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Ausgabe:

1956

Spalte:

307-326

Autor/Hrsg.:

Thielicke, Helmut

Titel/Untertitel:

Das Ende der Religion 1956

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 5'6

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liehen Sprachgebrauch sind Dämonen böse Geister. Und wenn nun
Augustin (IX 23) zur letzten Beweisführung schreitet, so ist seine Interpretation
Piatons wie des AT und NT hinsichtlich der Übereinstim-
. mung der Bibel mit dem großen Philosophen (nicht mit den Neuplato-
nikern!) höchst aufschlußreich, zumal er in diese Beweisführung 1. Kor
8, 5 f. einbezieht.

Während die Dämonen Jesu Gegner sind, stehen ihm die Engel
zur Seite. Wollen die Platoniker diese Engel Götter nennen, welche
vom höchsten Gott geschaffen wurden, mögen sie es tun. Auch die
hl. Schrift spricht vom Gott der Götter (Ps 49 (50), 1 + Ps 135 (136), 2
+ 94 (9 5), 3). In Ps 82, 6 sind mit den Göttern Gott gehörige Menschen
gemeint. Man muß nur wissen, daß unter Göttern im ersten Falle Engel,
nicht Dämonen (d. h. heidnische Götter) zu verstehen sind. Dagegen in
Ps 96, 4 f. „Furchtbar ist er über alle Götter" sind die Götter der Heiden
gemeint, die für Götter gehalten werden, aber Dämonen sind. Sie
finden Gott furchtbar, wie noch ihr Ruf in Mk 1,24 beweist: „Bist
du gekommen, uns zu verderben?"

Wenn Gott Menschen, die ihm zugehören, Götter nennt, so besagt
der Ausdruck „Gott der Götter", sie sollen gewiß sein, daß er ihr
Gott ist. Nennt man aber die himmlischen Wesen Götter, so heißen
sie niemals „Götter der Götter", d. h. Götter der dem Volk Gottes an-
gehörigen Menschen. Daraus folgt: Gott ist Gott der Götter (= Engel,
denen wir hinsichtlich der Seligkc't einmal gleichen sollen, oder gleich
Menschen, weil sie ihm angehören). Folglich können weder zwischen
Gott und die Engel noch zwischen Gott und die Menschen Mittelwesen
als „Götter" eingeschoben werden, und das meine Paulus mit l.Kor
8, 5—6. Augustin bestreitet aber die Existenz unseliger Geister, die
man Dämonen heißt und die die Menschen zum Abfall vom einen

wahren Gott verführen wollen, nicht: sie sind die Gegner des einen
Gottes und des einen Kyrios. Der Glaube an diese beiden ist „die wahre
Religion".

Anstelle der heidnischen Götter tritt der eine Gott, an die Stelle
der Dämonen als heidnischer Mittelwesen der eine Herr. Der Begriff
„Dämonen" aber soll reserviert bleiben für fälschlich so genannte
Götter, die in Wahrheit böse Geister, die zum Abfall verführen wollen,
sind. Grundsätzlich denkt Augustin hier wie Paulus. Daß sie bisher als
„Götter" verehrt werden konnten und weiterhin als Dämonen gefährlich
sind, hängt an dem Ratschluß der dem Menschen unzugänglichen
Providentia Dei, wobei nicht zu übersehen ist, daß Augustin auch die
Deutung der Dämonen als gefallener Engel und der Götter als ehemaliger
Menschen (XVIII, 8), die durch blinden Aberglauben in die Zahl
der Götter aufgenommen wurden, berücksichtigt. So wächst der Gottesstaat
im Schatten der Weltreiche, deren Götter kommen und gehen, sich
mindern und mehren, dank der Providentia Dei. So bleibt — trotz des
Zurücktretens der eschatologischen Erwartung, die Paulus eigentüm-
j lieh ist — die echte Spannung zwischen gefallener Schöpfung und von
Gott gewollter Erlösung erhalten. Innerhalb dieser civitates terrenae
gibt es aber noch Ungläubige und im Himmel wie auf der Erde entsprechend
„Dämonen', d.h. iJsoi xal xvqioi iv ovQarcp xai im yrjs
(1. Kor 8, 5).

Augustin hat also in Auseinandersetzung mit dem ihm
| allein geeignet erscheinenden Piatonismus die Dämonen beseitigt,
die Götter zu Dämonen degradiert und ihre Existenz der pro-
I videntia Dei unterstellt, welche für uns eine occulta Providentia
| ist und keiner menschlichen Kritik unterliegt.

Ein Dialog mit Dietrich Bonhoeffer über unser Thema setzt
einen bestimmten Begriff von Religion voraus, der aus Zeitmangel
im Vortrage selbst nicht entfaltet werden kann, dessen
Kenntnis aber doch notwendig ist. Ich versuche diesen Begriff
darum in einigen Sätzen zu umschreiben.

Vorbemerkung: Leitsätze zum Begriff der Religion

1. ) Religion ist die Transparenz des Begegnenden für die
letzte Wirklichkeit, man könnte auch mit Tillich sagen: für das
mich unbedingt Angehende.

Das Begegnende kann dabei sehr verschiedener Art sein: Es
kann ein geschichtliches Ereignis oder ein Komplex von Ereignissen
sein, an denen die blinde Tyche- oder Moira-Macht oder
an denen sich eine planvolle Teleologie oder ein personenhaft
erlebter Richterwille manifestiert. Das Begegnende kann die Natur
in ihrer Furchtbarkeit oder auch in ihrer Fruchtbarkeit sein,
es kann — wie in der Magie — ein manahaltiges Weltding sein,
dessen Besitz mich an der Macht der Götter partizipieren läßt.

Die Transparenz des Begegnenden kann ebenso in der vielfältigsten
Weise erfahren werden: in der Ekstasis des Unbedingt-
heitserlebnisses oder in der Rationalität metaphysischer Reflexion,
in der Haltung des Empfangens gegenüber gegebenen Zeichen
(wie in den verschiedenen Formen der sog. Naturreligion) oder in
der Errichtung von Zeichen, von kultischen Chiffren (wie in allen
Formen eines gepflegten liturgischen Zeremoniells).

Die letzte Wirklichkeit endlich kann in ebensolcher Vielfalt
interpretiert werden: als Grund und Abgrund, als Mächtigkeit
oder Wert oder — wie Rudolf Otto es in seinem Begriffe des Nu-
minosen analysiert hat — als ein Komplex dieser Letztgrößen.

2. ) Die Fähigkeit des Menschen, dieser Transparenz des Begegnenden
gewahr zu werden, beruht auf einer Anamnesis des
Menschen an einen ursprünglichen Kontakt mit der ihn nun zei

Das Ende der Religion

Überlegungen zur Theologie Dietrich Bonhoeffers
Von Helmut T h i e 1 i c k e, Hamburg

dem daß sich der Mensch hier als Gegenstand eines ihn Treffenden
erfährt. Und zwar erfährt er es als jemand, der sich ihm gegenüber
in einer Ferne weiß. Er wird dieser Ferne als einer zu
überwindenden Ferne inne, weil er sich in seiner ursprünglichen
Verbindung mit dem Begegnenden wiedererkennt.
Der Begriff Anamnesis soll also sowohl die Echtheit des so Begegnenden
— im Gegensatz zu einer bloß illusionären Projektion
und Erfindung — wie auch die Geschichte eines Verhältnisses zu
dem so Begegnenden bezeugen.

3.) Das Begegnende verliert seine Transparenz und damit
seine Zeichenhaftigkeit und wird selbst für die letzte Wirklichkeit
gehalten (Beispiel: Bildverehrung in der katholischen
Vulgärfrömmigkeit). Dieser Verlust kann in den verschiedensten
Formen eintreten:

a) als Magie: in Form der Geladenheit und Manahaltigkeit
eines Dinges, eines Tieres oder einer Person.

b) als Mythos: Das dem Menschen erreichbare und durch Göttergestalten
ausgesprochene Daseinsverständnis (Odin und
Loki, Götterdämmerung usw.) wird für die letzte Wirklichkeit
gehalten, d. h. die Wahrheit des Menschen bemächtigt
sich des Begegnenden, erkennt es in der Unbedingtheit des
uns Angehens, läßt es aber bedingt sein durch das, was vom
Menschen als wahr gesetzt wird. Die Programmatik der
menschlichen Wahrheitssetzung ist zu unterscheiden von der
kategorialen Struktur unseres Denkens, die alles ihm Begegnende
nur in bestimmten Weisen des geschichtlich gebundenen
Verstehens und deT Sprache empfangen und weitersagen
kann. Die Programmatik der menschlichen Wahrheitssetzung
gestaltet Wahrheit nach menschlichen Willen (en adikia
katechein), während die kategoriale Struktur des Denkens
und Sagens die Wahrheit nur variiert und sich im Prisma der
verschiedenen Empfangsmedien brechen läßt.

chenhaft treffenden letzten Wirklichkeit. Nur weil er von diesem I c) als Pragmatismus moderner Art, etwa in Form der sog. artursprünglichen
Kontakt oder besser: von dieser ursprünglichen gemäßen Religion oder der „Ideologie".
Gemeinschaft herkommt, wird er der im Zeichen verborgenen Ge- 4.) Damit ist bereits angedeutet, daß es hier um keine psy-
genwart dieser letzten Wirklichkeit gewahr. Wenn wir uns so zur chologisch, sondern nur um theologisch verstehbare Tatbestände
theologischen Interpretation des Phänomens „Religion" des Be- geht: Es ist der in Rom. I, 18 ff. beschriebene Tatbestand, der
griffes Anamnesis bedienen, dann vor allem deshalb, um damit i zeigt, warum der Mensch die Transparenz der Welt zerstört: weil
anzudeuten, daß es in der Religion nicht um eine schöpferische, er den Kontakt des Geschöpfes mit dem verloren hat, der hier
der Dichtung verwandte Aktivität des Menschen und darum auch durchscheinen will. Das Geschöpf hat den Schöpfer nicht gepriesen
nicht um den Akt einer Projektion im Sinne Feuerbachs geht, son- I und ihm nicht gedankt; es will sich nicht in seiner Geschöpf lieh-