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Ausgabe:

1956

Spalte:

399-400

Autor/Hrsg.:

Rosenkranz, Gerhard

Titel/Untertitel:

Anthropologische und hermeneutische Bedingtheiten der christlichen Verkündigung in China 1956

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399

Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 5/6

400

Das Wolffsche System: Ko-existenz der Offenbarungsquel-
len, Limitationstheodizee usw. hat die klassische Physikotheo-
logie des 18. Jhdts. strikt abgelehnt — wir werden offenbar nicht

umhin können, die Maske dieses Systems vom Antlitz der werdenden
Aufklärung zunehmend abzuheben.

Anthropologische und hermeneutische Bedingtheiten der christlichen Verkündigung in China1

Von Gerhard Rosenkranz, Tübingen

der abgrundtiefe Gegensatz zwischen Mythos und Logos — Logos
im Sinne des johanneischen Offenbarungswortes verstanden.
Werden beide, selbst in lauterster missionsmethodischer Absicht,
zueinander in Beziehung gesetzt, so ist mit Sicherheit damit zu
rechnen, daß das mythische Denken über das Logos-Denken den
Sieg davonträgt. Zu stark ist der in ihm liegende Wille des Menschen
, sich seinem Lebensgrunde gegenüber zu behaupten, sei
es auch nur durch Planung der Wege, die zur Einung mit ihm
führen. Alles östliche Denken ist darum mythisches Denken. Das
Logos-Denken aber ist keineswegs das Kennzeichen des westlichen
Menschen schlechthin. Es wird in West und Ost allein von denen
bezeugt, die wissen und „reden von der heimlichen, verborgenen
Weisheit Gottes, welche Gott verordnet hat vor der Welt zu
unsrer Herrlichkeit". Das mythische Denken kreist um ein Irrationales
, Undifferenziertes, dessen Unbegrenztheit dem Dasein
der Menschen und Dinge seine Grenze setzt. Es ist voll bildhafter
, monologischer Spekulationen darüber, daß die erkannte
Grenze durch Rückkehr zum Ursprung überschreitbar ist, und
seine Monologe im Angesicht des Irrationalen, die den Inhalt
der heiligen Schriften des Ostens bilden, sind Urkunden menschlicher
Selbstmächtigkeit und Selbstherrlichkeit, auch menschlicher
Selbstvergottung.

Im Logos-Denken, das der christlichen Verkündigung ihre
Glaubwürdigkeit verleiht, tritt an Stelle des irrationalen Bezuges
die Betroffenheit durch das paradoxe Geschehen: von jenseits
der auch ihm bekannten Grenze der Geschichte ist das göttliche
Offenbarungsgeschehen in die Geschichte dieser Welt eingebrochen
, und durch die christliche Verkündigung als „Haushälterin
über die Geheimnisse Gottes" bricht es stets neu in sie ein und
beansprucht den Menschen in seiner ganzen Existenz für sich.
Zeugnisse dieses Vorganges zwischen Gott und Mensch sind die
Evangelien. Ihre Aussage ist dem mythologischen Weltbild ihrer
Zeit verhaftet. Aber die Wahrheit, die sie aussagen, erweist sich
in der Begegnug mit der mythisch-magischen Ordnung des
Ostens so von Grund aus als unmythisch, daß Erwägungen einer
Entmythologisierung oder Uminterpretierung kaum in das Blickfeld
einer jungen Christenheit treten. Es geht in der christlichen
Verkündigung im Osten um ein Entweder-Oder, auch in ihrer
sprachlichen Prägung. Das Geheimnis des Logos-Denkens, daß
vom Wort der Offenbarung Gottes lebt, das sich im existentiellen
Bezug des Menschen auf Gott erfüllt, das in sich das Zeugnis
des Lebens trägt, „das ewig ist, welches war bei dem Vater
und ist uns erschienen", das Gemeinschaft bildet — das Geheimnis
dieses Logos-Denkens ist Gott, der Vater Jesu Christi. Das
Geheimnis des mythischen Denkens ist der tiefe Weltraum, dessen
Anschauung den Menschen in seiner namenlosen Einsamkeit
enthüllt. Es nötigt den Prediger des Evangeliums, die anthropologischen
Bedingtheiten seiner Verkündigung mit demselben
Ernst zu beachten, mit dem er ihre hermeneutischen Bedingtheiten
aus nichts anderem als der Botschaft von Christus gegeben
sieht.

In China ist die missionarische Verkündigung immer wieder
auf Menschen getroffen, die, auch wenn sie sich zur christlichen
Gemeinde bekannten, nicht bereit waren, ihrem Drängen auf
endgültige Entscheidung nachzugeben, sondern daran festhielten,
ihre Entscheidungen aus ihrer jeweiligen Lage heraus immer neu
zu treffen. Das war keine religiöse Indifferenz, sondern lag darin
begründet, daß ihre Existenz zutiefst in die mythisch-magische
Seinsordnung ihrer Welt verflochten blieb, in der alles gleitet
und der Mensch sich darum nur dem Augenblick verpflichtet weiß.
Diese Ordnung hat durch K'ung-tse und Lao-tse ihre Form erhalten
. Auch der Buddhismus hat später auf sie eingewirkt; aber
er hat, seinem eigenen Wesen entsprechend, ihrer aufsaugenden
Kraft nur geringen Widerstand geleistet.

Die konfuzianisch-taoistische Gedankenwelt hat alle Men-
schendenkbarkeiten in bewundernswerter Geschlossenheit der
Selbsterlösung des Menschen dienstbar gemacht. Durch sie ist in
Jahrtausenden die Existenz nicht nur des chinesischen, sondern
des ostasiatischen Menschen, der in den Besonderheiten seiner
Umwelt dieselben religiösen Nöte durchmacht wie der Mensch in
aller Welt, bis an die Wurzel geprägt worden. Das macht die
Frage so dringend, ob sich in ihr Inhalte oder Formkräfte für die
Gestaltwerdung der Christusbotschaft finden.

Auch wenn der Missionar, wie es heute in der evangelischen
Mission vorherrschend der Fall ist, die Einsicht gewinnt, daß dies
nicht zutrifft, kann er nicht umhin, sich für seine christozentrische
Verkündigung der Vokabeln jenes anthropozentrischen Denkens
zu bedienen. Die Gefahr, die darin liegt, ist offenkundig. Es ist
bisher nicht gelungen, ihr durch die Prägung neuer, angemessener
Ausdrücke zu begegnen. Wenn der Prolog des Johannesevangeliums
im chinesischen Neuen Testament beginnt: „Im Anfang war
das Tao und das Tao war bei Shang-ti, und Shang-ti war das
Tao", so ist ein solcher Satz ein ungeheures Wagnis. So, wie er
dasteht, bestätigt er das religiöse Denken des Chinesen, aus dem
ihn ja die Christusbotschaft herausruft. Er ist nur im Vertrauen
Luthers zu wagen, daß „omnia vocabula in Christo novam signi-
ficationem aeeipiunt". Wie einst das Wort Logos im Evangelium
einer neuen Sinngebung bedurfte, und wie schon dessen Verfasser
ihm durch sein Bekenntnis in Kap. 3, 16 dazu verholfen hat,
so bedürfen die Ausdrücke Tao und Shang-ti hier einer neuen
Auslegung. Dafür ist gründliche Vertrautheit mit dem konfu-
zianisch-taoistischen Denken Voraussetzung. Wo sich der Chinese
der endgültigen Entscheidung, die das Evangelium fordert, entzieht
, hat die missionarische Verkündigung nicht die Tiefe seiner
Existenz erreicht, in der ihm die Christusbotschaft zu Ärgernis
und Torheit werden oder ihn in den Umbruch zu einem neuen
Leben und Denken führen muß.

Für die evangelische Mission stellt sich das Verhältnis von
Chinas mythischer Ordnung und der Christusbotschaft dar als

*) Erscheint im vollen Wortlaut im „Evangelischen Missions-Ma
gazin", Jahrg. 1956.

Über den Maßstab der religionsgeschichtlichen Bewertung in Schleierniachers Glaubenslehre

Von Werner Schultz, Kiel

Schleiermachers erste religionsgeschichtliche Bewertung findet
sich in seinen Reden über Religion. Am Ende der zweiten
Rede findet sich bereits das Schema, das dann in der Glaubenslehre
wieder aufgenommen wird, und dessen Spuren sich ebenso
in der „Christlichen Sitte" und der Dialektik finden: Chaos —
Vielheit ohne Einheit — Einheit in der Vielheit. Diesen drei Auffassungsformen
des Universums entsprechen die der Religionsstufen
: Fetischismus, der nur eine „verwirrte Idee vom Ganzen
und Unendlichen hat", dem das Ganze nur als ein Chaos erscheint
, aus welchem willkürlich ein Teil herausgenommen und als
Fetisch verehrt wird, Polytheismus, der in dem Universum nur

„ein unbestimmtes Mannigfaltiges heterogener Elemente und
Kräfte" sieht, eine Vielheit von Göttern ohne eine erkennbare
Einheit, und als höchste Stufe der Monotheismus, dem sich das
Universum „als Totalität, als Einheit in der Vielheit, als System
darstellt", als „Eins und Alles", wie es in der Weltanschauung
Spinozas Ausdruck gefunden hat. Das deutliche Kriterium dieser
Stufung ist hier die Kategorie der Einheit. Die höchste Stufe der
Religion ist dort erreicht, wo alles Einzelne als Teil eines Ganzen,
als besondere Darstellung des Universums, des wesenden To-
tums erfahren wird. (Über die Religion, hrsg. von R. Otto 1899,
71 f.).