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Ausgabe:

1955 Nr. 2

Spalte:

116-117

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Kosak, Herbert

Titel/Untertitel:

Pascals Menschenbild als Absage an das autonome Selbstverständnis 1955

Rezensent:

Kosak, Herbert

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115

Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 2

116

erweitert worden; die judenchristliche Gemeinde ist also schon vor der
Tempelzerstörung vom Synhedrium mit dem Bann verfolgt worden.

Iber, Gerhard: Überlieferungsgeschichtliche Untersuchungen zum Begriff
des Menschensohns im Neuen Testament. Diss. Heidelberg 1953.

1. Zur Frage der Herkunft des Menschensohntitels: Nach verbreiteter
Ansicht gehört der Menschensohn (MS) der spätjüdischen
Apokalyptik (Dan, Hen, 4. Esra) und damit auch der palästinischen
Urgemeinde religionsgeschichtlich mit dem iranisch-vorderorientalischen
Urmenschen zusammen. Da nun der MS des Johannesevangeliums (Joh)
die Züge des gnostischen Urmenschen an sich trägt (vgl. 3, 13—15;
6,62; 8,28; 12,23. 34; 13,31), so könnte man darin eine Bestätigung
dieser Ansicht finden. Jedoch zeigen die Quellen, daß der MS mit
dem gnostischen Urmenschen nichts zu tun hat, wohl aber vielleicht mit
einer anderen, auch . im vorderen Orient beheimateten und vielleicht
älteren Urmenschgestalt. Vom Joh ist also keine Aufklärung der Frage
nach der Herkunft der apokalyptischen MS-Gestalt zu erwarten. Es ist
darüber hinaus noch wahrscheinlich, daß erst der Evangelist Johannes
den MS als gnostischen Urmensch-Erlöser darstellte, daß also der MS-
Name von Haus aus nicht in die Gnosis gehört. Er findet sich denn
auch nur in christlich-gnostischen Schriften; hier aber läßt sich überall
(Gnostiker bei Iren., Naassener, Ps. Clementinen) nachweisen, daß er
der christlichen Tradition entnommen ist. Daß auch Johannes urchristlich
-palästinische MS-Tradition aufgenommen hat, ergibt sich aus einer
Analyse der Texte (s. u. 3).

2. Die Menschensohnüberlieferung der synoptischen Evangelien:
Die MS-Worte der Synoptiker sind inhaltlich zu verschieden, als daß
sich aus ihnen ohne weiteres eine geschlossene Vorstellung vom MS
erheben ließe. Neben solchen apokalyptischen Inhalts finden sich andere
, die vom Leiden, Sterben und Auferstehen des MS sprechen (vgl.
die sog. Leidensweissagungen), und wieder andere, die ihn als Heiland
der Menschen darstellen. Die erste Gruppe zeichnet sich durch enge
Verwandtschaft mit der spätjüdischen MS-Vorstellung aus und enthält
die ältesten Stücke der MS-Überlieferung der Urgemeinde. Die Frage
ist nun die: Wie konnte die Urgemeinde, die den MS als den escha-
tologischen Richter und Erlöser erwartete, von diesem sagen, daß er
leiden und sterben müsse? Weder die Gottesknechtsanschauung von
Dtjes, noch die (übrigens nicht erwiesene) Vorstellung vom leidenden
Messias im späten Judentum, können die Bildung dieser Leidenssprüche
angeregt und ermöglicht haben. Sie sind vielmehr originale Schöpfungen
der Urgemeinde, die das Leiden und Sterben Jesu erlebt hatte und
trotzdem an der Überzeugung festhielt, daß Jesus der eschatologische
MS sei. Sie wollte damit die Paradoxie zum Ausdruck bringen, daß der
Herr des zukünftigen Aon in dem gegenwärtigen zum Leiden bestimmt
ist. In ähnlicher Weise haben Fromme apokalyptischer Kreise, die sich
als Glieder des kommenden Aon wußten, die Leiden in diesem Aon
auf sich genommen. Der MS-Titel hat also auch in den Leidensweissagungen
(freilich nur in ihrer hinter der Formulierung und Verwendung
des Mk liegenden Urgestalt) durchaus eschatologischen Sinn. In der
dritten Gruppe der MS-Worte dagegen ist „Menschensohn" Würdeprädikat
Jesu.

3. Die johanneischen Menschensohnworte: Mit dieser syn. MS-
Tradition stehen die joh. MS-Logien in überlieferungsgeschichtlichem
Zusammenhang. In dem von Johannes 1, 51 angeführten Spruch wird
den Jüngern verheißen, daß sie den MS bei seiner Epiphanie sehen werden
(vgl. Mk 14, 62); diese wird in Anlehnung an Gn 28, 12 ausgemalt.
Ebenso wie hier läßt sich auch in cp. 5 der Abschnitt v. 27—29 als
eine MS-Überlieferung apokalyptischen Inhalts herausschälen. Obwohl
die in ihm ausgesprochene Gerichtsvorstellung der eigentlich johanneischen
aufs schärfste widerspricht, kann er doch nicht als redaktioneller
Einschub betrachtet werden; denn er ist durch die zweifellos „echten"
Verse 22 f. und 30 fest im Kontext verankert.

Eine Leidensweissagung liegt dem joh. Spruch von der Erhöhung
des MS (3,14; 8,28; 12,34) zugrunde. Der MS.-Titel und das die
göttliche Bestimmtheit des Leidens ausdrückende dsT, zwei Merkmale
der synoptischen Leidensweissagungen, sind auch bei Johannes erhalten
geblieben; vxpova&m ist an die Stelle eines zu vermutenden oxavoovo&ai
getreten. Diese Substitution ist leicht erklärlich: „kreuzigen" kann im
Syrischen und Aramäischen r|pT heißen. Dieses Verbum kann aber auch
die Bedeutung „erhöhen" annehmen. Durch die Kombination des Leidensspruches
mit Num 21, 8 f. ist dieses *|PT' das ursprünglich im Sinne
von „kreuzigen" gestanden haben mag, auf die Bedeutung „erhöhen"
festgelegt worden. Der griechische Übersetzer hat sie durch die Wiedergabe
mit vyovo&at zur Geltung gebracht.

Der Evangelist verstand den ihm wohl schon griechisch überlieferten
Spruch im Sinn des gnostischen Mythos, dem er überhaupt mit
seinem Denken stark verpflichtet war. So begreift sich seine Vorliebe
für ihn (3, 14; 8,28; 12,32. 34) und weiter, daß er den MS-Namen
auch mit anderen termini (8oSaCeo&ai, ävaßaiveiv und xaxaßalvuv)
in Verbindung brachte, die ebenso wie vipova&ai das Erlösungsgeschehen
im joh. Sinn beschreiben. Johannes schuf, von einem überkommenen
MS-Logion ausgehend, eine originelle, geschlossene MS-Lehre.
Sie ist am ausführlichsten und deutlichsten 12, 23—34 entfaltet. Hier
ist die Auffahrt des MS als Gericht über die Welt und als Erlösung der
Gläubigen dargestellt und (das muß als das eigentümlich Joh.-christliche
angesehen werden) des weiteren zum Ausdruck gebracht, daß sich
diese Auffahrt Jesu mit seiner Kreuzigung vollzieht. Mit Hilfe des
gnostischen Erlösermythos zeigt Johannes, inwiefern das Kreuz Jesu
Heilsereignis ist.

Neben dieser geschlossenen Konzeption stehen unverbunden die
beiden apokalyptischen MS-Worte 1,51 und 5, 27 ff. In ihnen ist die
dort verdeckte Beziehung zur MS-Tradition der pal. Urgemeinde deutlich
sichtbar, ja der undeterminierte Gebrauch des MS-Titels 5,27
weist auf die große Nähe dieses Überlieferungsstückes zur spätjüd.
Tradition (Dan) hin, die Ausgangspunkt ist für alle MS-Überlieferung.

Kosak, Herbert: Pascals Menschenbild als Absage an das autonome
Selbstverständnis. Diss. Jena 19 52. 122 S.

Von der Erkenntnis her, daß das moderne Menschenverständnis, wie
es auf den Denkvoraussetzungen der Renaissance beruht und von Des-
cartes seine klassische Darstellung und Formulierung gefunden hat,
fragwürdig geworden ist, erschien es aufschlußreich und für eine Neuausrichtung
des anthropologischen Gesprächs fruchtbar, den Denker
nach seinem Menschenbild zu befragen, der schon zu Lebzeiten Descar-
tes' dessen „königlidie Straße der Vernunft" (Gide) als Irrweg erkannt
und das Dogma von der Autonomie der Vernunft als illusionär und
wirklichkeitsfremd zurückgewiesen hat.

Die Beantwortung dieser Frage wird jedoch erschwert durch den
aphoristisch-fragmentarischen Charakter der Gedanken Pascals, der
ihn „in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt hat, für Meinungen
und Gedanken in Anspruch genommen zu werden, die nicht seine eigenen
sind" (Bohlin). So erschien es notwendig, gegenüber dem „mißverstandenen
Pascal", wie er in jener Ahnenreihe, die von Descartes
über Voltaire, Condorcet und Victor Cousin bis zu Paul Valery und
Andre Gide reicht, seine Sprecher gefunden hat, die Frage nach einem
sachgemäßen Verständnis der anthropologischen Gedanken Pascals zu
stellen. Diese Frage wird beantwortet mit dem Hinweis auf das zentrale
Anliegen Pascals, das anthropologische Denken von seiner Beschränktheit
auf Teilansichten des menschlichen Wesens zu befreien und
zu einem ganzheitlichen, die rationale Erkenntnis als Teil mit einschließenden
Erfassen der menschlichen Wirklichkeit zu gelangen. Denn
darin sieht Pascal Descartes' Mißverständnis der menschlichen Existenz
, daß er den Menschen nur in seinem „Fürsichsein" kennt und diesen
von der ratio beherrschten Wirklichkeitsausschnitt für die Totalwirklichkeit
des Menschen hält. Dadurch bleibt ihm aber nicht nur die
für die menschliche Wirklichkeit konstitutive personhafte Beziehung zu
Gott verborgen — Descartes kann Gott allenfalls als den „grand geo-
metre" verstehen, der „der Welt einen Nasenstüber gibt, um sie in
Bewegung zu setzen" (Fr. 77, nach der Zählung der Ausgabe der Pensees
et Öpuscules von L. Brunschwieg14, Librairie Hachette), auch das
mitmenschliche Verhältnis wird seines personhaften Charakters entkleidet
.(Fr. 323).

In diesem ausschließlich rational bestimmten Selbstverständnis,
in dem sich das durch das moderne Geschichtsdenken von Grund auf
veränderte Verhältnis des Menschen zur Welt und zu sich selbst Ausdruck
verschafft, sieht Pascal die zeitbedingte Gestalt des Unglaubens,
dem es abzusagen gilt.

Die Beobachtung, daß Pascals Schriften „fast immer Reden sind,
die ohne den bestimmten, fest ins Auge gefaßten Hörer unverständlich
sind, Dialoge, auch wo sie nicht in Dialogform übergehen" (Schaede-
lin), läßt erkennen, daß er diese Absage in die Form eines Gesprächs
kleidet, das er bald sachlich-nüchtern, bald zeugnishaft-beschwörend
mit seinem Gegenüber führt, immer darum bemüht, den in seinem
Glauben angefochtenen oder schon dem Unglauben verfallenen Zeitgenossen
von der Unhaltbarkeit seiner Denkvoraussetzungen zu überzeugen
und ihm, der „ein Fremdling im Schöße der Kirche geworden ist"
(Groethuysen), vom christlichen Glauben her zu einer neuen Einsicht
in die menschliche Wirklichkeit zu verhelfen.

Inhaltlich knüpft Pascal dabei in durchaus traditionsgebundener
Weise an die thomistische Ordnungslehre an. Er übernimmt aber das
religiöse Erbe nicht unverändert, sondern interpretiert es von seinem
durch das Studium Augustins gewonnenen Schriftverständnis her neu,
indem er die Ordnungslehre auf die geschichtliche Offenbarung bezogen
sieht (Fr. 793).

Von Pascals Ordnungslehre her ergibt sich für den Gesamtaufriß
der Arbeit jene Zweiteilung, wie sie Pascal selbst im Blick auf sein
geplantes apologetisches Werk im Auge hatte (Fr. 60).

Ein erster Hauptteil stellt die eristisch-apologetische Methode
Pascals dar, indem gezeigt wird, wie Pascal in den Bereichen des ordre
de corps und des ordre d'esprit von einer ganzheitlichen die beiden