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Ausgabe:

1956

Spalte:

375-378

Autor/Hrsg.:

Girkon, Paul

Titel/Untertitel:

Die kirchliche Kunst in Theologie und Pfarramt 1956

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375

Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 5/6

376

Unter dieser Voraussetzung ist an der Theologischen Schule
in Bethel der Versuch unternommen worden, die angedeutete
Problematik in einer Arbeitsgemeinschaft „Von der Exegese zur
Predigt" aufzugreifen. Diese Arbeitsgemeinschaft findet zwischen
dem Exegeten, dem Systematiker und dem Praktischen Theologen
in einem Gespräch statt, das gleichzeitig vor den Studenten und
mit den Studenten geführt wird. Es ist keine Erörterung der wissenschaftlichen
Problematik an sich, sondern deren Behandlung
in der Arbeit an einer bestimmten Perikope, über die dann aus
der Gemeinschaft heraus gepredigt wird. Der Diskussion ist dadurch
ein bestimmter konkreter Inhalt, eine bestimmte Ausrichtung
gegeben und ihr sind auch bestimmte Grenzen gezogen.

Das Ziel kann zunächst als ein seelsorgerliches bezeichnet
werden. Die Aussprache will dazu helfen, daß die Verkündigung
in diesem konkreten Fall auch mit einem guten intellektuellen
Gewissen gewagt werden kann. Darüber hinaus wird es sich aber
immer auch um eine Klärung des sachlich-theologischen Problems
handeln, das sich vor allem in dem Verlust der Einheit der Theologie
und dem Auseinanderfallen in einzelne Disziplinen zeigt.
Das Ziel kann von hier aus damit umrissen werden, daß zur Einheit
der Disziplinen vorgestoßen wird, auf Grund derer kirchliche
Verkündigung geschehen kann, d. h. letztlich zur Einheit
von Theologie und Kirche.

Das Ziel darf natürlich nicht vorweggenommen werden. Das
Gespräch muß also in sich die ganze Spannung der gegenwärtigen
kirchlichen und theologischen Situation zum Ausdruck bringen.
Es ist auch nicht die Meinung, daß ein solches Gespräch die Lösung
der angedeuteten Schwierigkeiten garantiere. Aber es findet
statt unter einem Einheitsgesichtspunkt, nämlich dem, daß die
Kirche von der schriftgemäßen Verkündigung des Evangeliums
lebt und daß die zukünftigen Amtsträger der Kirche für diese
Verkündigung als für ihre zentrale Aufgabe durch das theologische
Studium vorbereitet werden sollen.

Es ist von Bedeutung, daß jede Disziplin von einem eigenen
Vertreter repräsentiert wird. Es entsteht dadurch eine Art Kontrolle
jeder der drei Disziplinen durch die anderen, die zugleich
vor dem Totalitätsanspruch einer Disziplin, einer theologischen
Richtung oder auch der kirchlichen Praxis bewahrt.

Der Exegetische Theologe kann nicht seine Resultate auf
Grund einer historisch-kritischen und hermeneutischen Methode
aufweisen, ohne dabei vor die Frage gestellt zu werden, wie sich
seine Methode und Resultate in einer grundsätzlichen Besinnung
rechtfertigen lassen. Er wird damit bei der Sache behaftet, um die
es geht, bei dem Inhalt, der selbst schon Verkündigungscharakter
hat. Alle Methodik hat demgegenüber wirklich dienende
Funktion und ist im letzten Grunde der Sache, nämlich dem Handeln
des menschgewordenen Gottes in der Geschichte, unangemessen
. Das, was der Text, bzw. der, der durch ihn redet, den

Hörern sagen will, wäre das, was die Exegese als Vorarbeit für
die Verkündigung zu bieten hätte.

Das Gleiche gilt von dem Systematischen Theologen. Er hat
nicht nur die Kriterien zu prüfen, die meist stillschweigend bei
der Exegese vorausgesetzt werden, sondern ist auch genötigt, sich
mit den Resultaten der Exegese auseinanderzusetzen und sich das
Wächteramt einer unabhängigen Exegese gefallen zu lassen. Auf
der anderen Seite stellt die Dogmatik die Einzelaussage des Textes
in den Gesamtzusammenhang der Schrift und vollzieht zugleich
die Auseinandersetzung mit dem Denken der Gegenwart
als eine notwendige Vorarbeit zur Verkündigung. Es gehört dies
schon zur Vergegenwärtigung, zur Fleischwerdung des Wortes,
ohne die der geschichtliche Mensch nicht getroffen wird.

Die Verkündigung wiederum muß sich sowohl das Wächteramt
der Exgese als auch der Dogmatik gefallen lassen. Andererseits
ist sie es, um derentwillen sowohl Exegese als auch Dogmatik
getrieben wird. Sie steht in einer gewissen Selbständigkeit
gegenüber diesen Disziplinen. Der praktisch-kirchliche Bezug
zwingt dazu, alle wissenschaftlich-theologische Arbeit letztlich
dem Handeln Gottes, das die Rettung des Menschen im Auge hat
und das in der kirchlichen Arbeit zum Ausdruck kommt, ein- und
unterzuordnen, ohne dabei einer wirklich freien Wahrheitsforschung
Grenzen zu setzen.

Der Beitrag des Praktischen Theologen ist dabei das eigentliche
Vergegenwärtigen der Sache, d. h. des Wortes in seinem
Anspruch und Zuspruch an den heutigen Menschen. Dieses Vergegenwärtigen
kann durch eine rechte exegetische und dogmatische
Vorarbeit zum Teil schon vorweggenommen sein. Hier
wird es aber in der Meditation vollzogen, im Hin-und-Hergehen
zwischen dem Wort und dem eigenen Leben und der ganzen
Wirklichkeit des gegenwärtigen Menschen. Wie die Sache, die der
Inhalt der Verkündigung ist, ist dieser Vorgang keiner eigentlichen
Methodik zugänglich.

Den Abschluß der gemeinsamen Arbeit bildet die Predigt,
die in einem ordentlichen Gemeindegottesdienst gehalten wird.
Die nachfolgende Besprechung wird mit Gebet, meist Jh. 17, 17,
eingeleitet. Eine Predigt stellt nicht ein literarisches Erzeugnis
dar, das der Kritik vorgeworfen wird. Dieser Fehlansatz findet
meist schon bei der ersten Predigt statt, begleitet von da ab die
ganze Amtstätigkeit und verdirbt die Einstellung des Redenden
und Hörenden zur Predigt. Die Predigt erwächst aus der Gemeinschaft
, und wir haben es in dieser Arbeitsgemeinschaft alle
zusammen mit dem unter uns weilenden lebendigen Herrn zu tun.
Und erst wenn dieser letzte Horizont über der ganzen vorangegangenen
Gemeinschaftsarbeit sichtbar geworden ist, kann die
Kluft überbrückt werden, auf die am Anfang hingewiesen wurde,
die zwischen menschlichem und göttlichem Handeln sich auftut.
Erst wenn das geschieht, bekommen die einzelnen Momente dieses
ganzen Arbeitsganges ihren eigentlichen Sinn.

Die kirchliche Kunst in

Von Paul G i r

Es handelt sich um die Alternative: Gehört die christliche
Kunst zum Randgebiet kirchlicher Lebensäußerung, weil sie nur
Dekoration des kirchlichen Raumes und Illustration des gesprochenen
Wortes ist und darin Funktionen ausübt, die zwar erwünscht
, aber nicht heilsnotwendig sind, so daß die Kunst im
letzten Grunde für die Kirche entbehrlich ist? — Oder gehört die
christliche Kunst in das Zentrum des kirchlichen Lebens, weil sie
Gestalt der Verkündigung und als solche verbum visibile, Zeugnis
des Geistes in der Formensprache künstlerisch vollbrachter
Schöpfung ist und darin eine Funktion ausübt, die heilsnotwendig
und im tiefsten Grunde unentbehrlich ist?

Diese Alternative ist in wechselnden Ausprägungen so alt,
wie die Geschichte des christlichen Glaubens. Verhältnismäßig
klar ist die alttestamentliche Grundlage: neben dem Bild v e r-
b o t des Dekalogs, das aus Zeitgründen in seiner ebenso wichtigen
, wie interessanten Problematik nicht behandelt werden
kann, besteht in der Sinai-Gesetzgebung das Bild gebot, das
den Bau der Stiftshütte als immanente Verwirklichung eines
transzendenten Urbildes fordert und damit ein zeitlos gültiges

heologie und Pfarramt

o n, Münster

Symbol künstlerischer Schöpfung überhaupt aufgerichtet hat. Diesem
Gebot entspricht die Verheißung der Geistesgabe an die
Werkmeister des heiligen Zeltes und seiner Ausstattung, die den
Handwerker bzw. Künstler als den Propheten der Gestalt dem
Propheten des Wortes zuordnet.

Schwieriger ist die Situation des Neuen Testamentes. Es
kann nur auf das Wesentlichste hingewiesen werden. Allgemein
waltet das Bestreben, das gesprochene Wort als geschautes Bild
vor das innere Auge zu stellen. Die für dieses Bestreben typische
Gleichnisrede Jesu Christi entspringt nicht nur dem Bedürfnis,
durch Veranschaulichung das Verständnis zu fördern, sondern
einem der tiefsten Impulse religiöser Verwirklichung, der als
„Inkarnationsimpuls" den unsichtbaren Gehalt des göttlichen
Geheimnisses in sichtbarer Gestalt verwirklichen will. Darüber
hinaus wirkt die Stiftshüttensymbolik in mannigfachen Abwandlungen
fort: in der Botschaft vom himmlischen Jerusalem als der
Mutter der Gemeinde und der Braut des Lammes, als der „Hütte
Gottes bei den Menschen" im Zusammenhang mit der Botschaft
von der Gemeinde als dem Tempel Gottes aus lebendigen Stei-