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Ausgabe:

1956 Nr. 3

Spalte:

182

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Bodmer, Frederick

Titel/Untertitel:

Die Sprachen der Welt 1956

Rezensent:

Melzer, Friso

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 3

182

den letzten Kern menschlicher Daseinsweise zurückzuverfolgen.
Dabei wird so vorgegangen, daß in einem ersten Teil das Vorverständnis
des Wollens geklärt wird; hier wird die Freiheitsproblematik
aufgerollt. Der zweite Teil gilt der Analytik der Tatsachen
, — der phänomenologische Teil. Der dritte Teil bringt die
Ontologie des Wollens.

Wenn der Rezensent auch nicht an eine Kritik des philosophischen
Teils heranzugehen sich getraut, so darf er doch seiner
Bewunderung über die Klarheit des Ganzen wie der Teile Ausdruck
geben. Wie hier mit größter Präzision Begriffe geklärt,
Strukturen erfaßt, Kategorien gewonnen sind, wie in knapper, geschliffener
, edler Sprachgestaltung der Leser zwingend zum Ziel
geführt wird, dürfte der Tradition der deutschen Philosophie würdig
sein. Gewiß sind Prägnanz des Ausdrucks und Erregung gespannten
wissenschaftlichen Interesses keine letzten Kriterien
wissenschaftlicher Leistung, sie sind aber Empfehlungen für den
Hungrigen und Aufnahmewilligen. Wir geben zur Kenntnis, daß
der Kritizist einer Metaphysik, die nach einem Sein an sich fragt,
das Recht bestreitet, damit auch einer theologischen Anthropologie
, die sich auf absolute Transzendenz gründet. Aber auch die
idealistische Seinslehre wird abgewiesen; das Sein ist mehr als
menschliches Erleben. Der Kritizist ist Dialektiker: der Mensch
verhält sich zum Sein, dadurdi daß er will und handelt. Dialektisch
gilt beides: indem menschliches Erkennen und Wollen funktionieren
, entsteht für sie in ihrem Vollzug die Welt des Seienden
, aber solche Erkenntnis übersteigt die Subjektivität und führt
über das erscheinende Sein zum Sein als Ganzem.

Während wir uns in der Stellungnahme bisher Zurückhaltung
auferlegten, möchten wir sie für den phänomenologischen Teil,
also für das umfangreiche Mittelstück, fahren lassen und unsere
uneingeschränkte Zustimmung bekunden. Die Thematik hier war
weithin gegeben. Zunächst das Thema der Triebe, das aus dem
kritizistischen Ansatz heraus und auf dem Boden einer Freiheitslehre
eine Behandlung erfährt, welche den Trieb als okkulte
Macht oder mythisches Wesen (Freud!) nicht zu erklären vermag,
sondern nur als Erscheinung des allgemeinen Lebensdrangs, „der
als der dynamische Untergrund aller Lebenserscheinungen
vorausgesetzt werden muß" (145). Im Zusammenhang damit wird
eine mustergültige Konfrontierung mit der Tierpsychologie, d. h.
der Instinktlehre, vollzogen. Der Mensch fühlt sich getrieben,
das Tier i s t getrieben! (156). Indem ich der Triebhaftigkeit innewerde
, bin ich ihr schon bis zu einem gewissen Grade enthoben,
nämlich durch meine Stellungnahme zu ihr. Zur Thematik gehörte
auch die These vom Schichtbau des Seelischen. Sie erfährt bei K.
eine glückliche kritische Durchleuchtung, die in dem Ergebnis endet,
daß schon im vitalen Urgrund des menschlichen Trieblebens das
Geistige zum Ausdruck kommt, „als grundsätzliche Eigenart des
menschlichen Daseins" (175). Sie führt über kindliche Vorformen
zum menschlich reinen Wollen auf dem Grunde der Freiheit. „Das
Wollen läßt sich kennzeichnen als die durch Triebantriebe ausgelöste
Selbsttätigkeit" (187). Alle Gedankenführung dieser Art
dient einer Anschauung von der Ganzheit und Ungeteiltheit
menschlichen Daseins, dessen Lebenslinie quer durch alle Schichten
des Seelischen führt. Hier scheint uns alles treffend gesagt zu sein,
wie auch in den noch folgenden Abschnitten über die Strukturen
der Motivation, des Wollensaktes und des Wollensvollzuges. Der
Anhang über Wollensdefekte und Willensschulung wird die Psychoanalytiker
und Seelsorger interessieren.

Nicht ganz neu, aber im Zusammenhang dieser Philosophie
bemerkenswert ist der zum Abschluß dargbotene Versuch, die
Nähe des Menschen zum Geist aus seiner stiefmütterlichen Behandlung
durch die Natur zu begreifen. Der Mensch ist durch sein
biologisch zu kurzes Werden im Mutterleib in der naturhaften Ausstattung
überhaupt zu kurz gekommen; Biologen behaupten, daß
die menschliche Schwangerschaft „eigentlich" 20 Monate dauern
müßte. Durch seine Frühgeburt ist der Mensch dem weiteren
Zangen- und Würgegriff der Natur entzogen, darum vom Zwang
der tierischen Spezialisierung befreit und instinktarm geworden,
..einer ungeheuren Reizüberflutung ausgeliefert" (340) und einem
ständigen „Antriebsüberschuß" ausgesetzt, — Voraussetzungen,
die das Schöpferische des menschlichen Daseins begründen könnten.

Von den Neueren haben beonders anregend Kierkegaard,

Scheler, Pfänder und Heidegger auf die Ausbildung dieser Philosophie
gewirkt.

Leider fehlt ein Sachverzeichnis.

Rostock O. Holtz

B o d m e r , Frederick: Die Sprachen der Welt. Geschichte —Grammatik
— Wortschatz in vergleichender Darstellung. Aus dem Englischen
übersetzt durch Rudolf Keller. Köln: Kiepenheuer & Witsch [19551.
X. 753 S., 46 Abb. 8°. Lw. DM 23.50.

Der englische Titel der im Verlag Georg Allen & Unwin,
London, erschienenen Originalausgabe lautet TheLoom of
Language (wobei 1 o o m wohl als Webstuhl zu verstehen
ist). Der Titel der deutschen Ausgabe führt irre: es geht dem
Verfasser nicht um die Sprachen der Welt, sondern um die
praktisch-pädagogische Frage, wie man fremde Sprachen leichter
erlernen könne, und welche Voraussetzungen eine mögliche Weltsprache
erfüllen müsse, um sich als solche durchzusetzen und zu
behaupten.

Dies ist der Aufbau und Inhalt des umfassenden Werkes:
Teil I bietet eine Entwicklungsgeschichte der Sprache und darin
zunächst eine Geschichte des Alphabets mit zahlreichen interessanten
Abbildungen; darauf eine Formenlehre (als „Tafelmanieren
der Sprache" dem Leser nahegebracht); dann eine Syntax
(als „Verkehrsregeln der Sprache" dargestellt); schließlich
eine Einteilung der Sprachen. Teil II schildert das europäische
Erbgut und stellt eine Rundreise durch den germanischen und
romanischen Zweig dar. Teil III erörtert ausführlich das Problem
einer Weltsprache. Hier werden zunächst unter dem merkwürdigen
Titel „Sprachkrankheiten" uns ferner stehende Sprachen
wie der indische Zweig, die baltische und slawische Gruppe, die
semitischen Sprachen, aber auch das Chinesische abgehandelt.
Dann folgt eine gute Übersicht über die konstruierten Hilfssprachen
Volapük, Esperanto, Interlingua usw.; schließlich
Grundgedanken über eine Sprachplanung der Zukunft. Teil IV
heißt „Sprachmuseum" und bietet hauptsächlich den germanischen
und den romanischen Wortschatz, jeweils in fünf Spalten
den Wortschatz von fünf Sprachen der gleichen Familie miteinander
vergleichend, nach Sachgebieten gegliedert.

Unter welchem Gesichtspunkt kann dieses Werk für den
theologischen Leser wichtig sein? Es stellt einen Gipfel des rationalistischen
Denkens im Raum der Sprache dar. Diese Einseitigkeit
macht es anziehend dort, wo es um Planung geht: um
die pädagogische Frage des technischen Sprache-Lernens sowie
um die Frage nach einer künstlichen Sprache, die über die muttersprachlichen
Grenzen hinweg die Menschen und Völker verbinden
kann und soll. Sie macht es aber auch abstoßend, wo es gilt,
dem geschichtlich Gewordenen gerecht zu werden. Da finden sich
so unverständige Aussagen wie S. 428: „Der russische Wortschatz
wird von einer ungeheuren Zahl nutzloser Verbformen
aufgebläht." Das verstehen wir nur, wenn wir hören, der Verfasser
rühme Basic-Englisch, weil es mit nur 16 Verben auskomme
. Der Himmel wolle uns vor solcher „Sprachplanung" bewahren
, denn sie würde das Ende menschlicher Kultur bedeuten!
Darum also auch das Aburteil über die schwierigeren Sprachen,
die sich nicht in das rationalistische Schema einordnen lassen,
als „Sprachkrankheiten"!

Noch einmal: soweit der Verstand im Raum der Sprache
etwas zu sagen hat, ist dieses Buch von Wert. Wo aber der Geist,
wo das Leben spricht, da hat es seine Grenze.

Künzelsau Friso M elzer

B er t h o 1 d, JR., Fred: Logical Empiricism and Philosophical Theology.

The Journal of Religion XXXV, 1955 S. 207—217.
D e 1 f g a a u w, Bernard: De Kierkegaard-Studie in Scandinavie.

Tijdschrift voor Philosophie 17, 1955 S. 699—710.
H 0 i r u p, Henning: Grundtvig and Kierkegaard. Their Views of the

Church.

Theology Today XII, 1955 S. 328—342.
Kerr, Hugh T.: A Kierkegaard Centenary.

Theology Today XII, 1955 S. 291—294.
Leemans, Victor: De wordingsjaren van Sören Kierkegaard.

Tijdschrift voor Philosophie 17, 1955 S. 623—662.