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Ausgabe: | 1955 Nr. 3 |
Spalte: | 152-153 |
Kategorie: | Religionswissenschaft |
Autor/Hrsg.: | Otto, Walter F. |
Titel/Untertitel: | Die Götter Griechenlands 1955 |
Rezensent: | Snell, Bruno |
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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 3
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Über dem Anliegen, Geldners Übersetzung des Rgveda zu
veröffentlichen, waltete wirklich kein glücklicher Stern. Bereits
1923 erschien in den Quellen der Religionsgeschichte, herausgegeben
im Auftrage der Religionsgeschichtlichen Kommission
bei der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen der erste
Teil der Geldnerschen Verdeutschung des Rgveda. Doch die Ungunst
der Zeit verhinderte es, mehr als die vier ersten Bücher
dieser Sammlung altindischer Hymnen zu drucken. Aber auch
seitdem Charles Lanman sich als Herausgeber der Harvard
Oriental Series des Geldnerschen Werkes annahm, verzögerten
es Geldners und Lanmans Tod sowie eine harte Zeit, diese neue
Verdeutschung des gesamten Rgveda herauszubringen. Ein großes
Verdienst erwarb sich Geldners Nachfolger im Amte, Johannes
Nobel, dadurch, daß er dessen nachgelassene Arbeit durch den
Druck führte.
Die Vorgeschichte der Veröffentlichung ist in Lanmans Vorwort
dargestellt sowie in einem kurzen Zusätze W. E. Clarks.
Der Rgveda ist eine harte Nuß, er ist wohl die härteste,
welche der Indologe zu knacken hat. Da aber dieser Text der
älteste Indiens ist, wird seine Rätsel zu lösen immer eine der
wichtigsten Aufgaben bleiben, die dem Indologen gestellt sind.
Trotz allen Mühens um den Rgveda herrscht aber keine einheitliche
Auffassung, sondern die Überzeugungen gehen im Gegenteile
im Einzelnen wie im Ganzen stark auseinander. Vielfach ist
umstritten, was die Worte bedeuten, und es ist verständlich, daß
sich danach auch das Gesamtbild sehr verschieden gestalten muß,
in das sich die Arbeit unterschiedlicher Vedisten verdichtet.
Geldners Übersetzung letzter Hand in der Harvard Oriental Series
weist zwar gelegentliche Änderungen des Textes gegenüber seiner Verdeutschung
in den Göttinger Quellen der Religionsgeschichte auf. Sie
bleiben aber verhältnismäßig so geringfügig, daß beide Veröffentlichungen
, soweit sie dem Umfange nach zusammenfallen, praktisdi als eine
Einheit betrachtet werden dürfen. Wie der Widmung zu entnehmen ist,
entstammt Geldner der Schule Rudolf v. Roths. Mögen sich Geldners Auffassungen
im einzelnen auch noch so sehr gegen die seines Lehrers absetzen
, in einem großen Betrachte steht die Deutung doch in eine bestimmte
Auffassung gebunden. Diese zu vertreten ist gewiß das unveräußerliche
Recht eines jeden Übersetzers. Mir will es aber doch vorkommen, als
sei es schade, daß sich diese neue Ubersetzung nicht mit anderen Auffassungen
auseinandersetzt, besonders wenn diese ganz anderer Art und
grundsätzlich verschieden sind. Das liegt zu einem beträchtlichen Teile
gewiß daran, daß einschlägige wissenschaftliche Literatur nach Geldners
Tode im Jahre 1929 erschien, aber nicht ausschließlich1. Indologen in
dem Sinne, daß ein Vertreter dieser Wissenschaft das Gesamtgebiet
meistere, gibt es heutzutage ebensowenig mehr, wie es Europäologen
gibt. So hätte es wohl auch der Fachmann dankbar begrüßt, wenn Geldner
ihm den Zugang zum Veda in seiner Verdeutschung dadurch erleichtert
hätte, daß die reiche und aus vielen Jahrzehnten stammende
wissenschaftliche Literatur etwas stärker in die Erörterung wäre einbezogen
worden. Nur der Spezialist überschaut diese noch. Vielleicht
wird man geteilter Meinung über diesen meinen Eindruck sein. Aber
seit Geldners Tode ging die Forschung weiter, und auch die Ergebnisse
dieser jüngeren Untersuchungen fallen keineswegs immer mit denen
Geldners zusammen. Ich brauche hier nur etwa an Untersuchungen
Paul Thiemes, Heinrich Lüders' oder Louis Renous zu erinnern, um nur
einige Namen zu nennen. Es ist das tragische Geschick aller solcher
Übersetzungen des Rgveda, in die Zeit ihrer Verfasser verhaftet zu
sein. Sie können einfach nicht in jeder Hinsicht über den neuesten Stand
der Forschung unterrichten. Läßt man aber diese Grenzen gelten, dann
ist Geldners Verdeutschung des Rgveda schon deshalb eine hoch bedeutsame
Leistung, weil sie die Ergebnisse abschließend vorlegt, zu denen
ihn, der unter den Vedisten einen Ehrenplatz einnimmt, ein lebenslanges
Studium des Textes führte.
Geldner war sich im übrigen selbst ganz im klaren darüber, daß
auch seine Verdeutschung „nur ein neuer Erklärungsversuch, nichts Abschließendes
"' ist. Es wäre auch für den Indologen, der nicht Vedist ist,
nicht eben schwer, Bedenken gegen dies und das anzumelden. Sei es
nun beispielsweise, daß der wörtlidi gleiche Vers nicht in allem ganz
*) So erschienen die Untersuchungen Johannes Hertels zum Teile
vor 1929. Man kann die Ergebnisse, zu denen dieser Gelehrte kam, ja
ablehnen, es mag audi sein, daß sich seine etymologischen Ableitungen
nicht halten lassen, das vermag ich nicht zu beurteilen. Aber selbst eingeräumt
, daß dies der Fall ist, fragt es sich doch noch, ob die sachlichen
Ergebnisse, zu denen er kommt, damit so ohne weiteres alle hinfällig
werden.
a) Begleitwort, S. X.
gleich übersetzt wird3, in einander sehr nahestehenden Wendungen das
gleiche Wort begrifflich verschieden gefaßt wird', daß das anscheinend
doch gleiche Wort, wenn es für sich gebraucht steht, etwas anderes bedeutet
, als wenn es in einer Ableitung auftritt5. Ohne große Mühe
ließe sich die Liste der Fälle erweitern, wo ein gleiches Wort unterschiedlich
verdeutscht wird, ohne daß man eigentlich recht absieht, warum
dies geschieht6. Manchmal wird man sich eines Zweifels nicht erwehren
können, ob in dergleichen Fällen die vorgetragene Auffassung
zutreffe. Ich glaube aber, auch darüber hinaus wird der Indologe nicht
immer überzeugt sein, eine vorgetragene Übersetzung sei abschließend.
Z.B. steht es mir offen, ob iii 33, 11: yäd angä tvä bharatah sam-
täreyur bedeute: „Wenn die Bharata's dich7 wirklich überschritten
haben werden". Mir kommt es sehr fraglich vor, ob der Optativ im
Sinne eines Futuri exaeti stehe, die Stelle nicht eher bedeute: „Wenn
die Bharata dich überschreiten werden, sollten." Aber mit diesen modalen
Verbformen ist es im Rgveda überhaupt so eine Sache, und vielleicht
nicht nur mit diesen Verbformen allein. Diese modalen Formen
sind ein Kreuz für sich.
Ich mag mich nicht weiter in Einzelheiten verlieren, zumal
diese ja doch zunächst nur den Indologen ansprechen. Mir scheint
auch, was ich an einzelnen Dingen namhaft machte, reiche, so
wenig es ist, doch aus, auch einem weiteren Kreise von Menschen,
die ihre Aufmerksamkeit der alten Kultur und Religion Indiens
zuwenden, nahe zu bringen, wie schwierig auch für die eingefuchstesten
Fachleute die Arbeit am Rgveda ist. Einzigartig
ragt dies Werk aus dem altindischen Schrifttume heraus. Umstritten
nach Zeit und Ort steht es uns gegenüber. Die Lage ist
keineswegs so, daß seine Inhalte fest an Gegebenheiten des späteren
Indien gebunden seien. Das Werk ist nicht nur einzig in
seiner Art, sondern es steht auch einsam da. Es zu erschließen,
ist die schwierigste Aufgabe, die zu lösen dem Indologen obliegt.
Geldners Ringen um den Text ist zu Ende, die Forschung
am Rgveda geht weiter und wird weitergehen. Unbeschadet aber,
welche Wege sie einschlagen und welche Lösungen sie vortragen
wird, wird Geldners Übersetzung des gesamten Rgveda eine Leistung
bleiben. Sie wird audi dadurch nicht geschmälert werden,
daß andere Forscher zu anderen Ergebnissen kommen als er. Dieser
Mann ist aus der Geschichte der Erforschung des Veda nidit
wegzudenken, audi dann nicht, wenn gar manche seiner Auffassungen
einer besseren weichen wird. Ihm selbst gebührt Achtung
und Dank dafür, daß er ein Leben an diesen spröden Text gab.
Aber auch alle anderen verdienen unseren Dank, die sich angelegen
sein ließen, uns seine Verdeutschung des ganzen Rgveda
zugänglich zu machen.
Als 36. Band der Harvard Oriental Series soll noch ein Indexband
zu Geldners Übersetzung erscheinen.
3) Vgl. i 164, 50 gegen x 90, 16.
*) Vgl. etwa i 35,8: trf dhänva yöjanä, Geldner: „(Er überschaute
...) die drei Ebenen meilenweit" gegen i 164,9: trlsti yöja-
nesu, Geldner: „ (Das Kalb ... sah sich nach der Kuh um, ...) drei
Wegstrecken weit."
6) Z.B. verdeutscht Geldnerpastyä mit Fluß, vgl. etwa i 164, 30,
pastyavant dagegen mit Hausherr, i 151,2.
•) Indologische Einzelheiten abzuhandeln ist hier nicht die Stätte.
Es kann an dieser Stelle sein Bewenden damit haben, ein Beispiel
anzuziehen. Väjln'ivati versteht Geldner vii 96,3 als die Stuten-
reiche (?), x 75, 8 als reich an Rennstuten, i 3, 10 und vi 61, 4 gibt er
die Wendung vujebhir väjinivati wieder mit: „die an Belohnungen
reiche". Dabei bezieht sich diese Aussage an der 1.3. und 4. der hier
ausgehobenen Stellen auf den nämlichen Fluß Sarasvati, an der 2. auf
den Fluß Sindhu.
7) Angesprochen ist ein Fluß.
Leipzig Friedrich Well er
Otto, Walter F., [Prof. Dr.]: Die Götter Griechenlands. Das Bild de»
Göttlichen im Spiegel des griechischen Geistes. [3. Aufl.] Frank'
furt/M: Schulte-Bulmke 1947. 286 S. gr. 8°. kart. DM 12.50.
Dies 1929 in erster und 1934 in zweiter Auflage erschienen«
Buch hat sich so sehr bewährt, daß der Verlag es ohne viele An'
derungen wieder hat hinausgehen lassen können, und auch neben
den seither erschienenen großen Darstellungen der griechischen
Religion von Wilamowitz und Nilsson wahrt es sich seinen