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Ausgabe:

1956

Spalte:

387-388

Autor/Hrsg.:

Nagel, William

Titel/Untertitel:

Die Bedeutung der gottesdienstlichen Gemeinde für den Kirchenbegriff$h 1956

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387

Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 5/6

388

Die Bedeutung der gottesdienstliche

Von W. N a g

Es war das Anliegen des Referates, den einzigartigen Zusammenhang
zwischen der Realität einer gottesdienstlich versammelten
Gemeinde und dem Wesen der Kirche überhaupt aufzuzeigen.

Es wurde davon ausgegangen, wie aller Gottesdienst und
entsprechend die Existenz von Kirchen nur durch den Glauben
sinnvoll wird, daß sich in ihrem Rahmen ein „opus dei" vollzieht,
kraft dessen Gott inmitten der Kirchen die Kirche, die „geistliche
innerliche Christenheit" (Luther), bereitet. Nach einem Hinweis
auf die Bezeugung des Zusammenhanges von gottesdienstlich
versammelter Gemeinde und Kirche bereits im sprachlichen Ausdruck
(vgl. Exxlrjoia, congregratio, „Kirche") wurde zunächst die
entscheidende Frage herausgestellt: Wie entfaltet sich jenes kircheschaffende
„opus dei"? C. A. VII verweist den evangelischen
Christen dafür auf den realen Vollzug der Wortverkündigung
sowie der Spendung der Sakramente und damit auf den Gottesdienst
als deren Ort. Auf der auftragsgemäßen Verwaltung der
„Gnadenmittel" in der Versammlung der Gemeinde ruht die
Verheißung, der lebendige Herr wolle dadurch inmitten seiner
Gemeinde seine Gegenwart schaffen. Dementsprechend geht es im
Gottesdienst um ein Geschehen, das der Verfügungsgewalt der
Amtsträger entzogen ist und sich nur als „Dienst" im Räume des
Gebetes in sachgemäßer Weise verwirklichen kann. Damit stellt
andererseits der Gottesdienst inmitten aller kirchlichen noXvjrgay-
fioovrrj die zentrale Lebensäußerung der Kirche dar. Hier müssen
immer wieder die „externae notae" der Kirche Gottes, Wort und
Sakrament, in Erscheinung treten, daß dadurch jenes in allen Kirchen
verborgene, aber für den Glauben unbezweifelbar vorhan- I
dene „heilige Häuflein" der durch die Gnadenmittel gezeugten
Kinder Gottes hervorgebracht und am Leben erhalten werde. Doch
gerade solcher Hochschätzung des gottesdienstlichen Lebens
droht die Versuchung, ihm mit menschlichen Mitteln aufzuhelfen,
damit die „gloria dei" im gottesdienstlichen Geschehen menschlich
überzeugend, ja, womöglich überwältigend in Erscheinung !
trete. Es wurde gezeigt, wie sich in dieser Überschätzung mensch- j
lieber Möglichkeiten im Bereich des Gottesdienstes eine Grundverkehrtheit
offenbart, die von hier aus sich jeder Form kirchlicher
Verwirklichung bemächtigen kann, ein Kirchentum zum
Versuch einer Demonstration der „gloria dei" gegenüber der j
Welt verführt und damit zum Verrat an der Kirche des 3. Artikels
wird.

Je mehr dagegen unsere gottesdienstliche Aufgabe nur mit
Furcht und Zittern menschliche Gestaltungsmöglichkeiten in den
Dienst an jenem „opus dei" zu stellen wagt, desto klarer bleibt
ein solches Kirchentum sich dessen bewußt, daß dem Wesen der
Kirche in dieseT Zeit Verborgenheit in Niedrigkeit entspricht.
Es wurde nun darauf eingegangen, inwiefern der Gottesdienst
selbst unter diesem Gesetz kirchlicher Wirklichkeit steht. Von
hier aus ergab sich Kritik an dem gegenwärtig gern gebrauchten
Wort Vilmars, die Kirche sei „die Fortsetzung des Daseins, Lebens
und Wirkens Christi". Schon dadurch, daß das Ereigniswerden
des Wortes im Gottesdienst heute zusätzlich der Bezogen-
heit auf seine einmalige Gegenwärtigkeit im Fleischgewordenen

i Gemeinde für den Kirchenbegriff

e 1, Greifswald

bedarf, ergibt sich eine verschiedene Qualifizierung gegenüber der
Fleischwerdung des Wortes selber. Ebenfalls schien in diesem Zusammenhang
nötig, vor einem ungeschützten und objektivierenden
Reden von der Kirche als „Leib Christi" zu warnen.

Wenn wir jedodi vom tatsächlichen Gottesdienst her in seiner
oft so armseligen Gestalt den Zugang zum Wesen der Kirche
suchen, wird uns die Verborgenheit des kircheschaffenden „opus
dei" erst ganz bewußt, ja, zu einer persönlichen Not, aber gleichzeitig
zum Ruf, alles hier auf den Glauben abzustellen. Entsprechend
erscheint es als Zeichen der Glaubenslosigkeit, vor der gottesdienstlichen
Verantwortung in allerlei kirchliches Handeln auszuweichen
, bei dem Erfolge billiger zu haben sind. Andererseits tritt
in dem Glauben, daß der Herr in unserem Gottesdienst dennoch
am Werke sei und Kirche schaffe, der einzig tragfähige Grund zutage
, den es für den Glauben an die Einheit der Kirche Christi in
der Verschiedenheit christlicher Kirchentümer und ihrer Gottesdienste
geben kann. Von hier aus werden schließlich niemals die
Gläubigen als solche, sondern stets nur eine auftraggemäße Verwaltung
von Wort und Sakrament als „notae ecclesiae" gelten
dürfen. So bleibt alles Denken über die Kirche und Arbeiten in
der Kirche streng auf ihren Herrn ausgerichtet. Ekklesiologie kann
eben zuletzt immer nur Christologie und Theologie sein.

In den weiteren Ausführungen wurde verdeutlicht, wie sich
im Gottesdienst die Kirche Gottes innerhalb der Kirchen nicht nur
ursprunghaft realisiert, sondern sich darin auch der Sinn aller Existenz
einer Kirche urbildlich abzeichnet. Es wurden in dieser Hinsicht
im Gottesdienst die drei Linien der Einübung in die Doxo-
logie, in die Brüderlichkeit und in den Zeugnisdienst an die Welt
aufgewiesen. Dem entspricht es, daß die Kirche Gottes niemals
ihren Sinn in sich selbst erschöpfen kann, sondern nur im Lobpreis
ihres Schöpfers, im Dienst an der verlorenen Welt als Werkzeug
seiner rettenden Liebe und im Zeugnis an die Welt zu ihrer
Sinnerfüllung kommt. Ein solcher zu Gott wie der Welt hin geöffneter
Kirchenbegriff wird zum Gericht über jedes Kirchentum,
das über der Welt Gottes vergessen wollte oder über Gott der
Welt oder gar nur sich selbst leben möchte. Dagegen bedeutet
ein Kirchentum. das sich demütig zu der sekundären Aufgabe bekennt
, nur der Ort in der Welt sein zu wollen, an dem Gott
durch Wort und Sakramente seine Kirche bauen kann, allein schon
durch seine Existenz ein Gnadenangebot Gottes an ein Volk
und Land. —

Aus diesen Darlegungen ergibt sich die Verpflichtung der
praktischen Theologie, durch kräftige Betonung von Liturgik und
Homiletik bereits dem Studenten zu Bewußtsein zu bringen, daß
auch heute noch der Gottesdienst die Mitte alles kirchlichen Handelns
bedeutet. Dementsprechend muß die strenge Bezogenheit
aller kirchlichen Gestaltung auf die gottesdienstliche Mitte noch
viel konkreter in allen Bereichen kirchlicher Arbeit bis hin zum
organisatorischen Aufbau der verfaßten Kirche zur Geltung gebracht
werden.

Das Referat erscheint, wenig gekürzt, im Aprilheft des laufenden
Jahrgangs der „Monatschrift für Pastoraltheologie".

Bedeutung, Grenze .und Gefahr des Amtsbewußtseins im Seelsorgegespräch

Von Adelheid R e n s c h, Leipzig

Der Rückgang der Seelsorge gegenüber der Psychotherapie
ist bekannt. Sollte das Amtsbewußtsein des Seelsorgers dabei eine
Rolle spielen? Die Untersuchung dieser Frage macht zunächst eine
Verständigung über die Begriffe Amtsbewußtsein und Seelsorge
gespräch nötig.

I. 1) Zum Begriff des Amtsbewußtseins:
Unter charakterologischem Aspekt, der hier gefordert ist, läßt
sich das Amtsbewußtsein als eine individuelle Form der Teilhabe
am Urbild des Amtsbewußtseins in Christus ansehen. In Art und

Grad der Erfüllung dieser Norm ist das Amtsbewußtsein einer Persönlichkeit
individuell bestimmt.

2) Das Seelsorgegespräch dient der „in der
Nachfolge Christi begründeten Glaubens- und Lebenshilfe"1 des
einzelnen mit dem Ziel, ihn zum Heil zu führen. Die Verwirklichung
dieser Aufgabe erfordert uneingeschränkte Bereitschaft zum

*) A. Dedo Müller, Grundriß der Prakt. Theol., Gütersloh, 1950,
S. 289.