Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1956

Spalte:

259-280

Autor/Hrsg.:

Hempel, Johannes

Titel/Untertitel:

Altes Testament und Religionsgeschichte 1956

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5, Seite 6, Seite 7, Seite 8, Seite 9, Seite 10, Seite 11

Download Scan:

PDF

259

Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 5'6

260

ein Ausdruck dessen, was uns in diesen Tagen überhaupt beschäftigt. Wenn es tatsächlich ein Ende urtümlichen religiösen Bewußtseins
in der heutigen Menschheit geben sollte, so wollen wir bezeugen, daß auch dann die Aufgabe der Evangeliumsverkündigung
weiter geht und daß darum die Aufgaben der Theologie nicht zuende sind.

So hat das dem Andenken Dietrich Bonhoeffers gewidmete Thema unseres dritten Tages von vornherein im Mittelpunkt unserer
Überlegungen gestanden, als wir auf dem Fakultätentag vom April des vergangenen Jahres das Programm dieses Theologentages
besprachen. Und damals schon wurde beschlossen, Kirchengeschichte und Praktische Theologie noch einmal bei den Hauptvorträgen
unberücksichtigt zu lassen und wiederum wie das letzte Mal dem Alten und Neuen Testament vordringlich das Wort zu geben.
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen der biblischen Offenbarung und der religiösen Erfahrung der Völker wurde von Bonhoeffers
Theologie aus gestellt. Wir glauben damit nicht auf antiquierte Fragestellungen zurückzugreifen. Sondern wenn wir uns noch einmal
die von der Religionsgeschichtlichen Schule aufgeworfenen, von Troeltsch so eindrücklich formulierten Probleme vergegenwärtigen
, wollen wir einer Gefahr begegnen, von der manche die heutige Theologie bedroht sehen: daß nämlich unbewältigte Aufgaben,
die wir unberechtigterweise zurückdrängen, unsere gegenwärtig angebotenen theologischen Lösungen unglaubwürdig machen."

„Es ist uns in der Zusammenarbeit der Theologischen Fakultäten in Deutschland über alle politischen und kirchenpolitischen
Schranken hinweg in den letzten Jahren ein Maß von Gemeinsamkeit geschenkt worden, das wir nur mit Dankbarkeit hinnehmen können
. Unsere Gemeinsamkeit besteht trotz aller Gegensätzlichkeiten, die wir unter uns tragen. Sie beruht darauf, daß wir alle in
unserer theologischen Arbeit uns dem Wahrheitsanspruch der göttlichen Offenbarung verpflichtet wissen, wo immer und wie immer
wir unser Werk tun, und daß wir darum unsere Theologie als einen Hilfsdienst für die zeitnahe Verkündigung unserer Kirche betrachten
. Daß dem so ist, ist wahrlich keine Kleinigkeit, ist wahrlich nicht allezeit in Kirche und Theologie selbstverständlich gewesen.
Daß dem so ist, ist ein Zeichen der zwingenden Gewalt göttlicher Führung im Leben unserer Kirche und in unserem eigenen Leben.
Wir gedenken in Dankbarkeit derjenigen unserer theologischen Lehrer, die im letzten Menschenalter diesem Zwang nachgegeben
und — manchmal wie Bileam gegen ihren Willen — von ihm Zeugnis abgelegt haben......

Zeichen unserer Gemeinsamkeit ist dieser Theologentag und der Fakultätentag, der ihn trägt. Lassen Sie uns auch den Fakultätentag
nicht bloß als ein Instrument zur Lösung technischer Fragen ansehen. Daß er mehr ist — trotz seiner ständig wechselnden
personellen Zusammensetzung —, das hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt. Und das ist er geworden unter der besonnenen
und verständnisvollen Leitung meines verehrten Vorgängers D. Ebeling, den wir nicht ohne wirklichen Schmerz aus der engeren Zusammenarbeit
mit uns scheiden sehen und dem wir auf sein neues Arbeitsfeld den Auftrag mitgeben, die Verbindung immer fester
zu gestalten mit den drei deutschsprachigen Fakultäten der Schweiz, deren Vertreter wir heute hier samt den Wiener Kolleginnen
und Kollegen aufs herzlichste begrüßen.

Und nun lassen Sie uns an die Arbeit gehen in dem Sinne, wie Luther 1528 das „ut sint unum sicut et nos" von Joh. 17, 11 ausgelegt
hat. Er hat uns da gezeigt, daß Einheit nicht Gleichförmigkeit ist. „Non sumus .gleich', sed ,eins'; es heißt .sancta c o m m u-
nio', non .similitudo' ". „Ariani sua ratione, mensura et sapientia sua ex philosophia concludunt: Quando duo sunt simili-
ter affecti; ibi ist .eins' so viel als .gleich'. Nos Christiani non solum similiter adfecti, sed unum corpus sumus5."

WilhelmMaurer
Präsident des Fakultätentages der evangelisch-theologischen Fakultäten in Deutschland

s) Vgl. WA 28, 149, 1 ff. und den schönen Aufsatz von Ernst Wolf: Die Einheit der Kirche im Zeugnis der Reformation (Peregrinatio,
1954, S. 146 ff., bes. S. 178).

Altes Testament und Religionsgeschichte

Von Johannes H e m p e 1, Göttingen

Seit vor 60 Jahren Hermann Gunkels „Schöpfung und Chaos
in Urzeit und Endzeit" der religionsgeschichtlichen Erforschung
des AT einen starken Auftrieb gab, hat sich das Vergleichsmaterial
in ungeahnter Weise vermehrt. Nicht nur von Einzelfunden
, deren Liste sich beliebig verlängern ließe1, fallen
Schlaglichter auf oft recht bedeutsame Fragen, sondern weit darüber
hinaus sind neue Sachgebiete in Raum und Zeit erschlossen.
Das Sumerische ist erst nach der Jahrhundertwende in größerem

*) Als Beispiele seien genannt: Für das 14. Jahrhundert die Statue
des Idrimi von Alalakh (S. Smith, The Statue of Idrimi, Occasional
Publications of the British Institute of Ardiaeology in Ankara, 1, London
1949); für das 10. (so F. W. Albright, Journ. Amer. Or. Soc.
67, 1947, p. 155 ff.) der Sarkofag des Achiram von Byblos (zur Deutung
zuletzt M. Haran, Bull. Isr. Expl. Soc. 19, 1955, p. 56 ff.); für
das 8. Jhdt. die Karatepe-Inschriften (vgl. namentlich A. Alt, Welt
des Orients 1,4, 1949, S. 272 ff., auch R. T. O' C a 11 a g h a n, Orien-
talia 18, 1949, p. 173 ff.) und der Bar Gajah-Vertrag von Sudschin
(S. Ronzevalle, Mel. Univ. St. Jos. Beyrouth, 15, 7, 1931, p.
237 ff.; vgl. ZAW 50, 1932, S. 178 ff.); für das 6. Jhdt. die Ostraka
von Lachisch (H. Torczyner, Lachish I, London 193 8; die wichtigsten
bei K. Galling, Textbuch zur Geschichte Israels, Tübingen 1950,
S. 63 ff., in Übersetzung (W. F. Albright) bei J. R. Pritchard
Ancient Near Eastern Texts relating to the OT, Princeton 19552,
p. 321, (mit Bibliografie), für das 5. Jhdt. die Elephantinepapyri und
-ostraka (vgl. die zuerst von E. Sachau publizierten Texte bei A.
Cowley, Aram. Pap. of the fifth cent. B.C., Oxford 1923, die später
bekannt gewordenen bei E. G. K r a e 1 i n g, The Brooklyn Museum
Aram. Papyri, New Häven 1953; einige wichtige bei Pritchard,
aa. O. S. 491 ff. (H.-L. Ginsberg); nichtjüdische bei G. R. D r i-
v e r, Aramaic Documents of the fifth Century B.C., Oxford, 1954;
Vgl. ZAW 65, 1953, S. 299 f..

Umfang zuverlässig bekannt geworden2; wesentliche religiöse
Text, z. B. ein dem „Hiob"-Problem gewidmeter Text, erschließen
sich uns gerade eben in unserer3 Gegenwart, und die
Bedeutung der Tammuzlieder auch für das Hohe Lied ist noch
umstritten4. Nicht minder bedeutsam ist die sprachliche Erschließung
des Hetitischen5. Das Reformgesetz gewährt einen Einblick
in die nichtsemitische Ausformung der durch andere Kodices
weit über Hammurapi hinauf zu verfolgenden altorientalischen
Rechtstradition6. Für Historiografie und Autobiografie7 machen
Zeugnisse die Ausnahmestellung der israelitischen und griechischen
Geschichtsschreibung zum Problem. Die Auffindung und
rasche Entzifferung des Keilschriftalfabets von Ugarit und der in
ihm niedergelegten Texte8 befreit uns von der polemischen Ein-

2) Zur Erschließung des Sumerischen vgl. J. Friedrich, Entzifferung
verschollener Schriften und Sprachen, Berlin 1954, S. 58 f.

3) Vgl. S. N. K r a m e r, Vet. Test. Suppl. III (Festschr. Rowley)
1955, 170 ff., H. Schmökel, Forschungen und Fortschritte 1956,
S. 74 ff.

*) Vgl. vorläufig H. Schmökel, ZAW 64, 1952, S. 148 ff.

5) Zur Erschließung des Hetitischen vgl. J. Friedrich, a. a. O.
S. 59 ff. 72 ff.

6) Neueste Übersetzung (durch A. G o e t z e) bei Pritchard,
a.a.O. S. 188 ff.; ebenda S. 159 ff. der Cod. des Lipit-Istar (S. N.
Kramer), S. 161 ff. des Bilama von Esnunna (A. G o e t z e), S.
163 ff. des Hammurabi (Th. J. M e e k) und S. 180 ff. die mittelassyrischen
Gesetze (Th. J. M e e k). Zum Grundsätzlichen vgl. G. E. M e n-
d e n h a 11, Law and Covenant in Israel and the ancient Near East,
Pittsburgh, 1955 (Sonderdruck aus Bibl. Archaeologist 17, 1954).

7) Vgl. H. G. Güterbock, Zeitschr. f. Assyr. 44, 1938, S. 4 5 ff.

8) Vgl. J. Friedrich, a. a. O. S. 69 ff.; die Texte s. bei C. H.
Gordon, Ugaritic Manual (Analecta Orient. 3 5), Rom 1955 und
Ugaritic Literature, Rom 1949. Übersetzungen wichtiger Stücke bei