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Ausgabe:

1956

Spalte:

279-308

Autor/Hrsg.:

Fascher, Erich

Titel/Untertitel:

Gott und die Götter 1956

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 5/6

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jekt" beeinflußt, ändert, ihn in die fisidvoia hineinreißt184, ubi et
quando visum est Deo.

Dixi et salvavi animam meam.

»»*) Vgl. den nach dem Vortrag erschienenen Satz von H. T h i e-
licke, ThLZ 80, Sp. 710: „daß das geisthaltige Wort sich seinen Hörer
schafft, und daß also eine Neuschöpfung stattfindet". Auf seine Darlegungen
zum Verhältnis von Wolfenbüttel zu Marburg kann ich hier
ebensowenig eingehen, wie auf die Sp. 714 gestreifte „Aufgabe, zu
zeigen, inwieweit Altes und Neues Testament selbst bereits wesentliche
Akte der Entmythologisierung vollzogen hätten, sofern man nämlich
unter Entmythologisierung die Befreiung vom inhaltlichen
Kerygma der Mythen verstände", eine Aufgabe, die ich in meinem
o. Anm. 62 genannten Heft anzufassen versucht habe.

Gott und die Götter

Zur Frage von Religionsgeschichte und Offenbarung1

Von Erich Fascher, Berlin

Dem ehrenden Andenken D. Albrecht Oepkes und D. Albrecht Alts

Vorbemerkung:

Wenn auf dem Theologentag 1956 die Abteilung Religionswissen

Schaft eines Hauptvortrags gewürdigt wird, nachdem der internationale
Kongreß für Religionsgeschichte im Frühjahr 1955 in Rom (April) und
die nachfolgende Arbeitstagung der Deutschen Sektion in Marburg (August
) einen so erfolgreichen Verlauf genommen haben, der auf ein wachsendes
Verständnis für diese oft als zweitrangig angesehene Forschung
schließen läßt, so mag der gesamtdeutsche Theologentag in Berlin, dem
Schnittpunkt und Treffpunkt zweier Welten, davon Zeugnis ablegen, daß
die deutsche Theologie im internationalen Wettstreit religionswissenschaftlicher
Forschung, gerade auch im Rahmen theologischer wissenschaftlicher
Arbeit, ihren für sie möglichen und ihrer Forschungsweise
entsprechenden Beitrag zu leisten gedenkt.

Geschieht alle wissenschaftliche Forschung auf dem Hintergrund
und im Zusammenhang jeweiligen Zeitgeschehens, so ist es durchaus in
der Ordnung, wenn nicht nur „die Quellen der Geschichte jeder Zeit
ein anderes Antlitz weisen", weil ihre Kinder mit anderen Fragen ihnen
gegenüberstehen, sondern auch die Schwerpunkte innerhalb der wissenschaftlichen
Fachdisziplinen sich verlagern. Es war durchaus zu verstehen,
daß nach der Katastrophe von 1918 in ein „Zeitalter der in sich ruhenden
Endlichkeit" (Tillich) die dialektische Theologie einbrach und durch
ihren radikalen Angriff auf alle Anpassung theologischer Forschung
an theologiefremdes Denken oder unklaren Synkretismus mit dem, was
nach der Bibel Offenbarung Gottes ist, ernst machte und eine innertheologische
Besinnung und — im nachfolgend gegen Irrlehre zu bestehenden
Kirchenkampf — eine Festigung alles dessen, was bekennende Gemeinde
ist, erstrebte. Hat sich diese Theologie im Kampf gegen christusfeindlichen
„Gottesglauben" und zersetzende Irrlehre in den Reihen der
Theologen und Pfarrer bewährt, so scheint mir nun zu einem Zeitpunkt,
da wir nicht so sehr in die Welt hinausgehen, aber die Außenwelt, von
der wir lange abgeschnitten waren, zu uns kam und uns sowohl zur
Auseinandersetzung mit ihrer Art wie zur Prüfung der unseren nötigte,
auch die Begegnung mit Menschen anderer Religionen und Kontinente
wieder in den Vordergrund zu treten. Damit ist aber die Notwendigkeit
religionswissenschaftlicher Arbeit auch für die Kirchen gegeben, wenn
sie nicht den Kontakt mit den hunderten von Millionen nichtchristlicher
Menschen aller Erdteile verlieren und sich in ein jeweils gewolltes konfessionelles
Ghetto zurückziehen wollen, das als Abwehr und Kräftigung
der eigenen Position eine Zeitlang nötig sein kann, als Dauerzustand
aber verhängnisvoll nach verschiedenen, hier nicht weiter zu erörternden
Seiten werden muß. Diese Erörterung wäre ein Vortrag für sich.

Nur so viel darf gesagt werden: Treiben wir Religionswissenschaft
nicht nach einer von uns ersonnenen Methode in der „stillen Studierstube
" und gar mit der Grundeinstellung der früher so beliebten, weil
erweisbaren oder erwiesenen „Absolutheit des Christentums", sondern
in Verbindung mit unseren Missionaren und Missionswissenschaftlern,
die um harte Auseinandersetzungen mit Andersgläubigen und viel Mißerfolg
wissen, so wird uns die Zuversicht vergehen, mit einem Buch
oder Aufsatz über die Absolutheit des Christentums die Sache Jesu
Christi gefördert oder „gerettet" zu haben. Wir sind nicht mehr eine
christliche Vormacht Europa, die anderen „minder entwickelten" Völkern
auf niedrigerer Religionsstufe das Evangelium samt der Schreibmaschine
oder dem Radio zu bringen hätten, wir sind ein zerrissener, nicht nur
religiös, sondern auch weltanschaulich gespaltener Kontinent, dessen alte
„Kulturvölker" (einst stolz „christliches Abendland" genannt) heute
in weitgehendem Maße der äußeren Mission bedürfen, der man im fernen
Osten hier und da den Zutritt verweigert. Wir stehen nicht bloß
vor einem „völkischen" Neuheidentum, sondern auch vor einem wachsenden
Atheismus, dem es in seiner Radikalität gleichgültig ist, ob einer
an zehn Götter oder an einen Gott glaubt, weil er selbst noch die halb
philosophische, halb religiös mögliche Form des Pantheismus als der heute
sich vollziehenden Veränderung des menschlichen Bewußtseins nicht

*) Durch einige Anmerkungen, welche sich aus der Debatte ergaben
, wurde das Manuskript erweitert.

mehr angemessen erachtet. Wir stehen in der Auseinandersetzung zwischen
den christlichen Konfessionen und mit den nichtchristlichen Hochreligionen
. Wir werden angegriffen von einem wachsenden Welt-Atheismus
und haben dazu um uns herum eine Fülle von Weltanschauungen,
die vom Existentialismus bis zum vollen Nihilismus reichen, und deren
einige man als Ersatzreligionen bezeichnen könnte. In dieser „konkreten
Situation" sind wir hier beisammen und überlegen uns, ob es sinnvoll
und fruchtbringend sei, über das Thema „Gott und die Götter" miteinander
zu reden2.

L

Zu Beginn seiner bedeutsamen Untersuchung über den Gott
der Väter:i hat A. Alt die Frage gestellt, ob wir den entscheidenden
Vorgang des Zusammenschlusses der Stämme Israels zur Verehrung
des Gottes Jahwe in seinen Einzelheiten noch historisch
erfassen könnten, habe doch kein fremdes Volk Israels Werden
belauscht und darüber Aufzeichnungen hinterlassen; Israel selbst
aber verweise uns — jenseits des entscheidenden Mose-Erlebnisses
von Ex 3 — auf einen Sagenschatz, dem wir über den Zusammenschluß
der Stämme nichts entnehmen können, weil hier einzelne
Helden herausgestellt werden, während „die äußere und innere
Geschichte der beteiligten Massen weithin im Dunkel bleibt"
(S. 2). Wenn die „gewaltige Absorptionskraft der Jahwereligion",
wie sie aus Israels späterer Geschichte deutlich hervortritt, schon
in den Sagen um Mose und Josua erkennbar ist, die schon
„alles auf die Bindung an Jahwe als den Gott Israels zuspitzen",
erhebt sich die Frage, ob nicht in den Vätersagen von Abraham
bis Jakob Reste einer älteren Religion zu ermitteln sind, wie sie
den ungeeinten Stämmen eigentümlich war. Es ist hier nicht der
Ort, die komplizierten Vorgänge textkritischer, traditionsgeschichtlicher
und quellenkritischer Art vorzutragen, mit deren
Hilfe Alt ein klares Ergebnis herausarbeitet. Sicher ist, daß zwei
Erwählungstraditionen, welche auf verschiedene Gottheiten —
den „Gott der Väter" und Jahwe — Bezug nehmen, vorgelegen
haben, deren Verschmelzung nicht gelingen konnte, weil die
theologischen Schriftsteller J E und P die Tradition anderer Art
nicht ganz auf ihre Geschichtsschau umzustellen vermochten. In
jeder der 3 literarischen Schichten (J E und P), welche uns heute
zu einem Gesamtwerk vereinigt vorliegen, sind noch Quellenstücke
, die von vorjahwistischer und vorelohistischer Gottesauffassung
zeugen, festzustellen, vornehmlich in den Vätersagen der
Genesis, so daß man von „Göttern der Väter" zu sprechen berechtigt
ist, die erst zum Gott der Väter (d. h. zum Gott Abrahams
, Isaaks und Jakobs) verschmolzen worden sind, um dann
noch mit Jahwe gleichgesetzt zu werden. Dieser Prozeß ist das
Werk jener alttestamentlichen Erzähler, und es bleibt zu beachten
, daß die Bezeichnung „Gott der Väter" da auftritt, wo von
Verheißungen an die Väter die Rede ist, während dabei die ßliffl
Palästinas nicht genannt werden4. Man muß jene an einen Kultort
gebundenen ölim (sei es, daß Israel durch einen der „Väter"
hier eine ältere Tradition übernahm, oder daß an solchem Kultort
eine echte Erscheinung der Gottheit behauptet wird) deutlich
von jenem Gott Abrahams oder Isaaks oder Jakobs scheiden,

!) Vgl. den Sektionsvortrag Th. Siegfrieds vom Theologentag
1954: Theologie und Religionswissenschaft (ThLZ 1954, 5.).

3) A.Alt: Der Gott der Väter. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der
israelitischen Religion. Stuttgart 1929.

4) Vgl. Alt S. 70 und die Verweisung auf Gallings Zusammenstellung
der in Frage kommenden Stellen.