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Ausgabe:

1956

Spalte:

13-18

Autor/Hrsg.:

Fendt, Leonhard

Titel/Untertitel:

Grenzsetzungen auf dem liturgischen Felde 1956

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Sern bewußt verschwiegen hat 2.) Wir stellten fest, daß Paulus
sich veranlaßt gesehen hat, die Benennung des Simon als Fels
gegen Mißverständnisse abzugrenzen und vor Mißbrauch zu
schützen, und daß er sich nicht gescheut hat, Petrus in schärfster
Weise entgegenzutreten, als er durch ihn das Evangelium bedroht
sah. 3.) Wir stehen vor der verwunderlichen Tatsache, daß
die grundlegende Erscheinung des Auferstandenen vor Petrus
nirgendwo im NT erzählt wird. Hätten wir nicht die andeutenden
Worte im 1. Kor. und in Lk. 24, dann wüßten wir überhaupt
nichts von ihr. Und 4.) können wir beobachten, daß das Joh.-Ev.
offensichtlich darauf bedacht ist, die Bedeutung des Petrus einzuschränken
. Es kann sie natürlich nicht leugnen; es enthält sogar
in 21, 18 offensichtlich ein erstes Zeugnis für den Märtyrertod
des Petrus, den er in seinem Alter, und zwar durch Kreuzigung
erleiden wird, trotzdem wird Petrus immer wieder hinter
dem Lieblingsjünger, in dem wir den Zebedaiden Johannes sehen
, zurückgesetzt. Das beginnt schon damit, daß bei Joh. nicht
wie in den Synopt. Petrus der erstberufene Jünger ist, sondern
Johannes; das setzt sich durch das Evangelium fort und findet in
dem berühmten Wettlauf der beiden Jünger zum Grabe Jesu
seine deutlichste Ausprägung (20, 3 ff.). Das vierte Evangelium
ist i n Kleinasien und für Kleinasien geschrieben"0. Durch den
Mund seines Evangelisten, der wohl vor allem aus diesem Grunde
sich nicht ausdrücklich nennt, wird für die Kirche Kleinasiens Johannes
und nicht Petrus als der führende Apostel bezeugt.

*°) Seine Lokalisierung in Syrien ist keineswegs so sicher, wie
Hirsch, Studien zum vierten Evangelium 1936, S. 51 meint, vgl.
G- Kittel, ZNW 1936, S. 282 ff.

Die Schwierigkeiten, die dem Petrus aus seiner Stellung er-
S wachsen, spiegeln sich in 1. Klem. 5, 2 ff. wider"1. Der Verfasser
spricht dort von der Eifersucht und dem Neid, mit dem die größten
und geehrtesten Säulen der Kirche verfolgt wurden und
j exemplifiziert dann in erster Linie auf Petrus, der, wie er sich
j ausdrückt, wegen ungerechten Eifers (seiner Gegner) nicht eine,
| auch nicht zwei, sondern mehrere Mühsale ertrug, und nachdem
er in dieser Weise Zeugnis abgelegt hatte, an den Ort der Herr-
I lichkeit wanderte, der ihm zukam. So kann man in der Tat den
i Lebensweg des Petrus sehen. Aber ein entsprechendes Schicksal
ist ihm auch noch nach seinem Tod in der neutestamentlichen
I Uberlieferung bereitet worden. Und doch ist festzuhalten, daß bei
allem offenen Gegensatz zu seinem persönlichen Verhalten und
bei aller vorsichtigen Zurückhaltung gegenüber seiner kirchlichen
Autorität niemand innerhalb des NT seine grundlegende Bedeutung
für die Kirche in Frage gezogen hat. Das tun weder die Synoptiker
, nodi Paulus, noch Johannes. Der Jünger Simon bleibt
ihnen allen der Fels, auf den Christus seine Kirche gebaut hat.
Er ist es für sie nicht auf Grund seiner eigenen Fähigkeiten und
Leistungen, und er ist es für sie trotz des Widerspruches, den er
i allenthalben erfahren hat und den auch sie anzumelden haben.
I Er ist es, weil Jesus ihn zum Baugrund seiner Kirche erwählt und
ihn zum ersten Zeugen seiner Auferweckung aus den Toten gemacht
hat. Diese grundlegende und unwiederholbare Bedeutung
ist es, die ihn bis zu dieser Stunde zum Fundament der einen
Kirche macht.

01) Vgl. hierzu insbes. K. Heussi a.a.O. S.llff.

Grenzsetzungen auf dem liturgischen Felde

Eine Obersicht

Von Leonhard Fendt, Augsburg

1.) Ewald Jammers1 setzt Grenzsteine in der Geschichte
des Choralgesangs. Man kann z. B. den lateinischen Choral
dem deutschen gegenüberstellen (oder dem syrischen, byzantinischen
, koptischen); auch den katholischen dem protestantischen
; aber nicht den lateinischen oder den katholischen Choralgesang
als den gregorianischen etwa der Me-

so erklärt werden, daß byzantinisch-syrische und koptische Einflüsse
über den gallikanischen Gesang (keltisch-gallisch-mozarabische
Musik) auf den gregorianischen losstießen, als im Frankenreiche
die gallikanische Liturgie mit der gregorianischen, die
gallikanische Musik mit der gregorianischen zusammenkam. Das
Agens war der germanische Geist, nicht der Zufall. (Es kann aber

lodie des Lutherliedes von der festen Burg. Denn gregorianisch i auch schon in Rom selbst — siehe die Liturgiegeschichte — die zum
(so Jammers) ist nur jener Gesang zu nennen, welcher von Gre- mittelalterlichen Choral führende Einimpfung anderer Elemente
gor dem Gr. und zu Gregors Zeit abgeschlossen wurde und den | in die Gregorianik geschehen sein.) Der Erforscher der Gregoria-
seine Schule weiterpflegte. Diese Grenzziehung kann und soll j nik erhält von Jammers den Hinweis auf die „ursprünglich" von
angenommen werden — auch wenn bisher m. E. keine eigent- | der Schola gesungenen Partien: Graduale; (einige) Alleluia; Trac-

tus; Offertorium; Communio; Introitus (mit Vorsicht!); im
Stundengebet sind die Domänen der Gregorianik die Antiphonen
und Responsorien; die Psalmodie selbst, die Lectionstöne, andere
rezitative Melodien sind im Kerne sehr alt, haben aber das durchgemacht
, was Jammers die „Vermittelalterlichung" nennt. Den
mittelalterlichen Choral selbst hat der Erforscher vor sich im Gesang
des Kyrie; Gloria; Credo; Sanctus; Agnus Dei; in den
Hymnen des Stundengebetes (wo vormittelalterliche Melodien
..vermittelalterlicht" wurden); in den vielbesprochenen Sequenzen,
Tropen, Cantionen" und Stundenliedern'1, aber auch in vielen der
Alleluia. Zu beachten ist, daß manches auch auf den Wechsel der
Gesangsnotierung im Mittelalter zurückgeht und später auf die
Woh er stammte dieses Neue? 3.) Welches sind die Wesensunter- : Änderung der liturgischen Situation vom Pontifikalamt zur durchschiede
, welche den mittelalterlichen Choral vom gregorianischen i gebeteten Messe; vom Begleitgesang zum Bischofseinzug in einen

liehen Dokumente für eine musikalische Tätigkeit Gregors vorliegen
; Gregor wurde eben zum Heros eponymos jener ganz bestimmten
Gesangsperiode gemacht. Was vor dieser Periode lag
kann „vorgregorianisch" heißen (ohne daß damit das Problem
gelöst wäre), und was nach der gregorianischen Periode kommt,
ist der Choral des Mittelalters. Diesem mittelalterlichen Choral
widmet Jammers seine Schrift; und diesen mittelalterlichen Choral
scheidet Jammers scharf vom gregorianischen! Die Fragen
aber, die er zu diesem mittelalterlichen Choral stellt, heißen:
l.) War der mittelalterliche Choral bloß ein Nachklang der Gregorianik
— oder hatte er eine Eigenart, darin etwas neues lebendig
wurde? 2.) (Da Jammers die letztere Alternative bejaht:)

scheiden? Das „Neue" spricht Jammers allgemein-verständlich
dahin aus: Nimmt man ein gregorianisches Graduale her, legt daneben
ein vorgregorianisches, daneben ein ambrosianisches — zum

Introitusgesang ohne Einzug; in ein Offertorium ohne Gemeindeoblation
; in eine Communio ohne Gemeindekommunion; in ein
Alleluia ohne die respektive Lesung. So entstand für den Choral-

gleichen Gesangstext — so wird man vielerlei Abweichungen zu ' gesang die prekäre Lage: Unterbrechung der Liturgie durch „Mu-

buchen haben; aber diese Abweichungen hindern nicht eine große sikstücke"! Und auf diese Lage hin dichteten die Dichter und

Übereinstimmung, so daß man nur von Varianten reden darf. komponierten die Sänger — wobei man sich im Mittelalter als

Hingegen der mittelalterliche Choral ist keine solche Variante , Poet lieber ambrosianisch als gregorianisch benahm. Den Anfangsmehr
! (Ähnlich sagt auch Urbanus Boram im Lit. Jb. IV 1 [1954]
S. 44 ff.). Es kann nun die Eigenart des mittelalterlichen Chorals

*) Jammers. Ewald: Der mittelalterliche Choral. Art und Herkunft
. Mainz: Schotts Söhne |1954]. 102 S. 8° = Neue Studien zur
Musikwissenschaft, hrsg. v. d. Kommission für Musikwiss. d. Akademie
d. Wiss. u. d. Literatur Bd. 11. DM 4.50.

lauf der mittelalterlichen Choralkunst faßt Jammers so zusammen:
In Sequenz und Tropus (deren Herkunft mit Notker und Tuotilo
nur legendär geklärt ist) drangen im Frankenreich Elemente des

!) Das Mittelglied zwischen Tropus und Volkslied.
3) Reimoffizien.