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Ausgabe:

1956

Spalte:

379-382

Autor/Hrsg.:

Hertzsch, Erich

Titel/Untertitel:

Das Problem der Ordination der Frau in der evangelischen Kirche 1956

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379

Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 5/6

380

Das Problem der Ordination der Frau in der evangelischen Kirche

Von Erich Hertzsch, Jena

Das Problem ist von besonderer Aktualität, und zwar in doppelter
Hinsicht: a) Auf fast allen Lebensgebieten und in allen Berufen
ist die Frau als gleichberechtigt anerkannt; nur der Beruf
des Pfarrers ist ihr, von Ausnahmen abgesehen, verschlossen geblieben
, b) Viele Pfarrstellen sind unbesetzt oder werden von unzureichend
ausgebildeten Hilfskräften versorgt, obwohl eine ganze
Anzahl vollausgebildeter Theologinnen zur Verfügung steht; diese
werden, weil sie nicht ordiniert werden können, nur als „Vikarinnen
" beschäftigt; für die selbständige Leitung eines Pfarramts
kommen sie nicht in Frage.

A. Warum werden Frauen in der evangelisch-lutherischen
Kirche1 nicht ordiniert?

1) Gegen die Ordination der Frau spricht die kirchliche Tradition
: weder in der orthodoxen Kirche des Ostens noch in der
römischen Kirche können Frauen ordiniert, d. h. zu Priestern geweiht
werden. Das CJC bestimmt (c. 968): „Sacram ordinatio-
nem valide recipit solus v i r baptizatus." Die Ordination, an
einer Frau vollzogen, wäre nicht nur unerlaubt (illicita), sondern
auch unwirksam (irrita).

2) Womit begründet die römische Kirche diesen ihren Grundsatz
? Sie beruft sich auf das als verbindlich -zu betrachtende Vorbild
Christi: „In der von Christus gestifteten Heilsanstalt übertrug
Christus die Stellvertretung seiner Regierungs-, Lehr- und
Priestergewalt nur Männern*."

3) Die römische Kirche schließt aber die Frau, der sie die
Ordination oder Priesterweihe strikt verweigert, tatsächlich keineswegs
gänzlich von der Regierungs-, Lehr- und Priestergewalt aus:
a) Eine Äbtissin hat ohne Zweifel das Recht, geistlichen Gehorsam
zu fordern, b) Frauen können die missio canonica erhalten,
die das Recht gibt, öffentlich, d. h. im Namen der Kirche zu lehren:
der Religionsunterricht an Grund- und Oberschulen, der Frauen,
vor allem Nonnen, häufig übertragen wird, gilt als öffentliche
Verkündigung des Wortes Gottes3, c) Sogar als Spenderin von
Sakramenten kommt die Frau in Frage: sie ist als Braut Spenderin
des Ehesakraments; sie hat nach dem Rituale Romanum die Vollmacht
, in vitae periculo zu taufen. Streng ausgeschlossen ist die
Frau nur von dem höchsten Vorrecht des Priesters, von der Vollmacht
, das Meßopfer darzubringen (potestas offerendi sacrificium
deo missasque celebrandi tarn pro vivis, tarn pro defunctis).

4) Römische Theologen lehren4, die Ausschließung der Frau

(Tertullian, De fem. cultu c. l); denn sie hat, im Bund mit
dem Bösen, den Mann, das Ebenbild Gottes, zum Ungehorsam
, zur Sünde verführt (1. Tim. 2, 14); ihre verführerische
Macht ist so groß, daß sogar die Engel Gottes ihr unterliegen
können (Gen. 6, 1 f.; 1. Kor. 11, 10?). In China ist das
weibliche Prinzip yin zugleich das Prinzip des Bösen; in der
jüdisch-christlichen Welt denkt man ähnlich: es gibt bezeichnenderweise
zu dem Wort Hexe kein Masculinum. Noch Luther
„bezeichnet in der Auslegung des 1. Gebotes die Frauen wegen
ihrer Zugänglichkeit für Aberglauben und Geheimmittel als die
„Priester des bösen Feindes", die für Gottes Priestertum nicht
taugen0."

6) Wie läßt sich diese mit Gal. 3, 27 f. unvereinbare Einschätzung
der Frau als „Einfallspforte des Teufels" erklären?
L. Köhler7 antwortet: „Auf kultischem Gebiet hat man mit
Recht die Frau die religiöse Gefahr des Jahwismus genannt",
denn „durch das ganze AT zieht sich die Neigung der Frauenwelt
zu Afterkulten". Die Frau wird vom offiziellen Kult
ausgeschlossen, weil das Weib zur Erde, zur Mutter Erde gehört
; d. h. zur Magna Mater, zu Ischtar und Astarte, zu Ky-
bele und Demeter, zu Artemis und Frau Holle. Die Propheten
bekämpfen den Naturkult, den orgiastischen Fruchtbarkeitskult
, weil er für sie Treulosigkeit, Bundesbruch, Verrat an
Jahwe ist. Die prophetische Frömmigkeit erkennt nur die Vater
-Gottheit, den Gott der Geschichte an, der die Seinen zum
Ziele führt; aber die Mutter-Gottheiten, deren Gebären „das
Leben im Kreislauf erneuert", werden dämonisiert und verabscheut
. Deshalb gilt die Frau, besonders die menstruierende,
schwangere, gebärende Frau, als kultisch „unrein", als „tabu", als
hochgefährlich. Das gilt, obwohl man zugleich die Frau als Mutter
der eignen Kinder aufs höchste schätzt, ehrt und achtet. „Das
Judentum (und der Islam) haben die Mutter aus dem kultischen
Bereich erbarmungslos fortgejagt"." In die römische Kirche ist zwar
die Magna Mater, die Himmelskönigin, die auf der Mondsichel
steht, wiedergekehrt, aber als Beata Semper Virgo, deren Kind
nach einer coneeptio immaculata übernatürlich geboren wird!
Deshalb wird von einer Frau, die zwar nicht Priesterin, aber immerhin
Geistliche (spiritualis) werden möchte, die Virginität gefordert
.

B. Die Gründe, die in der römischen Kirche die Frau von
der Priesterweihe ausschließen, dürfen von der evangelischen Kir-

von dem Dienst an den Altären beruhe nicht auf einer Gering- j che nicht als stichhaltig anerkannt werden.

Schätzung der Frau. Die These des Aristoteles, das Weib sei gleich- j l) Die evangelische Ordination ist keine Priesterweihe, son-

sam ein verstümmelter Mann (de animal. gen. c. 3), wird abge- dern eine Berufung (vocatio) zum Predigtamt (ministerium eccle-

lehnt. Die Emanzipation der Frau findet nicht nur die Zustim- spasticum), eine Bevollmächtigung und Beauftragung, das Evan-

mung der römischen Kirche; sie stellt fest, daß sie diese Emanzipa
tion indirekt veranlaßt und bewirkt habe: „Die Kirche hat die
Menschenrechte, den sittlichen Vollwert der Frau ins Licht gestellt
, aber in der Frauenfrage, so wenig wie in der Sklavenfrage
ungerufen (Lk. 12, 14) eine überstürzte sozialrechtliche Emanzipation
betrieben, vielmehr die Wandlung der Rechtsverhältnisse
dem still wirkenden Einfluß ihrer sittlichen Ideen und der natürlichen
Entwicklung überlassen und im Verwirklichungsfalle aner

gelium öffentlich zu lehren und die Sakramente zu verwalten.
(Wobei immer zu bedenken ist, daß die Sakramentsverwaltung
„effektive" Verkündigung der göttlichen Gnade ist, wie die Predigt
des „dynamischen" Wortes Gottes!) Die evangelische Ordination
entspricht etwa der missio canonica, die nicht einmal in
der römischen Kirche Frauen vorenthalten wird (vgl. A. 3).

2) Es gibt allerdings (nach Luther) auch eine evangelische
Priesterweihe, das ist die Taufe9: „Was aus der Taufe gekrochen

kannt... (Im Erwerbsleben) hat grundsätzlich zu gelten: gleiche ^ das mag'siA rühmenj daß ^ schon priester> Bischof und
Leistung - gleiches Recht - gleicher Lohn'. papst geweiht ser (WA 6 407) Damit ist der römische Grund-

Daß die Frau in der antiken Welt weithin minderen Rechtes j satz durchbrochen: Sofern Frauen und Mädchen getauft sind,

war, ist sicher nicht der entscheidende Grund für ihre Ausschließung
von der Ordination in der alten Kirche. Denn in der antik-
heidnischen Welt gibt es Priesterinnen auch dort, wo die
Frau gesellschaftlich entrechtet ist. Deshalb ist mit der rechtlichen
und gesellschaftlichen Besserstellung der Frau ihre Zulassung zum
christlichen Priesteramt nicht gegeben.

5) Der eigentliche Grund für die Versagung der Priesterweihe
liegt tiefer: Die Frau ist die „Einfallspforte des Teufels"

*) Vgl. Agende der VELKD IV, 9 ff.; 21 ff.

2) KL» 12, 1236 ff.

3) KL* 7, 1038 ff.
*) LThK 4, 141 ff.
5) Ebenda.

sind sie bereits ordiniert, zu Priestern geweiht.

3) Es ist zu prüfen, ob das Lehrverbot für Frauen, das sich
im NT (1. Kor 14, 34 und 1. Tim. 2, 12) findet, die Berufung der
Frau zum Predigtamt unmöglich macht. Das ist nicht der Fall, und
zwar aus zwei Gründen: a) Aus 1. Kor. 11,5 ergibt sich zwingend,
daß in Korinth Frauen in öffentlicher Gemeindeversammlung prophetisch
gelehrt und gebetet haben, ohne daß sie Paulus deshalb
getadelt hätte; also muß l.Kor. 11, 34 Interpolation sein,

•) RGG* 2, 722.
7) RGG2 2, 719.

s) G. v. d. Leeuw, Phänomen, der Rel., 1933, 73—83; 161—166,
bes. 83.

") Belege bei Rietschel-Graff, Lehrb. der Lit. II, 837 ff.