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1955 Nr. 3

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 3

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Frage ist die, ob zwischen der politischen Neugründung „Europa"
und der politischen und metapolitischen Verwirklichung europäischer
Universitäten ein innerer und besonderer Zusammenhang
waltet, welchen Zusammenhang anzunehmen die Geschichte
selbst nahelegt. Ziegler geht der Frage dieses Zusammenhangs
in einer eigentümlich fesselnden Weise nach. Bald sind es weitspannende
geistesgeschichtliche Analysen, in denen er den Einbruch
der fünften Fakultät, nämlich der Naturwissenschaft und
Technik in die Ordnung der vier Fakultäten mit ihren unheimlich
Weitreichenden Folgen untersucht. Bald ist es die dichterische
Entfaltung einer Zukunftsschau Goethes, der seinen Wilhelm
Meister ahnungsvoll vor den Möglichkeiten der Naturwissenschaft
zurückschrecken läßt. Bald ist es die meditative Ausschöpfung
des Mythos vom Feuerraub des Prometheus, der thematisch die
ganze Schrift durchzieht. Das Ergebnis dieser vielgestaltigen Schau
wird in Begriffen eingefangen, die nahezu die Gestalt von Lehrsätzen
annehmen. „Die Fortschritte in der gemeinmenschlichen
Entwicklungsgeschichte geschehen ausnahmslos auf Kosten des
an und für sich Heiligen, seitdem ein unvordenklicher Frevel dieses
seiner Selbstgenügsamkeit entwendete" (S. 69). Ein Zurückschrauben
dieser Entwicklung kann es nicht geben. Die nach vorwärts
gerichtete Frage kann nur lauten: „Wie gelangt der Mensch
zum andern Male in den Vollbesitz seiner um der fünften Fakultät
willen ausgeschiedenen Innenwelt?" (S. 91). Eine Hoffnung
auf eine künftige Beantwortung dieser Frage ist in der Tatsache
, daß die beiden total auseinander gebrochenen Welten,
die Außenwelt und die Innenwelt, von beiden Seiten in einer
Bewegung der Annäherung begriffen sind. Vorausahnend will
Ziegler den Raum der neuen Begegnung in der seit Sigmund
Freud wiederentdeckten Tiefenseele finden. „Die vielschichtige
Ein- und Ganzheit der Welt gründet in der vielgliedrigen
Einstämmigkeit der Weltschlüsselzeichen" (S. 143). Als mögliches
Ziel sieht er eine „polyphone Symphonie, symphonische
Polyphonie, nicht allein aller noch irgendwie lebendigen Überlieferungen
beider Hemisphären mit ihren entsprechenden Gesellschaftsordnungen
, vielmehr auch sämtlicher Kirchen und Bekenntnisse
, ja sogar Sekten, denen die erdkreisumspannende
Ökumene... aufgetragen scheint" (S. 147). Von diesen etwas
mystischen Schlußausführungen her heißt die den kommenden
europäischen Universitäten gestellte Aufgabe, daß „nicht zu erforschen
, geschweige denn zu lernen sei, was die eingetretene
Aufspaltung abendländischen Weltbewußtseins noch fürder beleibt
und begünstigt. Alles jedoch zu erforschen, alles zu lernen,
Was die vergessenen Innenwelten dem Schlünde des unbewußten
Seins wieder entreißt und aus der Unterwelt wieder zu Tage
fördert" (S. 15 5).

Kiel Heinrich Rendlorff

Schlötermann, Heinz: Vom göttlichen Urgrund. Acht Gespräche
über das Christentum von Meister Eckhart bis Berdiajew. Hamburg:
Richard Meiner [1950]. 279 S. 8°. Kart. DM 6.20; geb. DM 7.80.

Der Vf. unterscheidet zwei Wege oder zwei Methoden der
"eligionsphilosophie: „die erste, die der Kantischen entspricht,
geginnt mit Eckhart und führt über Nikolaus von Kues und Jakob
Böhme zu Hegel und Berdiajew, während die zweite — als
trgebnis der Romantik — mit Sendling beginnt und über Schleier-
macher und Kierkegaard zu Rudolf Otto führt" (S. 18). Das Wesen
der ersten Methode ist die Behauptung der Autonomie des
Menschen, die Verankerung des religiösen Glaubens im Geist, in
der Vernunft und ein immanentistischer Gottesbegriff; das We-
^en der zweiten Methode ist Behauptung der Heteronomie des
Menschen, Verwerfung der Vernunft bei der Gotteserkenntnis
Zugunsten der „Anschauung" und des „Gefühls" und ein »rans-
Zendentistischer Gottesbegriff. „Der Weg von Eckhart zu Ber-
aiajew ist der Weg des autonomen Menschentums, das Gott als
^Jtonomes Prinzip in sich selbst erfährt, während der Weg von
Delling zu Otto immer wieder ,das ganz Andere' Gottes betont
und den Menschen in das Nichts stößt" (S. 20). Schon an dieser
ormulierung spürt man, auf welcher Seite der Vf. steht. Das
u<h ist seiner Intention nach ein Kampf gegen den Begriff eines
ranszendenten, an sich seienden Gottes. Die religionsphiloso-
Pnische Stellung des Vf. ist seine Sache. Auch ist zuzugeben, daß
man die Religionsphilosophie unter den bezeichneten Gesichtspunkten
betrachten und klassifizieren kann. Wenig glücklich aber
scheint S. uns bei der Wahl der Philosophen gewesen zu sein,
die er als Vertreter der einen oder der anderen Methode präsentiert
. Sieht man einmal von Kierkegaard ab (der sich überhaupt
seltsam ausnimmt in der Reihe Sendling — Schleiermacher —
Otto), so bleibt bei ihnen allen, also auch bei der Reihe Eckhart —
Berdiajew, der Gottesbegriff in eigentümlicher Schwebe zwischen
Immanenz und Transzendenz, und es ist eine Vergröberung und
Vergewaltigung, wenn man sie in ausschließlicher Weise der
einen oder der anderen Seite zuzählt. Gerade für sie paßt das
Schema nicht, in das der Vf. sie preßt. So ist es kein Zufall, daß
er bei der Besprechung Berdiajews am Ende zu Scheler übergeht,
weil er bei Berdiajew letztlich doch nicht finden kann, was er
sucht. Vollends peinlich berührt das groteske Mißverstehen der
Gedanken Rudolf Ottos (bes. S. 250 f.).

Auch die Art der Darbietung ist wenig ansprechend. Die
„Gespräche" sind nicht echte Dialoge, sondern ein Schulmeister,
der eine ganze Bibliothek zur Hand hat oder auswendig weiß,
belehrt drei Gesinnungsgenossen. Die langen Quellenzitate empfindet
der Leser gelegentlich als Lichtblick. Leider erfährt er nie
den genauen Fundort. Nur seine eigenen größeren und kleineren
Arbeiten zitiert der Vf. mit der wünschenswerten bibliographischen
Genauigkeit (wobei mit der Abkürzung „a. a. O." stets das
Städtchen Meisenheim gemeint zu sein scheint).

Wie S. im Vorwort schreibt, will er mit seinem Buch „anregen
und aufregen". Ob er bei anderen Lesern sein Ziel erreicht
hat, sei dahingestellt1, dem Unterzeichneten war die Lektüre
eine Qual. Und das ist auch das einzige, was er vorzubringen
hat, wenn er zum Schluß für die große Verspätung der Rezension
um Entschuldigung bittet.

*) Ich möchte nicht versäumen, auf die sehr positive Besprechung
hinzuweisen, die das Buch im Philos. Literatur-Anzeiger 1II/5 von Friedrich
Feigel erhalten hat.

Kiel-Wellingdorf__Ludolf Müller

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