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Ausgabe:

1956

Spalte:

345-348

Autor/Hrsg.:

Marxsen, Willi

Titel/Untertitel:

Bemerkungen zur "Form" der sogenannten synotischen Evangelien 1956

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 5'6

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wünsch stilisiert und genau gegliedert ist; die Worte würden alle
ohne Artikel gebraucht; Gott und Christus seien durch ein ,,und" !
nebengeordnet; das widerspreche dem sonstigen Sprachgebrauch
des Apostels.

Lohmeyers Untersuchung ist genial, aber nicht immer exakt,
glänzend in Formulierung und Gesamtschau, aber ungenau in
Einzelheiten. Daß das Brietpräskript in einem prädikatslosen Satz j
mit dem Namen des Absenders im Nominativ beginnt, wie es bei
allen paulinischen Briefen der Fall ist, entspricht nicht dem üblichen
vorderorientalischen Briefstil. Oft wird dort zuerst der Empfänger
genannt. Beginnt der Briefeingang mit dem Absender, so
hat er eine andere Form als bei Paulus. Die Superscriptio beim
paulinischen Brief ist nicht vorderasiatisch, sondern dem griechischen
Briefstil seiner Zeit entsprechend steht der Name des Brief-
schreibers im prädikatslosen Satz im Nominativ voran.

Lohmeyer irrt sich, wenn er behauptet, der erste Teil des
paulinischen Briefpräskriptes sei im unpersönlichen Er-Stil gehalten
. Schon Roller hat darauf aufmerksam gemacht, daß sich bei |
Paulus auch abgesehen von der Salutatio die persönliche Ausdrucksweise
sowohl in der Superscriptio wie in der Adscriptio
findet vgl. R. 1,4—6; 1. Kor. 1, 2; Gal. 1, 2; 2. Thess. 1,1;
Philem. 2. Wenn Roller behauptet, daß das ein paulinischer Sonderbrauch
sei, weil sich dafür weder in den griechischen noch in
den vorderasiatischen Briefen Beispiele anführen lassen, so trifft
das nicht zu. Von den Tagen Hammurabis bis in die urchristliche
Zeit finden sich Belege, die zeigen, daß auch der erste Satz des
Briefpräskriptes im persönlichen Ich-Du-Stil gehalten sein kann.
Die Behauptung Lohmeyers ist nicht haltbar.

Ebensowenig zutreffend ist die Meinung Lohmeyers, daß
der Briefgruß dem urchristlichen Gottesdienst entnommen sei.
Ob es bei der Zusammenkunft der urchristlichen Gemeinde einen
offiziellen Beginn gegeben hat, der von einer bestimmten Person
durch einen bestimmten Akt vollzogen worden ist, erscheint mir
fraglich. Wäre der Segenswunsch eine liturgische Formel, dann
würde man nicht verstehen, warum Paulus 1. Thess. 1,1 nur j
schreibt: „Gnade sei mit euch und Friede." Es ist auch nicht recht
einsichtig, warum die nachpaulinischen Briefe, die doch auch im
Gottesdienst vorgelesen werden sollten, in den Briefpräskripten
trotz mancher Ähnlichkeit mit denen des Paulus die Eröffnungsformel
nicht gebrauchen. Man müßte doch annehmen, daß die
liturgische Formel sich im Laufe der Zeit verfestigt hätte. Da dieses
nicht der Fall ist, entstehen Bedenken gegen die Richtigkeit
der Hypothese.

Das Hauptargument in der Beweisführung Lohmeyers für
die liturgische Prägung des Briefgrußes ist die Feststellung, daß j
in ihm alle Worte ohne Artikel gebraucht werden. Das hat Lohmeyer
richtig gesehen. Aber das Fehlen des Artikels hat andere
Gründe, als er vermutet. Figr/vt] wird auch sonst als Gruß artikellos
gebraucht. Daß Paulus dann fortfährt unö &eov, macht zunächst
stutzig, weil I)f6q im NT meistens mit Artikel verwendet
wird. Es besteht wohl kaum ein sachlicher Unterschied zwischen
#eoc mit und ohne Artikel. Beim attributiven Gebrauch richtet
sich die Verwendung des Artikels nach dem übergeordneten Substantiv
. Genau so verhält es sich bei der Anwendung der Präpositionen
&$ und uxo. 1. Kor. 2, 12 heißt es: to nvrvfia rb Ix
rov deov, l.Kor. 7, 7 dagegen yÜQioßa Ix &eov, oder 1. Kor.
1, 30 ooyia nno »?«»", 1. Kor. 4, 5 dagegen 6 enaivo* äitö rov
fcov. Stehen im Briefgruß ynoiQ und fiQVvri wie "blich ohne
Artikel, so muß das von imb abhängige t'hög ohne Artikel gebraucht
werden und selbstverständlich auch das mit i}sög zusammengestellte
rtaTt'/q und das folgende xvQiov 'Jtjnov Xniarov.
Demnach ist das Fehlen jedes Artikels im Briefgruß in keiner
Weise etwas Auffälliges, sondern es entspricht durchaus dem üblichen
Sprachgebrauch des Apostels Paulus. Auch die asyndetische
Wendung „Gott unseT Vater" hat nichts Befremdendes mehr.
Denselben Ausdruck haben wir auch 2. Thess. 2, 16, nur daß dort
vor th.ög und Ttarrjo der Artikel steht, der im Briefgruß wegen
der obengenannten Gründe wegfallen mußte. Die Nebenordnung
von Gott und Christus ist nicht so ungewöhnlich, wie Lohmeyer
es annimmt. Kann man doch abgesehen von den Stellen 1. Thess.
3,11; 2. Thess. 1,12 und 2,16 auch noch auf Gal. 1,1; 1. Thess.
1, 1 und 2. Thess. 1, 1 verweisen. Daß y/iQii; bei Paulus sonst
einen tieferen Sinn hat als im Segenswunsch, ist reine Behauptung.

Alle Argumente, die Lohmeyer dafür anführt, daß der Briefgruß
unpaulinisch, aus liturgischen Traditionen entnommen sei,
haben keine beweisende Kraft. Ja, vielleicht läßt sich sogar das
Gegenteil behaupten, daß die Formulierung z«{?t? xal elQ^vt}
uno fteot' mxTobg fffiay» xal xvQiov'Itjaov Xqioxov ganz unliturgisch
ist. Wie schon R. Seeberg gesehen und H. Lietzmann durch
Vergleich mit der Didache herausgearbeitet hatte, schließen die
paulinischen Briefe mit liturgischen Sätzen. Der liturgische Segenswunsch
, den Paulus dort verwendet, hat gerade den Artikel:
n rov xvqiov.

Die Artikellosigkeit der Salutatio und die Wortwahl erklären
sich am besten aus dem vorderasiatischen Briefformular. Der
Briefgruß „Friede" ist alt und gebräuchlich, aber auch der Wunsch
„Gnade" oder „Erbarmen" findet sich häufig, was man bisher zu
wenig beachtet hat. In neuassyrischer Zeit sagt man: „Nabu und
Marduk mögen meinem Herrn gnädig sein." Dieselbe Wendung
findet sich in neubabylonischen Briefen. Auch die Zusammenstellung
von „Gnade und Friede" im Briefpräskript ist nicht typisch
paulinisch. Sie findet sich nicht nur in der bekannten Stelle
syr. Bar. 78,2, sondern bereits in neuassyrischer Zeit. In den
Privatbriefen der damaligen Epoche lautete der typische Briefgruß
: „Heil meinem Bruder; Assur von Esara sei gnädig meinem
Bruder!" Oder in neubabylonischen Briefen: „Heil sei meinem
Herrn! Nabu und Marduk mögen meinem Herrn hold sein!"
Auch in den Elephantine-Briefen, z.B. Tafel 1 und 12, ist der
Wunsch „Erbarmen" und „Frieden" zu finden. Diese Beispiele
zeigen deutlich, daß die Ausdrücke „Erbarmen und Heil" bzw.
,,Gnade und Friede" zum Bestand des orientalischen Briefgrußes
gehören. Es ist allerdings möglich, daß Paulus für den sonst üblichen
Begriff f'ifioc; das Wort y/iQit; gesetzt hat.

Wie Roller richtig gesehen hat, besaß Paulus nicht ein fertiges
Briefformular, an das er sich von Anfang an hielt, als er
an die Gemeinden zu schreiben begann, sondern es läßt sich eine
Entwicklung und Fortbildung beobachten, besonders auch hinsichtlich
des Briefgrußes. Wir sehen, wie Paulus zunächst herumtastet,
bis er die endgültige Form gefunden hat. Nach dem Galaterbrief
gibt es beim Briefgruß keine Schwankungen mehr. Die Formel ist
festgelegt und wird in allen Briefen gleichmäßig verwendet.

Zusammenfassend ist zu sagen: Lohmeyer hat die Verwandtschaft
des paulinischen Briefpräskriptes mit dem vorderorientalischen
richtig gesehen, er hat aber zu radikal jeden griechischen
Einfluß abgelehnt. Ganz verfehlt ist seine Annahme, daß die Salutatio
ein Bestandteil der urchristlichen Liturgie gewesen ist. Sie
stammt aus dem orientalischen Briefformular.

Bemerkungen zur „Form" der soi

Von Willi M

Das besondere Interesse der Synoptikerforschung gilt heute
der redaktionsgcschichtlichen Fragestellung. Mehr und mehr setzt
sich die Meinung durch, daß die Verf. der Werke Theologen waren
, die ihre Konzeption durch die (wenn auch mit einfachen Mitteln
durchgeführte) Redaktion zum Ausdruck bringen. So muß
man theologisch stärker differenzieren, und der Begriff „Synop-

;enannten synoptischen Evangelien

a r x s e n, Kiel

I tiker" kann nicht mehr so unkritisch beibehalten werden. — Aber
auch die Frage nach der Gattung, der „Form", der Werke ist neu
gestellt. Wenn Conzelmann1 den U m bau des „Ev." durch Lk.
zur „vita Jesu" konstatiert, ist nun die Form der anderen Werke

; zu bestimmen.

') Die Mitte der Zeit, 1954.