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Ausgabe:

1955 Nr. 3

Spalte:

141-150

Autor/Hrsg.:

Winter, Paul

Titel/Untertitel:

Zum Verständnis des Johannes-Evangeliums 1955

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 3

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streiten scheinen". Der Glaube könne nicht auf „historisch-
Kritisch erarbeitete Sätze" gegründet werden. Darin liegt zweifellos
ein nicht geringes Wahrheitsmoment. Die letzten Entscheidungen
fallen nicht auf verstandesmäßigem Gebiet, sondern im
Innersten der Persönlichkeit. Und es geht nicht an, den schlichten
Laien rein autoritär an die mehr oder weniger gelehrten Ergebnisse
der Theologen, die er nicht nachprüfen kann, zu binden,
"ie oft wechseln nicht auch diese „Ergebnisse"/ Aber wenn
nun von da aus dem Exegeten ständige Selbstkritik zur Pflicht
Semacht wird, so gilt diese gewiß berechtigte Forderung dem
systematischen Theologen nicht minder, auch dann, wenn er voll
im Bekenntnis seiner Kirche steht oder zu stehen meint. Sonst
droht die Tradition doch wieder die Schrift zu meistern. Der
izylla eines selbstsicheren Historismus steht die Charybdis des
'raditionalismus, letztlich des Doketismus gegenüber.

Es kommt jedoch in der Tat für die Beantwortung unserer
frage zum anderen entscheidend auf die Art der getriebenen
Auslegung an. Eine Antwort kann hier praktisch nur durch die
1 at gegeben werden. Von da aus bitte ich es zu verstehen, wenn
"J1 vorstehenden der — vielleicht sehr besserungsbedürftige —
»ersuch gemacht wurde, eine Auslegung der Abendmahlstexte zu
geben, die für das Abendmahlsgespräch der Kirchen hilfreich sein
sonnte. Es braucht nicht noch einmal unterstrichen zu werden,
daß wir für das Verständnis des Abendmahls schlechthin auf das
Neue Testament angewiesen sind. Und um an dieses heranzukommen
, ist zumindest e i n Weg historisch-kritische Forschung.

er Mißbrauch, der mit der letzteren getrieben werden kann
und getrieben worden ist, überhebt uns nicht der Verpflichtung,
s'e in rechter Weise zu üben, d. h. aber auch, sie nicht zu
u b e r schätzen.

Durch die Ablehnung der manducaiio oralis und die
starke Betonung des Glaubens — so sagte uns Walter Kreck auf
°em letzten Abendmahlsgespräch in einem sehr eindrucksvollen
a ßCrat ~ wenren d'e reformierten Bekenntnisse dagegen,
daß das Heilsgut in Gestalt des Leibes und Blutes Christi als
dinglicher Besitz weitergegeben werden soll. Dies Interesse ist
iblisch begründet und wird auch von uns Lutheranern geteilt.

*") Peter Brunner. Grundlegung des Abendmahlsgesprächs (1954)
^ ff. könnte fast so verstanden werden.

") Walter Kreck, Die reformierte Abendmahlslehre angesichts der
"eutigen exegetischen Situation, Evangelische Theologie 1954, 193—21 1.

Daran hat doch wohl gerade das lutherische Bekenntnis keinen
Zweifel gelassen, daß die Sakramente den Menschen in die Entscheidung
hineinstellen. Das Abendmahl kann auch zum Gericht
empfangen werden! Die Schwierigkeiten der Verständigung beginnen
erst dann, wenn die Realität der göttlichen Selbstdarbietung
erst durch den menschlichen Glauben entstehen soll.
Darin liegt u. E. ein schweres Mißverständnis nicht bloß des
Abendmahls, sondern der Offenbarung überhaupt, ein Mißverständnis
von sehr weitreichenden Folgen.

Eine Gefahr des landläufigen Luthertums könnte dagegen
darin liegen, daß es einseitig an den Leib des verklärten Christus
denkt und den wurzelhaften Zusammenhang des Mahls mit dem
Opfer von Golgatha zu sehr aus den Augen verliert. Vielleicht
hat der Gebrauch weißen Weins48 diese Gefahr verstärkt. Der
Nachdruck fällt dann weniger auf die göttliche Versöhnungstat
als einmaliges Geschichtsereignis, als auf die materia coelestis,
die im Abendmahl empfangen wird. Damit könnte in der Tat
die Gefahr einer nicht mehr aktuellen, sondern substantiellen
Abendmahlsauffassung akut werden. Wir lassen uns an diese
Gefahr seitens unserer reformierten Brüder gern erinnern.

Kreck hat für den gegenwärtigen Stand des Abendmahlsgespräches
die, wie mir scheint, beherzigenswerte Losung ausgegeben
: „Es wird gut sein, wenn jede Konfession sich nicht
dabei beruhigt, solche exegetischen Früchte für sich einzuheimsen,
die ihr gerade in ihre Lehrform zu passen scheinen, und die anderen
zu übersehen, sondern es wird fruchtbarer sein, wenn wir
uns gerade den Stimmen stellen, die kritische Anfragen an unsere
konfessionelle Tradition zu richten haben"19. Handeln wir
danach, so werden wir mit der Zeit der Einigkeit näher kommen
. Und das wäre von Herzen zu wünschen.

*•) Für das Passamahl war roter Wein vorgeschrieben. Auf ihn
führt auch die Symbolik der historischen Abendmahlsfeier. Jeremias
a. a. O. 28.

*') Kreck a.a.O. 193 f. Freilich darf diese zunächst bestechende
Maxime auch nicht überspannt werden.

Korrekturzusatz. Erst nach Abschluß der Korrektur erreichte
mich: H. Schürmann, Der Einsetzungsbericht Lk. 22, 19—20.
II. Teil einer "cfüellenkrftischen" Untersuchung des lukanischen Abendmahlsberichtes
Lk. 22,7—38 (Münster, Aschendorff 19 55), XII und 153 S.
Nach oberflächlicher Durchsicht glaube ich mich weitgehender Übereinstimmung
freuen zu können.

Das nun in zweiter unveränderter Auflage vorliegende
Werk des Cambridger Neutestamentiers Charles Harold Dodd'
will — so sagt sein Titel — eine Einführung in die Gedankenwelt
des Johannesevangeliums geben. Was es wirklich gibt, läßt
s'ch im Rahmen einer Buchanzeige nur notdürftig andeuten.

Das Werk besteht aus drei Teilen und einem Anhang, der
Ansätze eines vierten Teiles enthält. Im ersten Teil (S. 3-130)
steht die Herkunftswelt johanneischer Vorstellungen und die
mdung des Evangelisten an seine Hintergründe zur Frage. In
em Bestreben, den geistesgeschichtlichen Ort des Vierten Evangeliums
zu bestimmen, untersucht es Dodd auf seine Beziehungen
hin: (l) zu den Formen spätgriechischer Frömmigkeit wie
Sle im Corpus Hermeticum Ausdruck fand, (2) zu dem helle-
"'stischen Judentum eines Philon, (3) zum rabbinischen Juden-
tum (4)

zum „Gnostizismus" (das Wort wird von D. als Benennung
der quasi-christlichen und häretisch-christlichen Sy-
/ *me des ersten bis dritten Jahrhunderts gebraucht), und

> zum Mandäertum. Ohne je mit seiner Gelehrsamkeit zu
P/unken, erschließt der Vf. seinen Lesern Hintergründe, die

elträume des Gedankens umspannen. Der zweite Teil (S. 133
^J^Wes Buches ist der Begriffssprache des Evangelisten gewid-

2 . ° odd, C. H., Prof.: The Interpretation of the Fourth Gospcl.
JJl-- London: Cambridge Univ. Press 1954. XII, 478 S. er. 8°.
teb- I- 42/-. --

Zum Verständnis des Johannes-Evangeliums

Von Paul Winter, London

met: Leitmotive und Grundvorstellungen wie fcor) aMvio;, f
yvcüois xov üeov, f) äkq&eia, moxeveiv, Iv xqj #ecp elvai,
qxoq, d6£a, xQtaig, xo Jtvevfia, S xQlo%ö?< o vl&e toi" hv-
ftodmov, 6 vIoq xov öeov und 6 X6yo<; werden erörtert.
Überall geht Dodd auf Parallelanwendungen dieser Begriffe
im biblisch-jüdischen, hellenistisch-jüdischen, rabbinisch-jüdi-
schen und insbesondere im Hermetischen Schrifttum ein. Im
dritten Teil (S. 289—443) werden Gedankenbau und Gliederung
des Evangeliums als eines Ganzen untersucht; Dodd findet, daß
es nach (l) dem Prolog und den an ihn angeschlossenen Bekenntnissen
zu Jesu Messianität aus (2) einem „Book of Signs" von
sieben Episoden (II—XII) und (3) einem „Book of the Passion"
(XIII—XX) besteht. Nachdem auf diese Weise alles getan ist,
um darzulegen, was D. über die Beziehung des Evangelisten zu
seiner geistigen Umwelt und über den Eigencharakter des Vierten
Evangeliums zu sagen wünscht, werden im Anhang (S. 444
—453) einige Ansätze einer Darlegung über die historische Einstellung
des Evangelisten gemacht. Dodd sagt in seinem Vorwort
, daß die Erörterung biographisch-historischer Probleme
nicht in den Rahmen seiner Hauptuntersuchung fällt, weshalb er
auch nur anhangsweise darauf eingeht.

Es liegt am Wesen des Doddschen Werkes, daß sich das
Augenmerk des Lesers hauptsächlich seinem ersten Teil zuwenden
muß, da von der Beantwortung der Fragen nach den geistes-