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Ausgabe:

1956

Spalte:

331-334

Autor/Hrsg.:

Bardtke, Hans

Titel/Untertitel:

Augenzeugenbericht von Qumran 1956

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 5/6

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befohlen habe." Es geht nicht um abstrakte Allgemeinheiten,
freilich auch nicht um technische Einzelanweisungen für die praktischen
Lebensfragen. Es geht darum, mit den Geboten Jesu jetzt
und hier ernst zu machen in die Welt hinein.

Diese Aufgabe kann der Theologe allein nicht lösen. Ihm
ist das Amt aufgetragen, das Wort von der Versöhnung zu predigen
, von dem die Kirche lebt. Aber zur Verdolmetschung in
die Zeit hinein, zur Anwendung auf die konkreten Lebensaufgaben
bedarf er des Beistandes des Laien aus der Gemeinde, der
selber ganz in der Welt lebt und dort nicht nur in Arbeit und
Kampf seinen persönlichen Christenstand zu bewähren hat, sondern
durch sein Leben als Christ zu bezeugen hat, daß Christus
nicht nur der Herr jener frommen Sonderwelt innerhalb der Kirchenmauern
ist, sondern der Herr dieser Welt, daß diese unsere
moderne Welt ihm gehört, daß er sie in Anspruch nimmt, sie befreit
und erneuert. Ich bin überzeugt, daß sich heute eine Frontverlagerung
vollzieht. Unentbehrlich, unaufgebbar ist der Dienst
des Amtes, das die Gemeinde um das Wort sammelt, sie zurüstet
und aussendet. Aber die Entscheidungen im Dienst der Kirche
an der Welt fallen heute da, wo Laien mitten in der Welt durch
ihr Wort, durch ihren Gehorsam, durch ihr Leben die Herrschaft
des Herrn Christus bezeugen. Kirche und Theologie müssen ernst
damit machen, diese Verlegung der Front anzuerkennen und dem
in den ersten Anfängen stehenden Aufbruch der Laien zu helfen
, daß ihr Dienst geschieht in der Verantwortung der Kirche
für die Welt, in der Ausrichtung ihrer missionarischen Sendung.

IV.

Gott sendet seine Kirche in die Welt

Hoch über allen bisherigen Erwägungen von der Not des
Menschen, der Gefährdung und Bedürftigkeit der Welt, der Erweckung
der Gemeinde zum Glaubensgehorsam steht überwältigend
klar und einfach der Wille und Auftrag Gottes. Gottes
Herrschaft ist in Jesus Christus in die Welt eingebrochen und ist
im Kommen. Gottes heiiges Gericht über die Welt steht bevor.
Aber Gottes Liebe gilt dieser Welt trotz ihres Abfalls und Aufruhrs
. Darum sendet er seine Kirche in die Welt hinein. Nicht
der Notruf der Welt, nicht der Zeugniswille der Gemeinde, sondern
der Ruf und Befehl Gottes sendet. Er sendet in diese Welt
so wie sie ist. Er sendet mit dem Auftrag, daß die Kirche seine
Herrschaft zu bezeugen hat durch ihre Verkündigung, durch ihre
Anbetung, durch ihren gehorsamen Dienst. Er rüstet sie aus mit
seinen Verheißungen. Ja Christus selber ist am Werk, die Kirche
sein Werkzeug. Alle Aufgaben, die vor uns vorübergezogen
sind, lassen sich zusammenfassen in die eine: Daß die Kirche
aus einer auf sich selbst gerichteten Institution wieder ganz
und gar zu einem Werkzeug werde in der Hand ihres Herrn
zum Dienst an der Welt. In dem hohenpriesterlichen Gebet Jesu
ist das Verhältnis der Kirche zur Welt in einer dreifachen Form
ausgesprochen, die hier am Schluß stehen soll.

1. ) „Sie sind nicht von der Welt, nicht aus der Welt, wie
denn auch ich nicht aus der Welt bin." Die Kirche des Herrn ist
fremd in dieser vergehenden Welt, weil ihr Herr sie herausgerufen
hat.

2. ) „Ich bitte nicht, daß Du sie von der Welt nehmest."
Der Platz der Kirche, des wandernden Gottesvolkes, ist in der
Welt, daß sie solidarisch mit der Welt dort ihrem Herrn diene.

3. ) „Gleich wie Du mich gesandt hast in die Welt, so sende
ich sie auch in die Welt." Die Kirche ist von dem Herrn gesandt
in die Welt als sein Werkzeug. Um dieses Auftrages willen hat
der Herr seine Kirche erhalten und bewahrt und immer neu zugerüstet
und ausgesandt. Daß er es auch heute und morgen tut,
ist unser Glaube und verpflichtet uns zum gehorsamen Dienst.

ALTTESTAMENTL1CHE SEKTION

(Leitung: W. R u d o 1 p h'Münster und O. E i ß f e 1 d t/Halle)
Augenzeugenbericht von Quin ran

Von Hans B a r d t k e, Leipzig

Ein zweimaliger Besuch der Ruinenstätte von Qumrän am
9. und 14. September 1955 verschaffte mir einen Überblick und
einen ersten Eindruck. Da eine Führung durch den verehrten Ausgräber
P. R. de Vaux selbst nicht möglich war, mußte naturgemäß
eine Fülle von Einzelheiten ungeklärt bleiben, insbesondere
Lage und Beschaffenheit der Baureste aus der Eisen-II-Zeit. Lediglich
die drei unterscheidbaren Quartiere der Siedlung taten
sich dem Blick des Besuchers kund. Diese Grenze, die den Besuchen
von QumrSn hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Ergiebigkeit
anhaften mußte, hat insofern das Gute, daß mir weniger die
Gefahr gegeben ist, dem vorläufigen Grabungsbericht vorzugreifen
und etwa Dinge zu sagen, die kundzutun allein dem Ausgräber
vorbehalten bleiben muß. Um diese gebotene wissenschaftliche
Fairness unter keinen Umständen zu verletzen, beschränke
ich mich in den Angaben bewußt auf die bereits in der
Literatur vorliegenden Berichte, nämlich die in RB LXI (1954)
567 f. veröffentlichte Communication du R. P. de Vaux „Khirbet
Qumrän" (Chronique archeologique), die die dritte Kampagne
vom 15. Februar bis 15. April 1954 betrifft, und den Aufsatz von
Lankester Harding in „The Illustrated London News" vom
3. September 1955 379 ff., der unter der Überschrift „Where
Christ himself may have studied: An Essene Monastery at Khirbet
Qumrän" veröffentlicht worden ist.

Für das Verständnis von Qumrän ist die Kenntnis der näheren
Umgebung wichtig. Im weiteren Sinn beginnt sie beim Nordrand
des Toten Meeres mit dem Blick auf das Vorgebirge von
Ras Feschcha und die nach Norden laufende westliche Gebirgs-
wand, die den Jordangraben im Westen abriegelt. Bei Annäherung
an die Gebirgswand erkennt man die Mergelterrasse, auf
der die Ruinenstätte liegt und das Wadi Qumrän als Einschnitt

der Qumränterrasse bietet eine Wendung nach Süden den reizvollen
Blick auf die zum Vorgebirge von Ras Feschcha immer
schmaler werdende Küstenebene, ein Blick, der von der Ruine
aus noch an Reiz gewinnt durch die Farbgegensätze, das fahle
Dunkelgrün des Steppenwuchses, die grüne Bewachsung des Uferrandes
und das Blau des Toten Meeres. Farbaufnahmen geben
diese Kontraste deutlich wieder.

Ein Gang in die nördliche Umgebung der Qumränterrasse
führt über die steinübersäte Ebene, eine Folge der Abwitterung
des Gebirgsgesteins. Auf der Suche nach der Fundhöhle vonl947
geraten wir nördlich von dieser in ein Wadi, das einen reizvollen
Ausblick zum Toten Meer gewährt. Weiter südlich ist der Aufstieg
zur endlich gefundenen Handschriftenhöhle von 1947 beschwerlich
, weil der weiche, Witterungseinflüssen ausgesetzte
Stein des Gebirges dem Steigenden keineswegs immer den gesuchten
Halt gewährt. Gegenüber der Fundhöhle bietet ein Felsenabsatz
im Schatten einen prächtigen Ausblick auf den Jordangraben
nördlich des Toten Meeres mit den zahlreichen charakteristischen
Mergelterrassen und vermittelt einen Eindruck von der
Weite dieser Landschaft. Auf dem Rückweg wird die vom Gebirge
zur Siedlung von Qumrän führende Wasserleitung überschritten
. Ein Gang über die westlich der Qumränterrasse gelegene
Mergelterrasse, an deren Ende die schon berühmt gewordene
Höhle IV liegt, bietet den Anblick der Qumränsiedlung von Westen
, wobei sich beobachten läßt, daß Mauerwerk des westlichen
Siedlungsteiles, von de Vaux als quartier industriel bezeichnet,
im Lauf der Zeit am Rand der Terrasse abgestürzt zu sein scheint.
Der aufnehmenden Kamera bietet sich erst das Mauerwerk des
ebengenannten quartier industriel dar, erst dann erscheint der
massige Turm mit den geböschten Mauern, die nach dem Erdin
der Gebirgswand. In etwa dreihundert Meter Entfernung von ! beben ihm Halt verleihen sollten, beim Weitergehen wird auch