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Ausgabe:

1956 Nr. 4

Spalte:

199-202

Autor/Hrsg.:

Mowinckel, Sigmund

Titel/Untertitel:

Zur Sprache der biblischen Psalmen 1956

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199

Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 4

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eines etwas unfügsamen Partners allzu leicht zu entledigen. Ein bes.
bemerkenswertes Beispiel aus älterer Zeit steht mir vor Augen und sei
hier in Erinnerung gebracht: Der sonst in den Dingen der Kontroverstheologie
so behutsame und verständnisvolle R. Grosche hat szt. die
m. E. ausgezeichnete Abhandlung von Em. Hirsch über das römisch-katholische
Glaubensverständnis (in dem von H. W. Beyer u. a. hg. Sammelband
: Der römische Katholizismus und das Evangelium. Stuttg.
1931) unter Hinweis auf die angeblich mangelhafte Fundierung abgetan
(Catholica I, 1932 S. 96). Gewiß zeigte jene Abhandlung Em. Hirschs
dem römischen Glaubensverständnis gegenüber keinerlei irenischen Willen
— und seine Interpretation des reformatorischen Glaubens muß hier
völlig auf sich beruhen!; aber sein Beitrag zum zugestandenermaßen
schwierigsten Kapitel der katholischen Dogmatik (vgl. M. Schmaus,

Kath. Dogm. I, 1 München 1948 3./4.Aufl. S. 147) nämlich der „Ana-
iysis fidei" durfte keineswegs auf diese Weise abgetan werden. — Solange
uns von römisch-katholischer Seite „der Denzinger" als „die" Normensammlung
katholischer Lehre — wenn freilich nicht als die einzige,
so doch als die klassische — gereicht wird und so lange er auch in den
katholisch-dogmatischen Lehrbüchern und in der Kontroverstheologie
als quasi-normativ gebraucht wird, sollte man protestantischen Autoren
nicht so rasch vorwerfen, daß sie sich auf ihn stützen. Er ist nun
einmal repräsentativ für die römische Lehre, auch wenn man ihn gelegentlich
als eine höchst subjektive Auswahl bezeichnet hat. Womit jedoch
, wie oben gesagt, über die einzelnen Einwände gegen N.'s Aufstellungen
kein Urteil gesprochen ist.

Zur Sprache der 1

Von Sigmund M i

M. Tsevat betont in Kap. I „Aim and Method" seines Werkes1
, daß seine Arbeit eine rein linguistische und die Methode
die statistische ist, im Gegensatz z.B. zu solchen sprachstatistischen
Untersuchungen, deren Zwedc es ist, Argumente etwa für die
Quellenkritik zu liefern. Inwieweit literatur- und religionsge-
schichtliche Konsequenzen sich aus den Resultaten der Untersuchung
geben wollen, ist eine weitere, erst nach der Beendigung
der linguistischen Arbeit zu erhebende Frage.

Das ist ohne Zweifel eine gesunde Methode. Ts. orientiert
über die näheren Forderungen für die Erklärung eines Wortes als
zur „Psalmensprache" gehörig: so und so viel Bezeugungen in
den Pss., das relative Verhältnis dieser zu dem Auftreten des
Wortes in anderen biblischen Texten usw. Über Einzelheiten
könnte man diskutieren.

So z. B. bei der Bestimmung des Psalmenmaterials außerhalb des
Psalters, S. 4 f. Warum z. B. nur Dtn. 22, 2—5 und nicht auch vv. 26 ff.,
die doch offenbar die originale Fortsetzung des vom Verfasser des
Dtn. 33 als Rahmen benutzten Psalms bilden? Warum Am. 7, 2. 5 und
nicht 4, 13; 5, 8 f. und 9, 5 f.? Warum „Hab. 3, 2 (3—19)", da doch das
ganze Kapitel einen planvoll aufgebauten Klagepsalm, wenn auch einen
prophetischen, bildet? (s. Mowindcel in ThZ 9, 1953, Ss. 1 ff.). Sind
doch die „Klagegedichte" des Jeremia mitgenommen I Warum nur
Nah. 1, 2—8, da doch mindestens auch w. 9—10 zu diesem, textlich arg
verstümmelten, prophetischen Psalm gehören?

Für die Nichtberücksichtigung des meisten des (indirekten)
Materials in Hiob gibt Ts. einem guten, wenn nicht unbedingt
bindenden Grund (S. 6). Daß er auch die Prosagebete berücksichtigt
(S. 9 f.), wird man billigen; es ist ein allgemeines reli-
gionsphänomenologisches Gesetz, daß die sogen, „freien Gebete",
„Laiengebete", sich fast ausschließlich in dem Sprach- und Vorstellungskreise
des rituellen, kultischen Gebetes, des Psalms, bewegen
.

Methodisch ganz richtig ist es auch, daß Ts. auch auf solche
sonst geläufige Wörter und Ausdrücke, die n i c h t in den Pss.
vorkommen, aufmerksam ist, auch das ist ein charakteristischer
Zug der Psalmensprache.

So konstatiert man freudig anerkennend, daß Ts. mit seinen
sprachstatistischen Listen nebst Quellenbelegen eine sehr
nützliche Arbeit geleistet hat, und daß es ihm gelungen ist, viele
charakteristische lexikalische, phraseologische und auch grammatische
Züge einer speziellen poetischen Psalmensprache klarzulegen
.

Auch hier wird man natürlich Bemerkungen zu Einzelheiten
machen können und müssen.

So ist wohl dumiyyd nur 3, nicht 4 mal bezeugt, da in Ps. 65, 2
offenbar eine falsche Vokalisation vorliegt. — Ob 'ajfre- wirklich
der Psalmensprache zuzurechnen sei? Gattungsgenetisch gehört es zum
manaerfüllten Segenswort und ist von dort in die Formensprache sowohl
der Weisheitsdichtung als auch der prophetischen Rede übergegangen. —
Wenn ge'im mit 11 Bezeugungen, darunter 9 Emendationen, aufgeführt
wird (S. 16), so ist das unberechtigt; B.Duhms Emendationen von

*) T s e v a t.Qvlatitiahu: A Study of the Language of the Biblical
Psalms. Philadelphia: Society of Biblical Literature 1955. VIII, 153 S.
gr. 8° = Journal of Biblical Literature. Monograph Series Vol. IX-
$ 1.50.

liblischen Psalmen

i w i n c k e 1, Oslo

goyyim in ge'im in diesen Fällen (D. Psalm, 1899; vgl. auch
H. L. Ginsberg in H U C A 23 I, Ss. 8 f.) sind ganz sicher grundlos, wie
Birkeland in Die Feinde des Individuums in der
israel. Psalmenliteratur, 1933, Sp. 152 ff. bewiesen hat;
vgl. auch H. Birkeland, The Evildoers in the Book of
Psalms, Oslo 1955, wo er die nationale Deutung der (meisten)
„Feindespsalmen" erhärtet hat. — Yehi4ä 22,21; 35, 17 b e d e u t e t
nicht „soul", sondern bezeichnet die „vereinsamte" und somit hilfebedürftige
Person („Seele") des Beters. — Daß, abgesehen von den Gebeten
, „the diction of the poetic adresses of the prophets does not
seem to have anything in common with psalm language" (S. 123;
N. 353), ist nicht richtig; der stilistische Zusammenhang der prophetischen
„Scheit- und Strafrede" mit den Klagen der Psalmisten über
das böse Treiben der Feinde ist doch recht deutlich. (So ist auch Ts.s
Bemerkung gegen die „neueren Hypothesen" über die kultische Rolle
der Nebi'im unangebracht). — „Jedutun" ist offenbar kein Personen-
I name = Ethan, sondern ein liturgischer Terminus. — Es wundert einen,
in den Listen des Verf. die für die Psalmen charakteristischen Ausdrücke
'äwaen und po'ale 'äwaen nicht zu finden. Zwar kommen
sie auch sonst häufig vor; in den Pss. aber ist der ursprüngliche, mana-
istisch-magische Sinn des Wortes 'äwaen «'aun, urspr. identisch
mit 'on<C'aun = Macht, Mana) noch deutlich zu erkennen (vgl. Mowindcel
, Psalmenstudien I. 'Awaen und die individuellen
Klagepsalmen 1921), wenn es auch hier meistens
rationalisiert und verallgemeinert worden ist (was ich in P s S t I nicht
genügend erkannt hatte, von Birkeland aber nachgewiesen worden ist).
Das Vorkommen eines solchen „archaistischen" Wortes würde sehr gut
zu Ts.s geschichtlichen Konklusionen (s. unten) stimmen.

Ss. 31 ff. prüft Ts. seine Statistik auf die verschiedenen Gattungen
der Pss. Er schließt sich hier ganz Gunkel-Begrich und
deren rein formalen (manchmal formalistischen) Unterscheidungskriterien
an und beweist zugleich, daß er auf d i e s e m Gebiete
sehr ungenügend orientiert ist und Kenntnis der meisten neueren
europäischen Literatur über die Psalmengattungen vermissen läßt.
Daß er mein Offersang og sangoffer, Oslo 1951,
nicht kennt, mag damit genügend entschuldigt sein, daß es norwegisch
erschienen ist. Seine Note 342 (S. 121) läßt erkennen, daß
er auch nicht P s a 1 m e n s t u d i e n I—VI 1921—24 kennt,
offenbar auch nicht Birkelands oben erwähntes Buch von 1933.
So ist seine Auffassung der Gattungen eigentlich ganz veraltet.
Daß er die „Thronbesteigungspsalmen" auf die 5 Hymnen, die
ausdrücklich den Ausdruck yhwh mälak enthalten, beschränkt,
die Zahl der „Königspsalmen" auf diejenigen, wo der Betende
oder derjenige, für den gebetet wird, ausdrücklich als „König"
oder „Gesalbter" präsentiert wird, daß er eine eigene „Gattung"
„Vertrauenspsalmen" aufführt, daß er mechanisch nach Gunkel-
Begrich-Westermann zwischen Ich- und Wir-Psalmen unterscheidet
und nicht erkannt hat, daß das redende „Ich" in sehr, sehr
vielen Fällen der das Volk (die Gemeinde) vertretende König und
das Anliegen des Psalms ein nationales ist, daß er überhaupt
nicht die Bedeutung der Beachtung der Situation eines
Psalms für die Erkenntnis und die Klassifikation desselben erkannt
hat (von mir und Birkeland u. a. wiederholt betont) und
somit die wertvolle Unterscheidung Birkelands zwischen „Klagepsalmen
" und „Schutzpsalmen" nicht hat beachten können —
dies alles macht seine Betrachtungen über die Verteilung der
sprachlichen Eigentümlichkeiten auf die verschiedenen Gattungen
ziemlich wertlos. — Glücklicherweise aber — das sei ausdrücklich