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Ausgabe:

1956

Spalte:

339-342

Autor/Hrsg.:

Rendtorff, Rolf

Titel/Untertitel:

Priesterliche Kulttheologie und prophetische Kultpolemik 1956

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339

Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 5/6

340

2. Die Sam.-Fragmente gehören zu den ältesten Manuskripten
von Qumrän. Ein paläographischer Vergleich erweist die
Schrift von 4 QSam b sogar als die älteste von allen Qumrän-
texten; sie muß noch'im 3. vorchristlichen Jahrhundert geschrieben
worden sein.

3. Der Text dieser Fragmente zeigt eine auffallende Verwandtschaft
mit der Septuaginta. Von den 24 sicher abwägbaren
Textdifferenzen zeigen 23 die Übereinstimmung von 4 QSam a
mit der Septuaginta gegen den masoretischen Text; nur einmal
kann ein Zusammengehen der Masora mit der Septuaginta gegen
4 QSam a behauptet werden.

Die Fragmente 1—7 von Qumrän 4 (4 QSam b) bieten nur
einzelne Worte oder kurze Satzteile. Die Vergleichsmöglichkeiten
sind viel dürftiger und unsicherer als bei 4 QSam a. Doch ist die
gleiche Verwandtschaft mit der Septuaginta-,.Vorlage" festzustellen
. Bei den acht sicher zu beurteilenden Textdifferenzen stehen
Q 4 und die Septuaginta siebenmal gegen den masoret. Text;
nur in einem Fall geht Q4 mit dem masoret. Text gegen die
Septuaginta.

Noch weniger ergiebig sind die im Sammelband von Barthe-
lemy und Milik veröffentlichten Sam.-Bruchstücke aus der ersten
Höhle. Nur in einem Fall scheint das Zusammengehen auch dieser
Fragmente mit der Septuaginta sicher belegt werden zu können
(Fehlen des zweiten in II. Sam. 21, 17).

4. Der durch diesen Fund erschlossene Tatbestand wird von
Albright „sensationell", von Hempel „verblüffend und unerwartet
" genannt. Nur eine der sich aufdrängenden Schlußfolgerungen
sei hier gezogen: Die Entdeckung der Fragmente
von Qumrän fordert eine grundsätzlich neue Bewertung der Masora
für die Bücher Samuel. Das Ergebnis eines Vergleichs der
Textzeugen ergibt mit denkbar größter Eindeutigkeit, daß das
gefundene Manuskript der hebräischen Septuaginta-Vorlage sehr
nahesteht, weithin sogar mit ihr identisch ist. Daß der Qumrän-
Text eine Rückübersetzung der Septuaginta ins Hebräische sei,
kann wegen des hohen Alters der Fragmente nicht angenommen
werden. Aber es ist auch ganz unwahrscheinlich, daß die (meist
bessere) gemeinsame Lesart der Qumrän-Handschrift und Septuaginta
aus einer nachträglichen Glättung störender Textanstöße
entstand. Die längst eingebürgerte, aber in unseren Tagen wieder
heftig angegriffene Annahme, daß bei der Kanonisierung des hebräischen
Textes durch die Rabbinen um 100 n. Chr. nur eine
besonders schlechte Samuel-Handschrift zur Verfügung stand und
die Septuaginta aus einem älteren und besseren Text übersetzt
worden sei, erhält durch die Qumrän-Fragmente ihre sicherste
Stütze. In der langen Geschichte der wissenschaftlichen Erforschung
des Textes der Sam.-Bücher seit Otto Thenius, Friedrich Böttcher
, Julius Wellhausen, Sam. Driver, Max Lohr, Karl Budde
u. v. a. bis zum modernsten Konservativismus gegenüber dem
I masoret. Text bei H. S. Nyberg, Ivan Engneil, Arvid Bruno, P. A.
H. De Boer u. a. ist mit den Funden aus der 4. Qumränhöhle ein
grundsätzlicher Wandel eingetreten. Bei Differenzen zwischen den
drei gewichtigsten Textzeugen ist die Masora dem gemeinsamen
Zeugnis der Septuaginta und des Qumräntextes in den weitaus
meisten Fällen unterlegen. Daraus ergeben sich für den Samueltext
zunächst anscheinend keine umwälzenden Folgerungen, denn
die Septuaginta ist bereits seit über einhundert Jahren zur Korrektur
der Masora des Buches Samuel herangezogen worden; aber
diese Korrekturen und Konjekturen konnten bis in unsere Zeit
hinein als Angriff auf das Bestehende empfunden werden und
ziehen sich noch heute oft den Verdacht liberaler und auflösender
Textkritik zu. Die neue Situation kennzeichnet sich darin, daß die
von der Septuaginta und Qumrän 4 gemeinsam vertretene Samuel
-Lesart einwandfrei älter und besser ist als der davon verschiedene
Wortlaut der Masora. Mit dem gleichen Recht, mit
ebenso guten Gründen wie der Neutestamentier normalerweise
die ägyptische Rezension oder etwa den durch die Nestle-Aus-
gabe gebotenen Text als den am besten bezeugten ansieht, darf
jetzt für die Samuel-Bücher das gemeinsame Votum von Qumrän
4 und der Septuaginta der davon abweichenden masoretischen
Lesart grundsätzlich vorgezogen werden. Die Emendationen, die
in wissenschaftlichen Übersetzungen der Bücher Samuel auf Grund
von Septuaginta-Varianten vorgenommen wurden, können nun
mit viel höherem Wahrscheinlichkeitsgrad als bisher, vielfach sogar
mit Sicherheit, den Anspruch erheben, den ältesten erreichbaren
und am besten bezeugten Text zu bieten.

Priesterliche Kulttheologie und prophetische Kultpolemik

Von Rolf Rendtorff, Göttingen

Das Problem der Stellung der Propheten zum Kult, das bis
heute keineswegs als gelöst gelten kann, ist offenbar zu komplex,
als daß sich eine Gesamtantwort geben ließe. Man wird deshalb
zunächst den einzelnen Motiven, die in der prophetischen Kritik
am Opferkult sichtbar werden, je für sich nachgehen und nach
ihrer Herkunft fragen müssen.

Einen wichtigen Beitrag in dieser Richtung hat Würthwein
geleistet, indem er gezeigt hat, daß in Am. 5, 21 ff., einer der bekanntesten
Stellen der prophetischen Kultpolemik, die Terminologie
durchweg von der Kultsprache her bestimmt und einfach
ins Gegenteil verkehrt ist1. In diesen Zusammenhang gehört auch
das Verbum !"IJt"l „Wohlgefallen haben" mit dem zugehörigen
Nomen "pxi „Wohlgefallen", dem im folgenden weiter nachgegangen
werden soll. Seine kultische Bedeutung kommt etwa zum
Ausdruck in 2. Sam. 24, 23, wo Arauna dem König David
wünscht, daß Jahwe sein Opfer wohlgefällig annehmen möge2.
Der Begriff spielt auch in der prophetischen Kultpolemik eine
nicht unerhebliche Rolle. Er kommt außer bei Deutero- und Tri-
tojesaja in prophetischen Texten fast ausschließlich in diesem Zusammenhang
vor und findet sich in der Mehrzahl der hierhergehörigen
Worte.

Um den Sitz der Wurzel nit"i in der kultischen Sprache genauer
bestimmen zu können, muß vor allem ihr Vorkommen in
den priesterlichen Texten des Pentateuch untersucht werden, wo
naturgemäß ihr Gebrauch als kulttechnischer Terminus am deutlichsten
zu greifen ist. Hier begegnen Nomen und Verbum am
Anfang des Komplexes der Opferrituale Lev. 1—5, und zwar in

') ThLZ 72, 1947, 143 ff.
2) Würthwein. a. a. O. 147.

1, 3 und 4. Die Versteile 3b/i und 4b, in denen die Ausdrücke
vorkommen, gehören nicht zum Grundbestand des Rituals; sie
sind offensichtlich am Anfang als programmatische Aussage über
die Wirkung des Opfers, von der in den Ritualen selbst nicht die
Rede ist, eingesetzt3. Dabei stehen die Bemerkungen über die
wohlgefällige Annahme des Opfers in unmittelbarem Zusammenhang
mit Anweisungen über Einzelheiten des Darbringungsritus.
Dahinter steht offensichtlich die Auffassung, daß die Befolgung
dieser Vorschriften „Wohlgefallen" bewirken könne.

Diese Auffassung tritt besonders deutlich im Heiligkeitsgesetz
hervor, wo sich die Hauptmasse der Belege findet. In
Lev. 19, 5 heißt es, daß die Israeliten ihr Schlachtopfer „zum
Wohlgefallen" opfern sollen, d. h. aber, daß das Fleisch binnen
zwei Tagen gegessen weiden muß (V. 6), da das Opfer sonst nicht
wohlgefällig angenommen wird (V. 7). Die Beachtung bestimmter
ritueller Vorschriften gibt hier also den Ausschlag, ob das Opfer
„zum Wohlgefallen" dargebracht worden ist. Das ist in Lev. 22,
17 ff. noch für verschiedene andere Fälle dargelegt: Das Opfertier
muß männlich und fehlerlos sein, sei es beim Brandopfer
(V. 19 f.) oder beim Schlachtopfer (V. 21); körperliche Fehler-
losigkeit ist besonders für das Gelübdeopfer Voraussetzung
(V. 23); kastrierte Tiere sind nicht opferfähig (V. 25); ein neugeborenes
Tier darf vom achten Tage an geopfert werden (V. 27);
beim rVpPVTQT muß das Fleisch am selben Tage gegessen werden
(V. 29 f.). In all diesen Fällen ist die Wurzel nxn verwendet.

Damit ist deutlich, daß in der priesterlichen Kulttheologie
ein enger Zusammenhang zwischen "LII und der Beachtung ritueller
Vorschriften besteht. Der Sitz des Ausdrucks läßt sich aber

3) Vgl. Rendtorff. Die Gesetze in der Priesterschrift, 1954. 23.