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Ausgabe:

1955 Nr. 2

Spalte:

114-115

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Hunzinger, Claus-Hunno

Titel/Untertitel:

die jüdische Bannpraxis im neutestamentlichen Zeitalter 1955

Rezensent:

Hunzinger, Claus-Hunno

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 2

114

Referate über theologische Dissertationen in Maschinenschrift

Hansen, Siegfried: Die Bedeutung des Leidens für das Christusbild
Sören Kierkegaards. Diss. Kiel 1954. 180 S.

„Er war ein edles Instrument, das einen Sprung im Resonanzboden
hatte" — so wurde Kierkegaard von dem dänischen Bischof Martensen
charakterisiert. Dieser „Sprung im Resonanzboden" ist das schwermütige
Leiden, das Kierkegaards Leben und Denken immer wieder trübt. Es
ist der Gedanke des Leidenmüssens, der die Theologie und vor allem
die Christologie des großen Dänen bestimmt. Besonders die Tagebücher
geben Aufschluß darüber, wie groß das Ausmaß des Leidens ist, das er
tragen muß. Kierkegaard leidet zeit seines Lebens: er leidet unter seiner
Schwermut, unter seiner schwächlichen Körperkonstitution, unter der
Verhöhnung durch die Menge, unter den Zeitgenossen, die ihn nicht
verstehen. Und nun erkennt er: das hat es schon einmal gegeben —
Christus ist das große Vorbild im Leiden. Hier entsteht der Kierke-
gaardsche Gedanke des Vorbildes: Christus ist Vorbild im Leiden.
Und der Christ hat Nachfolger zu sein, und zwar Nachfolger im
Leiden, Nachfolger des leidenden Christus. Die ursprünglich neutesta-
mentlichen Begriffe des Vorbildes und der Nachfolge werden von Kierkegaard
eingeengt, vereinseitigt: sie werden nur vom Leiden her interpretiert
, nicht vom Neuen Testament her exegesiert. Die Kierkegaardsche
Sicht Christi als des „Vorbildes" ist nicht neutestamentlich, sondern
ein Reflexphänomen seines eigenen Leidens. Er reflektiert sidi und sein
Leiden in Christus hinein und findet sich nun als leidender „Nachfolger
" in Christus dem Vorbild bestätigt.

Hierdurch entsteht eine erhebliche Verkürzung des Christusbildes
bei Kierkegaard, die wesentlich für seine Christologie ist. Kierkegaard
eliminiert aus dem Christusbild des Neuen Testamentes alles, was sich
mit dem Gedanken der leidenden Nachfolge nicht vereinbaren läßt:

1. Da das Kind in der Krippe am weitesten vom „Vorbild" entfernt
ist (ein Kind kann nach Kierkegaard nicht Vorbild für den „Nachfolger
" sein), wird die Bedeutung des Weihnachtsgeschehens von Kierkegaard
nivelliert.

2. Die Bedeutung des Osterereignisses wird nicht gesehen, da
Kierkegaard Christus nur als den Leidenden, nicht aber als den Sieger
über Leiden und Tod erkennen und anerkennen kann.

3. Noch ferner steht Kierkegaard dem erhöhten Herrn, dem ky-
rios. Den Erhöhten kann der Christ allenfalls „bewundern", nicht aber
ihm „nachfolgen". Der Nachfolger hat es immer nur mit dem auf Erden
gelebt habenden, leidenden Christus zu tun; „der Erhöhte
schweigt I"

4. Da Kierkegaard eine Verbindung des Christen mit dem Auferstandenen
und dem Erhöhten verneint, gibt es folgerichtig auch keinen
eigentlichen Kirchenbegriff bei ihm. Es gibt nur den Einzelnen, der
je als Einzelner, aber nie als Glied einer Gemeinde oder Kirche vor
Christus dem Vorbild steht. Das Wirken des Heiligen Geistes, das Wirken
des erhöhten Herrn in der Gemeinde und der Kirche fehlt bei Kierkegaard
.

Das Christusbild Kierkegaards enthält lediglich den auf Erden gelebt
Habenden als den „passus" des Credo, ferner den crueifixus als
Versöhner und Erlöser. An diesen beiden Stellen ist der Kontakt mit
den Aussagen des Neuen Testaments außerordentlich eng — aber eben
nur hier. Die anderen Aussagen, wie etwa das „resurrexit" oder das
„sedet ad dexteram Patris" werden vom Leiden verdunkelt, nicht gesehen
oder nivelliert. -

Höhne, Ernst: Die Thronwagenvision Hetekiels, Echtheit und Herkunft
der Vision Hes. 1,4—28 und ihrer einzelnen Züge. Diss. Erlangen
1953.

Seit vor 30 Jahren Hölschers revolutionäres Hesekielbuch erschien,
ist die Diskussion um die Gestalt und den Nachlaß dieses eigenartigsten,
aber vielleicht auch einflußreichsten der israelitischen Propheten in ein
neues Stadium getreten. Zwischen Manasse und der späthellenistischen
oder gar der makkabäischen Zeit schwankt die zeitliche, zwischen Baby-
'onien und Judäa, dem Nordreich oder gar Assyrien die örtliche An-
setzung hin und her. Naturgemäß konnte ein so buntes Bild nur entgehen
, weil auch die Echtheitsfrage noch immer nicht hinreichend geklärt
ist. die in c. 1 sich noch mit der Vorfrage verbindet, wie weit in
dem Visionsbericht wirklich Geschautcs und theologische Reflexion des
Propheten miteinander verwoben sind. Hier werden also künftige Untersuchungen
einzusetzen haben.

Dementsprechend hatte der erste Teil der Arbeit eine doppelte
Zielsetzung: Gegenüber Torrey, Berry, Herntrich, Bertholet, Pfeiffer
*ird der Nachweis versucht, daß der Visionsbericht von Hes. 1 nur
'nnerhalb der babylonischen Gola und nur in deren Anfangszeit entstanden
sein kann, vor allem wegen des starken Interesses an der Beweglichkeit
und Allgegenwart Jahwes. Gegenüber Herrmann, Hölscher,
^Prank, Kittel, Irwin wird betont, daß die Vision in Babylonien zur
Berufung eines Propheten unbedingt notwendig war und auch alle wesentlichen
Einzelzüge geschaut sein müssen, da selbst die Annahme
einer stufenweisen Weiterarbeit Hesekiels gerade das Herzstück der
Vision einer späteren Spekulation zuweisen würde.

Diese grundsätzlichen Erkenntnisse sucht der zweite Teil dadurch
zu stützen, daß er der Herkunft der einzelnen Elemente der Vision nachgeht
. Daß diese sich mit denen der altisraelitischen Theophanien weithin
decken, dürfte bei dem in deuteronomistischem Geiste erzogenen
Priestersohn eher für als gegen ihre Echtheit sprechen. Andererseits
weisen dann aber gerade die wenigen zweifellos babylonischen Züge,
die sich zudem nur in der Ausstattung des bei Hesekicl als Thronunterlage
neu hinzukommenden Gefährts finden, die Vision zwingend
in die Anfangszeit des Exils.

Wie der zweite Teil mit den inhaltlichen, so setzt sich der dritte
Teil der Arbeit mit den literarkritischen Einwänden gegen die Vision
auseinander. Gegenüber den Versuchen, durch inhaltliche Streichungen
eine ursprüngliche Vision herauszuschälen, wird die Einheitlichkeit des
Kapitels zu erweisen versucht. Daß die einzelnen Bilder wirklich geschaut
sind, erhellt schon aus ihrer den Beobachtungen folgenden Anordnung
, während die Geschlossenheit der Komposition für Echtheit
des Aufrisses spricht und die Priorität der einzelnen Abschnitte, vor
allem auch des Räderabschnittes von c. 1, vor den späteren Wiederholungen
des Buches die Ursprünglichkeit der einzelnen Abschnitte
sichern dürfte. So wird sich die kritische Arbeit in Hes. 1 mit der Ausscheidung
einiger unbedeutender Glossen zu bescheiden haben.

Hunzinger, Claus-Hunno: Die jüdische Bannpraxis im neutesta-
mentlichen Zeitalter. Diss. Göttingen 1954. XV, 116 S.

Um für eine (im Druck befindliche) Untersuchung über die Anfänge
der Kirchenzucht im NT das Vorfeld zu klären, mußte die Frage
nach der ältesten Gestalt der jüdischen Bannpraxis neu gestellt werden.
Die älteren Bearbeitungen des Stoffes sind antiquiert, seit Billerbeck
(IV 293—333) in umfassender Weise das rabbinische Material zusammengestellt
hat; Billerbeck selbst aber und ihm folgende Autoren lassen leider
die chronologische Frage außer acht und gewinnen dadurch ein Bild,
das aufgrund mannigfacher Differenzen innerhalb der rabbinischen Aussagen
in sich selbst unklar bleibt und die vor der Tempelzerstörung bestehenden
Verhältnisse nicht zutreffend wiedergibt. Dieses Ziel läßt sich
jedoch andererseits auch dadurch nicht befriedigend erreichen, daß man
sich mit der Zusammenstellung der ältesten, ins 1. Jahrh. selbst gehörenden
Quellen begnügt, da damit gerechnet werden muß, daß die spärlichen
Nachrichten nur einen zufälligen Ausschnitt aus dem, was historisch gewesen
ist, darstellen. Vielmehr muß versucht werden, aus der Gesamtheit
des Materials die Entwicklungstendenzen, die an der Gestalt der
Bannpraxis wirksam gewesen sind, zu ermitteln, um dann die Linien bis
in die Anfänge zurückzuverfolgen. Dabei ergibt sich in der Tat ein neues,
nämlich erheblich strengeres Bild von der jüdischen Bannpraxis im nt-
lichen Zeitalter.

Der sog. leichte Bann (nidduj) war im 1. Jahrh. kein leichter Bann,
sondern der einzige Banngrad überhaupt, dem erst seit dem 3. Jahrh., al»
der nidduj wirklich ein „leichter" Bann geworden war, als Steigerung der
cherem hinzugefügt wurde; cherem ist in der Bedeutung „Bann" (= Exkommunikation
) vor dem 3. Jahrh. nicht belegt. Der nidduj fand nicht bei
jedem beliebigen Anlaß Anwendung, sondern nur zum Schutze der
halakhischen Tradition; er konnte nicht von jedermann verhängt werden,
sondern diese Befugnis lag beim Synhedrium. Der Gebannte hatte sich
wie ein Trauernder zu verhalten und wurde wie ein Aussätziger gemieden
, war freilich vom Besuch des Tempels anscheinend nicht ausgeschlossen
. Der nidduj war nicht auf eine 30tägige Dauer beschränkt oder
konnte gar schon früher aufgehoben werden, sondern in der Frist von
30 Tagen war ihm lediglich eine untere Grenze gesetzt, die nach oben
beliebig überschritten werden konnte. Die Befugnis zur Aufhebung lag
wiederum allein beim Synhedrium, das aus eigener Initiative handeln
konnte, ohne einen Antrag des Gebannten abzuwarten.

Ist dieses Ergebnis richtig, so müssen die üblichen Versuche, die
urchristliche Kirchenzucht vom rabbinischen Bann her zu erklären, revidiert
werden, zumal in den Handschriften von Qumran bedeutsames
neues Material vorliegt.

Ein Anhang bespricht die birkath ha-minim, die speziell gegen die
Judenchristen gerichtete, um 80 in das Achtzehngebet eingefügte Verfluchung
der jüdischen Häretiker.

Zwei Exkurse behandeln ntliche Fragen: 1) Die Geschichte des Begriffes
cherem/ävafle/ia zeigt, daß die nvmlzim -Formel keinen Akt der
Kirchenzucht bezeichnet. 2) Von den ntlichen Stellen, die jüdische Ausschlußverfahren
gegen Christen erwähnen, sind die johanneischen
<bioo!>va>'<Dyoc-Aussagen (9, 22 usw.) auf die birkath ha-minim zu beziehen
, während txwooi'Cav in Lk. 6, 22 den nidduj meint: in vorluka-
nischer, judenchristlicher Tradition ist das Mt. 5, 11 in filterer Gestalt
I vorliegende Logion durch eine Anspielung auf Je6. 66, 5 (hebr. Textl)