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Ausgabe:

1955 Nr. 3

Spalte:

166-167

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Jahrbuch, kirchenmusikalisches ; 36. Jg. 1953 ; 37. Jg 1953 1955

Rezensent:

Söhngen, Oskar

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165

Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 3

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Sterbenmüssen zum Gegenstand des Nachdenkens. Er starb freiwillig
. Aber diese Freiwilligkeit lag, gemäß der dogmengeschichtlich
epochemachenden Lösung des Lombarden schon in der „Annahme
der mit dem Sterbenmüssen behafteten Natur" (271).
Ähnlich dann auch der Porretaner Alanus von Lille: Adam unterlag
beim Sterben einer necessitas illata (wegen der Sünde), wir
einer necessitas innata, Christus einer necessitas assumpta
(243 f.). -

In Kap. X kommen trotz vielfach quälerischer Problematik mancherlei
interessante Gedankengänge zur Darstellung, so die Lehre von
den drei oder vier Ständen des Menschen (vor dem Fall, nach ihm, nach
der Gnade, nach der Verherrlichung) und die Abwandelungen dieser
Lehre (246 f., 199 f., 324. 353). Von allen diesen Ständen nahm Christus
etwas für sich an, ohne daß doch — wenigstens nach der Meinung
mancher — sein Menschentum mit einem von jenen Ständen einfadi
identisch war. — Ferner die Frage nach dem Leib auf dem Tabor, erst
recht nadi dem Abcndmahlsleib: war es der sterbliche oder der un-
sterblidie? (242, 214 f.). — Ferner der zwischen dem Abt Philipp von
Harvengt und dem Prior Johannes sowie einem Hunald geführte Streit
(zwischen 1142 u. 1154), ob Gott mit sich in Christus einen natürlicherweise
sterblich schwachen Leib vereinigt habe, um ihn zeitweise als
unsterblich zu erweisen, oder umgekehrt einen natürlicherweise unsterblichen
Leib, der aber zeitweise unsere Schwachheiten getragen habe (237).

Sind das Gedanken, die auch in späterer Zeit sich so oder
anders bedeutsam melden, so scheint mir das doch auch vielfach
Peinvolle und Künstliche in den theologischen Quellen dieses, und
nicht nur dieses, Kapitels an dem scholastischen Bestreben zu liegen
, Ursprungshaftes begrifflich und fast vorstellungsmäßig bestimmen
zu wollen, anstatt es sozus. bloß anzurühren, aber nach
Struktur und Wesen dahingestellt bleiben zu lassen. — Ein weiterer
Mißgriff, der aber in der Geschichte der Dogmatik vorher
und nachher viel Raum gehabt hat, scheint mir darin zu liegen,
daß der Leib (Adams wie Christi) nach seiner „Natur" in diese
Gedanken hineingezogen wird. Der Leib müßte vor allem als
Träger des geschichtlichen Lebens ins Auge gefaßt werden, also
vom Zeitbegriff her.

Das Theologumenon, so muß man wohl sagen, „U t r u m
Christus fuerit homo in triduo mortis'
(Kap. XI) wird in vier Abschnitten behandelt. Es siegt das Nein
der Porretaner zu dieser Frage, denn im Tode trennen sich Leib
und Seele, und das Menschsein hängt an ihrer Vereinigung. Aber
es hat viele Versuche gegeben, das Menschsein Christi im G-abe
zu behaupten, da die Gottheit sich vom Leib wie von der Seele
nicht trennt und notfalls auch durch sie allein deren Vereinigung
gegeben sein kann.

Schließlich wird (Kap. XII) in fünf Abschnitten die Lehre
von der „Unsündbarkeit Christi" dargestellt. Die
Entwicklung der Lehre hat zum Ergebnis, daß Christus nicht nur
faktisch von Sünden frei, sondern auch zum Sündigen nicht fähi?
war, weil sich wesenhaft die göttliche mit der menschlichen Natur
vereinigt hatte. Sein freier Wille aber war dadurch nicht beeinträchtigt
, weil dieser begrifflich nicht etwa am posse peccare hängt.

Letzterer Punkt ist besonders bemerkenswert. Schon von Anselm
her ist das liberum arbitrium vielmehr an der Freiheit zum
Guten um des Guten willen orientiert (327). Das ist ja auch später
der Gedanke Kants. Und Luthers gewaltige Lehre von der
Unfreiheit des menschlichen (de facto sündigen) Willens zum
Guten muß mit dieser Lehre sozus. unter „Furcht und Zittern",
nicht in der Form eines Anathema über sie auseinandergesetzt
werden.

Aber wir sind hier bei der Christologie. Abälard und seine
Schule sind über die „Möglichkeit" bei Christus zum Sündigen
anderer Meinung (Versuchungen Jesu), natürlich ohne dessen Con-
sensus zur Sünde auch nur irgendwie zuzugestehen. Doch wird
eine solche Lehre von Hugo von St. Victor entschieden zurückgewiesen
. Christus teilt unsere Schwäche nur soweit sie Strafe,
nicht soweit sie Schuld ist (3 3 5 f.). Es ist das eine interessante,
sich auch weiter ausdehnende Debatte. — Vgl. noch die These aus
dem Bereich des Odo von Ourskamp, daß Christus auch seiner
nienschlichen Natur nach nicht sündigen konnte, da sie ja eine
erhöhte menschliche Natur war (360).

Überhaupt die assumptio und ihre Probleme! Nach einer weiteren
Quästionensammlung bedeutet sie zugleich eine Privilegierung
dieser menschlichen Natur. So hatte Christus wohl die po-
testas, qua homines peccant, sed non habuit potestatem peccandi
(364). — Das ist immerhin ein Versuch, an das Geheimnis heranzukommen
. Und gelegentlich kommt auch der schöne Gedanke
heraus, daß, weil Christus über den Menschen erhoben ist, sein
Menschentum sich als Teilnahme am menschlichen Schicksal darstellt
. So ähnlich, im Anschluß an Ambrosius, Stefan Langton
(366, Anm. 66).

Corrigenda, soweit sie mir aufgefallen sind: Auf S. 43, Z. 1
ist das erste „am Tage" zumindest mißverständlich, wenn nicht ein Versehen
; S. 145, A. 18, Z. 1 ist statt et ein est zu lesen; S. 112, Z. 4
ist mitteilbar statt mittelbar zu lesen; auf S. 199, Z. 3 v. u. dürfte Versucher
statt Verfolger zu lesen sein; auf S. 184 muß es Hebr. 3, 2 statt
2, 3 heißen; auf S. 375, Z. 2 muß es Adam statt Christus heißen.

Das sind Versehen. Aber der Leser seufzt doch nicht selten über
allzuviel vom Vf. Vorausgesetztes. Um mehr einzustreuende Personql-
(also auch Zeitangaben wurde schon bei Gelegenheit des vorigen Bandes
gebeten. — Übrigens darf ich bei dieser Gelegenheit nachholen, daß
im Sachregister von I, 2 zu dem Worte virtus aus I, 2 selbst nur eine
Stelle angegeben wurde. Ich habe nachträglich in I, 2 S. 78 noch eine
wichtige Bemerkung über die Ungeklärtheit des Verhältnisses von eingegossener
und erworbener Tugend gefunden. — Aber auch mehr beiläufige
Erklärungen wären jedenfalls sehr willkommen. So müßte z. B.
m. E. die höchst komplicierte Erörterung Stefan Langtons auf S. 195
Anm. 94 dem Leser noch näher gebracht werden, als es durch das kurze
deutsche Resume des Vfs. bereits geschieht. Fehlt nicht l) im Langton-
schen Text am Schluß von Z. 4 der Anm. sinnersdiwerend ein Fragezeichen
? Und lehnte es sich nicht 2) zu erklären, was esse per gratiam
und habere gratiam bei Christus heißen soll? — Auch zu Ypapanti Domini
und zu istoria „clama", sowie zu den betr. Absätzen, könnte für
nichtkatholische Leser auf S. 55 eine kleine Hilfe geboten werden. —
Als letztes herausgegriffenes Beispiel mag der Hinweis dienen, daß auf
S. 32, Absatz 3 (in Sachen octava) ein Vorverweis auf S. 45 angenehm
wäre. — Der verdiente Vf. ist so tief in seine Texte und in seine Sache
eingewurzelt, daß er seine Leser manchmal zu sehr mit dem Maßstab
seiner selbst mißt.

Berlin Rudolf Hermann

LITURGIEWISSEN SCHAFT
UND KIRCHENMUSIK

lahrbuch, Kirchenmusikalischcs. Im Auftr. d. Allgemeinen Cid-
lien-Vereins für Deutschland, Österreich und die Schweiz in Verbind,
m. d. Görres-Gesellsch. hrsg. v. K. G. F e 11 e r e r. 36. Jg. 1952.
IIIS.; 37.Jg. 1953. 114 S. Köln: Bachem. 8°. Je DM 9.—,

Beide Werke beschränken sich auf Erscheinungen und Vorgänge
der katholischen Kirchenmusik, und da die Auswahl der
geschichtlichen Themen in den verschiedenen Jahrgängen Planmäßigkeit
verrät, läßt sich aus den Kirchenmusikalischen Jahrbüchern
nicht nur das wiedererwachte Selbst- und Sendungsbewußtsein
der katholischen Kirchenmusik erheben, sondern werden
auch die geschichtlichen Kräfte und Formungen deutlich, die
von der katholischen Kirchenmusik heute als für sie charakteristisch
und wesentlich angesehen werden. Das ist vor allem der
gregorianische Choral (Helmut Hucke: Musikalische Formen der
Offiziumsantiphonen; Franz Zagiba: Die deutsche und slawische
Choraltradition als Verbindungsglied zwischen West- und Südosteuropa
); das sind die liturgischen Spiele des Mittelalters
(Heinz Kettering: Die Essener Osterfeier); das Zeitalter der klassischen
Polyphonie (Alfred Krings: Zu Heinrich Isaacs Missa Vir-
go Prudentissima; Johannes Klassen: Untersuchungen zur Parodiemesse
Palestrinas), die Musiktheorie des 16. Jahrhunderts
(Heinrich Hüschen: Johannes Oridryus, ein Musikpädagoge und
Musiktheoretiker des 16. Jahrhunderts; Karl Gustav Feilerer:
Zur Oratio de laudibus musicae diseiplinae des Ortwin Gratius;
Heinrich Hüschen: Andreas Papius, ein Musiktheoretiker aus d*:r
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts), das geistliche Lied des Mittelalters
und der Gegenreformation (Walter Salmen: Weihnachtsgesänge
des Mittelalters in westfälischer Aufzeichnung, — eine
Untersuchung, die interessante Aufschlüsse über die Liedpflege
in den von der Deventerer Reformbewegung ergriffenen Frauenklöstern
vermittelt; Joseph Götzen: Über die Trutz-Nachtigall
von Friedrich von Spee und die Verbreitung ihrer Melodien).
Dazu gehört aber auch die Reformbewegung des 19. Jahrhunderts
(Hildegard Godce: Die Figuralmusik am Dom zu Paderborn im