gehalt seiner
Vorstellungen im Grunde trotz seines stark ausgeprägten Monotheismus
auf der Stufe der Vielgötterei verharrt. Dagegen behauptet
sich das Christentum als die „reinste in der Geschichte
hervorgetretene Gestaltung des Monotheismus" (§ 8,4). Und unversehens
tritt nun an die Stelle des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls
als Wertmesser der Religionen der Begriff der Liebe.
Der erste Zusatz zu § 8 zeigt auf, wie die Stufen der Religionen
Stufen der Darstellung der Liebe sind. Selbst im Götzendienst gibt
es bereits Regungen der Liebe, die allerdings noch durch die Verbindung
mit der Furcht niedergehalten werden, so daß man bei
ihm von einer „der unvollkommenen Liebe koordinierten Llm-
biegung des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls" reden muß.
Im Judentum erfolgt dann die erwähnte Beschränkung der Liebe
auf den eigenen Volksstamm. Im Islam bleibt die Liebe in der
ungewissen Vielheit sinnlicher Vorstellung. Nur das Christentum
weiß um die völlige Liebe, die jede Furcht austreibt.
Der Kultprophet
Von Gottfried Quell, Rostock
Der Begriff Kultprophet, angewandt auf den Bereich der Jahw.-reli-
gion, hat keine durch exakte geschichtliche Feststellung umrissene Gestalt
, sondern bedeutet nur eine auf vagen Analogieschlüssen beruhende
Arbeitshypothese, die aus der speziellen Problematik der Interpretation
gewisser Psalmen hervorgegangen ist, in welchen sich Sätze finden, die
nach Form oder Inhalt der Art prophetischer Äußerung mehr oder minder
ähnlich sind. Gunkel-Begrich, Einleitung in die Psalmen 1932, §9:
„Das Prophetische in den Psalmen" hat das in Betracht kommende Ma-