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Ausgabe:

1956

Spalte:

347-352

Autor/Hrsg.:

Müller-Bardorff, Johannes

Titel/Untertitel:

Nächtlicher Gottesdienst im apostolischen Zeitalter 1956

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 5/6

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Anhaltspunkte liegen schon in den Anfängen vor (Mk.: !
tvayykhov, Mt.: ßißkog yeveaewg, Lk.: bir'}yran). vor allem in
den Schlüssen (Mt.: abgeschlossen, Lk.: auf Fortsetzung angelegt
, Mk.: ein in Spannung stehender Schluß).

Zu den einzelnen Werken: Markus2 verknüpft das Einzelmaterial
vor allem durch redaktionellen Einschub von Klammern
(z. B. evayyehov, Galiläa). Es gelingt ihm damit, den kerygma-
tischen Charakter des Einzelmaterials auf das Gesamtwerk zu
übertragen. Die Verkündigung geschieht in eine konkrete Situation
hinein. Mk. erwartet in Kürze die Parusie in Galiläa (14, 28;
16,7). Dorthin versammeln sich die Gemeinden (3, 7 f.). Das
geschieht z. Z. des jüdischen Krieges (wie m. E. die Komposition
von Mk. 13 zeigt). Der Schluß enthält in seiner Spannung der
beiden letzten Verse (wenn auch umgekehrt) das Motiv des
Messiasgeheimnisses der Schweigegebote, charakterisiert das
Werk damit wieder als Verkündigung. So ist das älteste Evangelium
wirklich „Evangelium", ist kerygmatische „Biographie
", deren Verkündigung die „geheime Epiphanie" bringt, Jesus
repräsentiert, seine Parusie verhüllt antizipiert.

Von Matthäus gilt das nicht mehr. Sein Werk enthält
Verkündigungen, i s t aber nicht Verkündigung. Der
Schluß zeigt'1, daß es dem Verf. vor allem auf die Lehren (die
Redestücke) ankommt. In ihnen spiegelt sich die spätere Situation
(z.B. in den Gemeinderegeln 18,15—20, der Aussendungsrede
Kap. 10; die Ethik ist z.T. schon kasuistisch 5, 32; 19,9). Wir
sehen hier in die „Lehren" der sich konsolidierenden Kirche hinein
, die sich Ordnungen gibt, Regeln aufstellt, Lehren tradiert,
die darin aber in der Kontinuität mit dem stehen will, was Jesus
„alles befohlen" hat.

Das wird durch den Rahmen ausgedrückt. Die atl. Zitate
weisen die Messianität des irdischen Jesus nach. Die Rahmenvorlage
wird im Sinne der atl. Zitate abgeändert (vgl. 4, 14 mit
Jes. 8, 23). Wegen des messianischen Beweises wird auf die Tatsächlichkeit
und Entsprechung des berichteten Geschehens Wert j
gelegt; d. h. der (bei Mk. noch) kerygmatische Rahmen wird historisiert
. Damit zusammen hängt der Umbau der Christologie.
Mt. zeigt die Messianität Jesu in seiner Erniedrigung; die Erhöhung
folgt erst noch*.

In diesen historischen Rahmen stellt Mt. die Lehren hinein,
die so gleichsam ätiologisch zurückgeführt werden auf Jesu Verkündigung
. Wird bei Mk. verkündigt in der Vollmacht des Christus
praesens, dann liegt die Autorisierung der Verkündigung bei
Mt. in der Identität der gegenwärtigen Verkündigung mit der
des als Messis erwiesenen irdischen Jesus. Handelt es sich bei Mk. ;
um die Verkündigung in eine konkrete Situation hinein, so i
lebt die Kirche des Mt. nun gleichsam in einer Dauersituaticn,
die 28, 18 ff. beginnt, bis zum Ende andauert.

Dafür braucht sie eine Urkunde. Diese schreibt Mt. (Die
ßißlos yevtaecog, der rnbTPl "f^' maS sich 'n der Tradition auf
die Genealogie bezogen haben, meint jetzt aber das ganze Buch.)
Es handelt sich also um heilige Schrift, um die neue Thora des j

J) Den ausführlichen Nachweis gedenke ich vorzulegen in meiner |
Arbeit „Der Evangelist Markus. Studien zur Redaktionsgesdiichte des
Evangeliums", die in Kürze erscheint als Heft 49 der „Forschungen zur
Religion und Literatur des A u. NT".

3) Vgl. O.Michel, Der Abschluß des Matthäusevangeliums, in:
EvTh 19 50 (Heft l, S. 16-26), S. 24.

*.) Vgl. G. Bornkamm, Matthäus als Interpret der Herrenworte, in:
ThLZ 1954 (Nr. 6, Sp. 341—346), Sp. 344, Anm. 5.

Messias nach der alten, die ihn ankündigte. — Damit sind Ansätze
zur Ausbildung von Epochen gegeben: Verheißung — Erfüllung
in Niedrigkeit — Mission.

Der Umbau des Lukas zur vita Jesu hat gewisse Ähnlichkeit
mit der Veränderung des Rahmens bei Mt. Lk. sieht den
Quellort der Kirche aber nicht in der Jesuszeit, sondern im Pfingst-
geschehen. Darum führt er die Verkündigung seiner Zeit auf die
Anfangsverkündigung der Kirche zurück. Die Komposition des
Mt. kehrt also ähnlich wieder in der Apg. So sind Mt. und Lk.
(die sich nicht gekannt haben) untereinander näher verwandt als
mit Mk.

Die Exegese wird (wenn sie nicht von vornherein auf den
Zusammenhang des Ganzen verzichten will) diese Gattungsbestimmungen
zu berücksichtigen haben. — Wenn nun die Verf. die
gemäße Form für ihre Werke erst finden mußten, dann war das
aber kein ausschließlich literarisches, sondern ein primär theologisches
Problem. Mt. und Lk. haben Mk. kritisdi exegesiert —
aus einer späteren Zeit heraus, für eine spätere Zeit.

Sehe ich die Entwicklung richtig, dann liegt zwischen Mk.
einerseits, Mt. und Lk. andererseits die endgültige Aufgabe der
Naherwartung der Parusie. D.h. aber: Mk. k a n n gar nicht so
reproduziert werden. Die sekundären Schlüsse sind — später — als
Abschluß notwendig, bezwecken aber (und erreichen!), daß auch
das älteste Evangelium den eigentlichen Charakter als Evangelium
verliert, gleichsam ein Buch wird. Das geschah aber erst, nachdem
Mt. und Lk. den neuen „Typus" des Evangeliums geschaffen
hatten. Jetzt bleibt Mk. neben den Nachfolgern brauchbar.

Der Umbau dieser ist wohl nicht zuletzt auf die n o t w e n-
d i g e Umgestaltung der Eschatologie zurückzuführen. Diese ist
bedroht durch die ausgebliebene Parusie, durch die damit zusammenhängende
, inzwischen gemachte Zeiterfahrung, die, ist
man sich ihrer erst einmal bewußt geworden, mit einer Zukunft
rechnen läßt. Nun ist dieses kennzeichnend: Die große Bedroherin
der Eschatologie, die Zeit, wird nicht ausgeklammert wie in einer
geschichtslosen Gnosis, sondern wird eingespannt zur Bewältigung
des mit ihr gegebenen Problems. Eben das geschieht durch Historisierung
, durch Herausbildung von Epochen, durch eine modifizierte
Christologie usw. Mt. und Lk. übernehmen nun einerseits
den Entwurf des Evangeliums des Mk., wobei aber das Nacheinander
des Ablaufs als solches bedeutungsvoll wird; andererseits
lehnen sie sich zugleich an Vorlagen an, die sie ihrem Lebensbereich
entnehmen: Mt. an das AT, Lk. an die Memoirenliteratur
. Ihre Werke kann man also literarisch als Mischformen bezeichnen
. In beiden Fällen ergibt sich ihnen aber so die Möglichkeit
, das theologische Problem literarisch zu bewältigen. Es gelingt
ihnen, wenngleich unter Verkürzungen, das Evangelium
„durchzuhalten". Das muß man wohl als eine außerordentliche
Leistung ansehen.

Allerdings ist die Eschatologie nun aufgespalten. Der futurischen
, die mit der Verzögerung der Parusie ja bereits gegeben
ist, tritt eine präsentische zur Seite, die nun selbständige Bedeutung
hat und als selbständige präsentische Eschatologie ihre Ausdrucksform
noch sucht. Bei Lk. geschieht das wesentlich durch den
Geist, bei Mt. durch die Kontinuität der Verkündigung. Es dürfte
wohl falsch sein, den Verfassern der Werke daraus einen Vorwurf
zu machen. Die Problematik ist ihnen in ihrer Situation einfach
aufgegeben. — Andererseits ist nicht zu verkennen, daß die Lösungen
neue Probleme aufwerfen, die dann u. a. die johanneische
Konzeption zu bewältigen versucht, bzw. auf ganz andere Weise
die des 2. Petr.

Nächtlicher Gottesdienst im apostolischen Zeitalter

Von J. Müller-Bardorff, Jena

Es ging in dem Referat im wesentlichen um die Frage, wie
der Begriff äygvnvia 2. Kor. 6, 5; 11,27 zu verstehen sei. Das
Verb äyQvnveiv bedeutet, obwohl nicht geleugnet werden darf,
daß es auch im übertragenen Sinn gebraucht werden kann, von
Haus aus etwas Aktives. Im späteren kirchlichen Schrifttum
korrespondieren vigiliae und uyQVJiviai miteinander1. Wichtiger

aber ist, daß im NT selbst das Verb stets in einem aktiven Sinn
verwandt wird. Allein Hebr. 13, 17 könnte eine Ausnahme bilden
. Aber auch dort gibt ein aktives Verständnis der Stelle einen
ungleich plastischeren und konkreteren Sinn. Dazu kommt, daß
die synoptischen Belegstellen, wie auch Ephes. 6, 18, also alle Be-

tis. Doch dies erweist für das ursprüngliche Verständnis natürlich nichts.

') So übersetzt die Vulgata auch 2. Kor. 11,27 mit in vigiliis mul- läßt aber ahnen, in welcher Richtung ihr späteres Verständnis liegt.