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Ausgabe:

1955

Spalte:

162-166

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Landgraf, Artur Michael

Titel/Untertitel:

Dogmengeschichte der Frühscholastik, II. Teil: Die Lehre von Christus Bd. I. 1955

Rezensent:

Hermann, Rudolf

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161 Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 3 _ 162

die von ihm angeordnete Bluttat von Thessalonike (K. IV: Der
Bußakt von Mailand und seine Bedeutung, S. 64 ff.,) der eindruckvollste
Beweis für die Anerkennung der von Ambrosius
vertretenen Auffassung über die Geltung der kaiserlichen Autorität
innerhalb des kirchlichen Raums: E. verwahrt sich entschieden
dagegen, daß man im Bußakt von Mailand einen „grundsätzlichen
Sieg der Kirche über den Kaiser" (S. 73) erblicken
wollte: „es war ein Sieg der Bußgewalt über den reuigen Sünder
" — „erst in viel späterer Zeit wurde dieser Bußakt zum Prototyp
der mittelalterlichen Auffassung der Stellung von Kaiser
und Kirche mit dem Anspruch auf die Überordnung der Kirche
über die weltliche Macht" (S. 75).

Diese Feststellung ist, — das muß in diesem Zusammenhang
hinzugefügt werden - außerordentlich wichtig für die Beurteilung
der kaiserlichen Religionspolitik in den folgenden Perioden der
spätantiken bzw. frühbyzantinischen Geschichte (K. V: Die letzten
Jahre 391 bis 395, S. 77 ff.). Denn das Recht des Kaisers, in
Glaubensfragen Gesetze zu erlassen, sowie über Anerkennung
oder Verbot religiöser Gemeinschaften rechtsverbindliche Entscheidungen
zu treffen, ist auch in der Folgezeit von der Kirche
nie bestritten worden. Das Problem, auf das Enßlins meisterhafte
Untersuchung hinführt, wäre den Zeitgenossen wohl erst in dem
Augenblick in seinem vollen Ernst bewußt geworden, in dem sie
sich wie einst Lucifer von Calaris mit einem der Häresie zuneigenden
Herrscher auseinanderzusetzen gehabt hätten (vgl. Straub,
vom Herrscherideal in der Spätantike, Stgt. 1939, S. 136 ff.).
Solange die Kaiser aber dem orthodoxen Bekenntnis anhingen,
sah die von ihm getragene Kirche keinen zwingenden Anlaß zum
Einspruch gegen das traditionelle Gesetzgebungsrecht in Glaubensfragen
. Und darüber läßt nun auch E. keinen Zweifel aufkommen
, daß Theodosius zwar wie kaum ein anderer seiner Vorgänger
und Nachfolger „der typische Repräsentant des autokratischen
Kaisertums (S. 8 8)" in der Spätantike war, daß er aber
••als frommer Christ von der Notwendigkeit überzeugt war, im
fechten Glauben den Weg zum Heil zu suchen, und in dieser
Uberzeugung den Rechtsanspruch begründet sah, die Kirche von
denen zu befreien, die sich einem Irrtum über den Heilsweg hingaben
, und diese durch staatliche Zwangsmittel auf den rechten
pfad zu führen (S. 49)".

Diese und ähnliche Formulierungen Enßlins (vgl. S. 88)
stimmen mit den Auffassuneen überein, wie sie etwa Augustinus
im Donatistenstreit bekundet hat, um die Religionspolitik des
Pius ac religiosus imperator Honorius zu rechtfertigen; und es
konnte sogar von Enßlin in einem anderen. leider wenig beachteten
Aufsatz (Valentinians III. Novellen XVII und XVIII von
4*5, Ztschr. d. Savigny-Stift. f. Rechtsgesch.. Roman. Abt.
ßd. LVII, 1937, S. 367—378) gegen die herrschende Meinung geltend
gemacht werden, daß auch unter Leo d. Gr. „die weströmische
Regierung (in der gegen die Manichäer gerichteten Gesetzgebung
) noch keinerlei Neigung zeigte, von der herrschenden
staatlichen Auffassung vom Reidiskirchengedanken abzurücken
(S. 374)". Gerade weil Enßlin in dem eben genannten Aufsatz
'S. 378) davor warnt, ..den Blick auf eine andere Zukunftsentwicklung
zu richten", darf vielleicht zum Schluß noch mit einem
"ort an die Tatsache erinnert werden, daß das christliche Verantwortungsgefühl
des Kaisers, das ihn bei seiner religionspoli-
t'schen Gesetzgebung bewegte, sich zugleich auf eine, wie es
scheint, ungebrochene Tradition römischer Rechtsauffassung Itttt-
^en konnte, derzufolge dem Kaiser die Coercitionsgewalt in allen
d'e rechte Verehrung der ,.Staatsgötter" betreffenden Fraeen zustand
. Mit dieser Coercitionsgewalt, die vor allem in Krisen-
2e'ten mit verschärfter Strenge angewandt wurde, sind die heidnischen
Kaiser gegen die Christen vorgegangen; auch sie hatten,
Wie die Edikte eines Diokletian oder Galerius beweisen, in verantwortlicher
Sorge um das Heil des Staates jeden gefährlich erscheinenden
Verstoß gegen die ..Staatsreligion" geahndet. Nachdem
die christliche Kirche zur Staatskirche geworden und „das
toblem der Recheneinheit in jenen Tagen ein Politicum erster
ytdnung (Enßlin, Religionspol. S. 13)" geworden war, hat Theodosius
, gestützt auf die unangefochtene Rechtstradition und zugleich
erfüllt von seinem Gottesgnadentum, in der akuten Krise
°er römischen Reichsherrschaft seine Autorität im Bemühen um
Qie Glaubenseinheit aus eigener Machtvollkommenheit eingesetzt

und durch sein konsequentes Verbot von Häresie und Heidentum
die himmlische Garantie für den Erfolg seines Kampfes um die
Sicherung des bedrohten orbis Romanus zu erreichen versucht
(vgl. S. 79).

So sind es doch nicht nur Nuancen, um die unser Bild von
Theodosius bereichert wird. Die gründliche Untersuchung Enßlins
dürfte die Forschung veranlassen, unter dem neu gewonnenen Aspekt
manches voreilige oder allzu summarisch gefaßte Urteil
über die Entwicklung des Reichskirchengedankens zu revidieren.

Bonn Joh. Straub

Landgraf, Artur Michael: Dogmengeschichte der Frühscholastik.

H.Teil: Die Lehre von Christus Bd. I. Regensburg: Pustet 1953.
377 S. gr. 8°. Kart. DM 25.50; Lw. DM 29.50.

Zu den Vorzügen, die bereits bei der Besprechung der ersten
2 Bände dieses monumentalen Werkes herausgehoben wurden
(ThLZ 1953, Sp. 79 und 1954, Sp. 742), tritt bei diesem Bande
ein erleichterndes und sehr begrüßenswertes Hilfsmittel hinzu.
Es besteht in einem ausführlichen Schlußwort, in dem der Vf. den
Hauptinhalt der behandelten Themen rückschauend kurz zusammenfaßt
. Auch die Zusammenfassungen jeweilig am Schluß der
einzelnen Kapitel sind ausführlicher als bisher. Angesichts der früher
bereits geschilderten Schwierigkeiten, die das Werk dem Leser
auch diesmal bereitet, zumal angesichts der nicht immer vorhandenen
Leichtigkeit, den Faden festzuhalten — kein Wunder,
wenn man durch ein Museum scholastischer Quellen über fast
200 Jahre geführt wird —, ist dem Vf. für dies Unternehmen
klarer Zusammenfassung aufrichtig zu danken. Die Fülle dessen,
was L. darstellt und neu erschließt, bzw. erstmalig zugänglich
macht, gewinnt dadurch erheblich an Eingängigkeit, auch an Aus-
münzbarkeit, jedenfalls an ideeller Prüfbarkeit.

Seinem eigentlichen Gegenstand, der frühscholastischen Chri-
stologie, schickt L. auf c. 60 Seiten vier an den Stoff allmählich
heranführende Kapitel voraus: eine „Einleitung", sodann „Kunst
und Glaubenslehre", ferner „Liturgie und Dogma", schließlich
„Theologie und Philosophie". Die Hinweise des Vfs. auf die innere
Frömmigkeit der scholastischen Gelehrten sind für diesen
Band besonders notwendig, da sie in dem beigebrachten christo-
logischen Material weniger hervortritt als z. B. in den ersten
Bänden. In dem christologischen Material dieses Bandes entfaltet
vielmehr das scholastische Gelehrtentum seine spekulativen, begrifflichen
und problemeifrieen Künste und Tendenzen in einem
Maße, daß die protestantische Theologie wohl gut daran täte, bei
ihrer gegenwärtigen reichlichen Intensivierung christologischen
Vorgehens sich der hier erschlossenen Quellen — natürlich als gelehrten
Materials, und gewiß auch verschiedentlich im Sinne fördernder
thematisch ausgerichteter Problemansätze, aber nicht zuletzt
auch als Warnungszeichen, zu bedienen.

Der Vf. ist insofern in besserer Lage, als er die in der Frühscholastik
bestehen bleibenden Schwierigkeiten und Hemmungen
in der Hochscholastik, insbesondere bei Thomas, und in der darauf
gegründeten gegenwärtigen katholischen Theologie sich heben
sieht. Wir können ihm auf diesem Wege nicht folgen. Wohl stoßen
wir auf manche glänzende scholastische Formulierung. Aber
die zugrunde liegenden, bzw. weiter ausgebauten, Begriffe der
Zweinaturenlehre (Substanz, Naturen, Personen, dazu die Fassung
des Verhältnisses von Leib und Seele, besonders gleich in dem
ersten christologischen Hauptkapitel V). leiden, wenn man sie
als Erkenntnisbegriffe und nicht viel mehr als eine Art von Denkmotiven
nimmt, eben doch an metaphysischer Unbestimmtheit,
Ineinanderlaufen von Traditionsbelastung und Neufassung sowie
an vorstellungsmäßiger Dunkelheit. Wir würden schwerlich gut tun,
auf ihnen aufzubauen, geschweige denn zu ihnen zurückzukehren.

In der „Einleitung" (I) ist ein sehr ausführlicher „Katalog von Irrlehren
" aus dem 12. Jahrh. (18—23) bemerkenswert, wiewohl die Früh-
scholastik sich relativ wenig auf kirchliche Lehrentscheidungen in der
Christologie berufen hat, trotzdem sie die Dekretensammlungen kennen
mußte (17), — offene Fragen, wie der Vf. dazu bemerkt. — In Kap. II
sind u. a. Bemerkungen theologischer und kirchenrechtlicher Schriftsteller
über den Sinn einiger symbolischer Darstellungen, besonders solcher
der Malerei im Inneren der Kirchengebäude beachtlich, auch über
das Genüge am bloßen Innenschmuck (30). Interessant, aber künstlich
, ist bei Stefan Langton eine Begründung für die Ostung der Kir-