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Ausgabe:

1956

Spalte:

335-338

Autor/Hrsg.:

Keßler, Werner

Titel/Untertitel:

Zur Auslegung von Jesaja 56-66 1956

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 5/6

336

troffenen gedient hat. Demgemäß steht der VeTS ursprünglich
mit dem Prolog in Zusammenhang und ist erst bei der Verarbeitung
der Rahmenerzählung mit dem Gedicht aus ihm gelöst und
mit dem Epilog verknüpft worden. In neuer Interpretation sollen
nun die Geschenke an Hiob zu dessen in 42, 10 erwähnter Wiederherstellung
gehören.

2. Das sog. Zwischenstück 42, 7—9 mit dem Wort Jahwes
an die Freunde und seiner Rücksichtnahme auf Hiob kann weder
wegen seines besonderen Stils vom Hiobdichter selbst herrühren
noch späterer Zusatz sein, sondern hat wegen der auffälligen
sachlichen und sprachlichen Verwandtschaft mit dem Prolog
einen integrierenden Teil der ursprünglichen Rahmenerzählung
gebildet. In seiner jetzigen Form unterscheidet es sich aber auch
von dieser durch seine Diktion. Dieser Unterschied beruht darauf
, daß die Verse bei ihrer Verbindung mit dem Gedicht bestimmte
Eingriffe erfahren haben; und diese Überarbeitung hängt
offensichtlich mit der Einführung der Freunde Hiobs zusammen,
weil das Jahwewort allein keinen Anlaß zu Änderungen bot. Die
weitere Untersuchung ergibt, daß die für 42, 11 geltende Einsicht
auf 42, 7—9 auszudehnen ist. Auch diese Verse haben sich
ursprünglich auf die Verwandten und Bekannten Hiobs bezogen,
die angesichts des gegen sie erhobenen Vorwurfs wie Hiobs Frau
versucht haben, diesen von seinem ergebenen Glauben abzubringen
.

Der Dichter hat die Verse beibehalten und nur auf die von
ihm eingeführten Freunde Hiobs bezogen. Auf diese Weise spricht
er das Urteil über sie. Die Freunde haben im Dialog die herkömmliche
orthodoxe Theologie vertreten und die Gerechtigkeit
Gottes verteidigt, gegen die Hiob in häretischer Weise aufbegehrte
. Wenn die Worte der Freunde in 42, 7—9 nunmehr als
Nicht-Wahres bezeichnet werden, will der Hiobdichter damit sagen
, daß die Vertreter der Orthodoxie von Gott gescholten werden
und der Fürbitte des durch seine Umkehr auf eine neue Stufe
jenseits von Orthodoxie und Häresie erhobenen früheren Häretikers
bedürftig sind.

3. Es ergibt sich weiter, daß auch 2, 11—13 (Besuch der
Freunde Hiobs) sich ursprünglich auf die Verwandten und Bekannten
Hiobs bezogen und zur Rahmenerzählung gehört haben;
daraus erklärt sich der Anklang von 2, 11 an den ursprünglicheren
und natürlicheren Vers 42,11. Die Verse sind besonders
stark umgearbeitet worden, um auf die Freunde bezogen zu
werden.

Damit tritt beim Dichter an die Stelle der Versuchung Hiobs
durch die Verwandten und Bekannten diejenige durch die Freunde
und sich selbst. Die Monologe und Dialoge sind nichts anderes
als eine solche Versuchung — sowohl der Häresie (vertreten von
Hiob) als auch der Orthodoxie (vertreten von den Freunden),
wobei angesichts 42, 7 ff. dem Dichter die letztere wohl gefährlicher
und verwerflicher schien.

4. Wenn in 42, 7 von „diesen Worten" Jahwes die Rede
ist, wird auf ein Gotteswort in der Rahmenerzählung hingewiesen
, von dem jedoch nur die Einleitung in 38, 1 erhalten ist.

5. Aus dem Dargelegten läßt sich inhaltlich derjenige Teil
der ursprünglichen Rahmenerzählung rekonstruieren, wie er zwischen
1, 1-2, 10 und 42, 10+12—17 erzählt worden ist: Besuch
der Verwandten und Bekannten Hiobs mit Beileid und Geschenken
; ihre Versuchung Hiobs und deren Rückweis in seiner erneuten
Bewährung; daraufhin ein zustimmendes und anerkennendes
Gotteswort an Hiob, gefolgt von dem in 42, 7—9 überlieferten
zornigen Wort an die Verwandten und Bekannten.

6. Ferner ergibt sich, daß nur der Hiobdichter selbst die
Rahmenerzählung mit dem Gedicht verbunden haben kann. Dafür
sprechen vor allem verschiedene stilistische und theologische
Beobachtungen. Allgemein läßt sich sagen: Derjenige, der in
2, 11—13 und 42, 7—9 die Freunde Hiobs einführte und die Verwandten
und Bekannten durch sie ersetzte, muß — weil er dazu
Teile der Rahmenerzählung verwendete — derselbe sein, der die
Rahmenerzählung mit dem Gedicht verbunden hat, d. h. der Hiobdichter
selbst.

7. Der Hiobdichter hat die Rahmenerzählung mit dem Gedicht
in der Weise verbunden, daß er die übernommene Erzählung
so ausführlich und genau wie möglich beibehielt. Die stilistischen
Unebenheiten an den Stellen, wo er sich zu Eingriffen
oder Änderungen genötigt sah, beruhen auf der Spannung zwischen
der Treue zur Tradition, die möglichst kein überliefertes
Wort missen wollte, und dem Erfordernis der Anpassung an die
neue Situation, die mit der Einführung der Freunde Hiobs gegeben
war. Die Eingriffe des Dichters umfassen: die Umstellung
der Notiz über den Besuch der Verwandten und Bekannten in
42, 11; ihre Neufassung in einen Bericht über den Besuch der
Freunde in 2,11—13; die Auslassung der Auseinandersetzung
Hiobs mit seinen Verwandten wegen des Dialogs; Umstellung
der Einleitung zum Gotteswort an Hiob in 38, 1 und Auslassung
des Gotteswortes selbst wegen der neuen Gottesrede; Beziehung
von 42, 7—9 + 10 auf die Freunde Hiobs.

8. Schließlich ergeben sich Rückschlüsse auf den vom Dichter
beabsichtigten Umfang seines Werkes. Der Dichter hatte in der
Rahmenerzählung schon eine kurze Auseinandersetzung zwischen
Hiob und seinen Verwandten sowie ein Gotteswort an Hiob
vorgefunden. Diese Tradition hat er beibehalten, nur in zahlreichen
Reden, teilweise durch andere Personen und vor allem
mit anderem Gedankengehalt ausgeführt. In 2, 11—13 hat er dazu
durch die Einführung der Freunde die Bühne für eine längere
Reihe von Reden aufgebaut, auf die 42, 7 mit der Bemerkung
zurückschaut, daß die Freunde Nicht-Wahres über Gott geredet
haben. Genau so setzt 42, 7 eine Gottesrede an Hiob voraus, die
also durchaus zum Plan des Werkes gehört, das der Hiobdichter
geschaffen hat. So bietet die Rahmenerzählung in ihrer ursprünglichen
Form einen Hinweis darauf, daß außer den Reden Hiobs
und seiner Freunde auch die Gottesrede mit der Antwort Hiobs
zum Bestand des Buches gehört, wie der Dichter ihn hinterlassen
hat.

(Eine ausführliche Behandlung der Frage erfolgt in einem Aufsatz
„Zur Vorgeschichte und Komposition des Buches Hiob" in „Vetus Te-
stamentum" VI, 1956.)

Zur Auslegung von Jesaja 56—66

Von Werner Keßler, Halle/S.
Das Folgende stellt die skizzenhafte Zusammenfassung ; Sprache Tritojesajas, 1950) gelernt und sich mit Volz (Komm

einer Exegese von Tritojesaja dar. Jesaja 56—66 werden im wesentlichen
als Einheit verstanden, abgesehen von 56, 2—8 und
66, 16—24 und einigen kleineren Hinzufügungen. Als Entstehungszeit
legt sich der Zeitraum zwischen Tempelbau und Male-
achi nahe (515—475). Diese Kapitel haben sich mir überraschend
erschlossen als eindrückliche Zeugnisse eines prophetischen Man-

Jesaja II, 1932) auseinandergesetzt.

Die Arbeit setzt voraus, daß eine Rückwanderung aus Baby-
lonien — wenn nicht 538, so doch zwischen 5 30 und 520 — stattgefunden
hat. Ohne die Spannung zwischen Heimkehrern und
„Altjudäern" (Ausdruck von K. Galling) ist Tritojesaja nicht zu
erklären. Andrerseits ist eine Ansetzung vor Maleachi aus

nes, dem es ums „Ganze" ging, der um das Volk in Juda — mo- i geistesgeschichtlichen und theologischen Gründen zu empfehlen,
dem gesprochen — seelsorgerlich und volksmissionarisch gerun- 1. Jesaja 63,7-64, 11, allgemein als Einheit anerkannt, ist

gen hat, die Untreuen gestraft, die Getreuen getröstet, um sie
zur Teilhabe am Heil, das er für Zion erwartete, zu bereiten. —
Die Arbeit hat sich von L. Glahn und L. Koehler (Der Prophet
der Heimkehr, 1934) anregen lassen, hat von K. Elliger (besonders
: die Einheit des Tritojesaja, 1928) und W. Zimmerli (Zur

das Klagelied eines prophetischen Beters. Der Vergleich mit den
Klageliedern in Threni und mit Psalmen wie 74 und 79 legt exilische
Entstehung (Volz) nicht nahe und weist unsern Text als
ein prophetisch geprägtes und paränetisch akzentuiertes Gebetsformular
für einen kultischen Trauer- und Fasttag aus.