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Ausgabe:

1955 Nr. 2

Spalte:

92

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dehn, Günther

Titel/Untertitel:

Der Gottessohn 1955

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 2

92

verstehen, daß die Frauen zunächst geschwiegen haben. Die
Mitteilung des sonst verläßlichen Markusevangelisten, daß die
Frauen geschwiegen und die Jünger somit nichts erfahren hätten,
ist sekundär (S. 46) und gehört in die Reihe der mit Mt. 28 einsetzenden
Apologetik gegen die jüdische Behauptung vom gestohlenen
Leichnam (vgl. S. 24 ff.). Über Mt. 28 und Joh. 20
hinaus wolle Mk. sagen: die Jünger sahen den Herrn erst in Galiläa
, die Frauen schwiegen über das leere Grab, also steht fest:
die Apostel hatten mit dem leeren Grabe nichts zu tun, folglich
können sie auch nicht betrügerisch gehandelt haben! (S. 34 f.)
Mk. würde also damit alle Beweisführungen im Sinne von Mt. 28
und Joh. 20 erledigen. Man wird dieser These gegenüber doch
seine Bedenken dagegen haben müssen, daß der vormarcinische
Text von Mk. 16, 8 an ein „zunächst" gedacht habe, die Jünger
vor ihrem Gang nach Galiläa (der keine kopflose Flucht war) vom
leeren Grab noch Nachricht erhielten und „die entgegengesetzte
tendenziöse Behauptung des Mk. sekundär sei (S. 46). v. C. stellt
sich die Sache so vor, daß die Jünger unter Anfeuerung des Petrus
, der — nach lukanischer, hier glaubwürdiger Tradition — das
Vertrauen zu seinem Herrn nie verloren habe — nach Galiläa
gingen, dort die Erscheinungen erlebten und dann in die heilige
Stadt zurückkehrten. In 6 Punkten (S. 48) stellt v. C. das Ergebnis
seiner Untersuchungen zusammen, nicht ohne zuzugeben, daß
auch bei seiner Deutung in diesem Ablauf gerade das rätselhaft
bleibe, was ihn hervorgerufen habe: die Frage nach dem Verbleib
des Leichnams Jesu.

Zwar nimmt der Verf. an, daß die Nachricht der Frauen
über das leere Grab unter den Jüngern LInruhe hervorrief, Petrus
aber das leere Grab als Unterpfand der erfolgten Auferstehung
verstanden und die Jünger in diesem Sinne beeinflußt habe (v. C.
folgt hier lukanischer Tradition, die er trotz der Petrusverehrung,
welche die Berichte des 3. Evg. widerspiegeln, für zutreffend hält,
weil sie die führende Rolle des Petrus erklärt und zu l.Kor. 15
stimmt, vgl. S. 43—47). Liest man die diesbezüglichen Erwägungen
v. C's (S. 46 f.), daß es nicht überraschen könne, wenn der
von den Jüngern gefaßte Entschluß „später als unmittelbare,
himmlische Weisung erschien und einem Engel in den Mund gelegt
wurde", so wird man ein Bedenken nicht los, angesichts der
Zweifel, die doch die Jünger selbst hegten, als sie von dem leeren
Grab erfuhren (S. 46). Und soll die Deutung, welche Petrus
fand, später einem Angelus interpres in den Mund gelegt worden
sein, der sie dem Petrus zu sagen den Frauen auftrug? Die Frauen
taten das nicht (bzw. später doch), damit der Zug nach Galiläa
zustande kam (S. 47; Absatz 2), und der „Urtext wäre so zu rekonstruieren
, daß die Frauen das leere Grab entdeckten (weiter
nichts; denn die Engelworte sind ja legendärer Nachtrag), Petrus
daraus den Schluß zog, der Herr sei auferstanden und den Zug
nach Galiläa ins Werk setzte, Markus aber in völliger Verkennung
des Tatbestandes den Text so entstellte, daß erst ein moderner
Interpret den Vorgang mit Mühe rekonstruieren muß?

Der Verfasser stellt (S. 48 f.) fest: „Es gibt kein glaubwürdiges
Augenzeugnis dafür, wie das Grab Jesu geöffnet und der
Leib selbst daraus verschwunden ist." In der Tat: dem Bekenntnis
der Christen steht die Beschuldigung der Juden gegenüber.
„Die Angelegenheit bleibt also historisch betrachtet .dunkel' "
(S. 49). Bleibt also nur der einfachste Weg: an die leibliche Auferstehung
zu glauben, um damit „den Bereich des analogisch Verständlichen
und damit den Bereich jeder mit historischen Mitteln
durchgeführten Diskussion" zu verlassen, oder — bei Ablehnung
der leiblichen Auferstehung unter Beibehaltung des Auferstehungsglaubens
— „in dem Bekenntnis zum Auferstandenen
den alten Christen, in dem aber, was das Bekenntnis hervorgerufen
hat, vielmehr den Juden zu folgen" (S. 49). So wird in der
Tat auch durch solch eine historisch wahrscheinliche Rekonstruktion
„der Glaube keineswegs aus der Gefahr der Anfechtbarkeit
entlassen" (S. 51 f.), selbst wenn „eine Klärung dessen, was sich
vernünftig klären läßt, uns willkommen" ist. Auf alle Fälle hat
der Verf. mit Energie ein altes Problem neu durchdacht und auf
seine Dringlichkeit hingewiesen. Und das werden ihm neben
manchem Leser auch die beiden Geburtstagsjubilare (W. Bauer
und H. Strathmann) gedankt haben, denen diese Schrift gewidmet
ist.

Qreifswald (Berlin) Erich Fascher

Dehn, Günther, Prof. D.: Der Gottessohn. Eine Einführung in das
Evangelium des Markus. 6., neu durdiges. Aufl. Hamburg: Furche-
Verlag [1953]. 316 S. 8° = Die urchristl. Botschaft. Eine Einführung
in die Schriften des NT., 2. Abt. Lw. DM 12.80.

Günther Dehns Auslegung des Mc. ist inzwischen (l. Auflage
1930!) ein berühmtes Buch geworden, das auch im Auslande
geschätzt wird. Das hat seinen Grund in der charaktervollen Eigentümlichkeit
dieses Buches — und in der Art des Leserkreises. Man
kann die Eigentümlichkeit des Buches so schildern: 1. Dehn erklärt
den Mc. im bewußten Gegensatz zu allen „Leben-Jesu"-
Versuchen, er dehnt Mc. 1, 1 (B und D) so auf den ganzen Mc.
aus, daß dies Evangelium vom Anfang bis zum Ende den Gottessohn
verkündet, der nun freilich auf Erden Jesus von Nazareth
war. Wenn man es so spitz formulieren darf: Nicht Jesus von Nazareth
wird verkündet, welcher der Sohn Gottes ist — sondern
der Sohn Gottes wird verkündet, welcher Jesus von Nazareth ist!
D. h.: Mc. bringt nicht die Historia des Jesus von Nazareth mit
einer Apotheose am Schluß, sondern Mc. steht genau dort, wo
Phil. 2, 6—11 steht. 2. Meldet sich hier die charakteristische Dog-
matik Dehns, so bedeutet das keineswegs, daß nun Mc. in den
Einzelheiten in das Netz dieser Dogmatik gezwungen wird, nein,
es gibt keinen sorgsameren Exegeten als Dehn, keinen texthörigeren
, keinen unabhängigeren (unter den Dogmatikcm jener
Schule). Natürlich ist die Dehnsche Einzelauslegung da und dort
kritisierbar, aber wer Dehn folgt, wird an keiner Stelle vom Text
weggeholt, sondern immer exegetisch auf festen Boden gestellt.
Es ist zugleich „beherrschte" Exegese, wo Zurückhaltung am
Platze ist; und es ist „nüchterne" Exegese, die alle Abenteuerlichkeiten
weit hinter sich läßt. Bloß eben: Wo „man" heute die
Entmythologisierung ansetzt, da setzt Dehn seine charakteristische
Dogmatik an, welche sagt: Siehe da, das „Ganz-Andere"! Aber
eben: dieses „Ganz-Andere" beschreibt Dehn nicht mit poetischen
oder philosophischen oder parapsychologischen Kategorien, sondern
mit den Mitteln des Textes, dem Text gehorsam, welcher
aus dem Glauben der Mc.-Leute kommt für Glaubende. Erkenntniskritisch
geht es dann darum, ob dieser Mc.-Glaube Ereignis Gottes
ist oder Literatur — und diese Frage kann nur so beantwortet
werden, daß sich der Fragende in den Strom der kirchlichen fiducia
hineinstellt. Darum die Rolle der Dogmatik bei allem Primat des
NT-Textes! 3. Hinzu kommt die Wendung zur praxis pietatis;
hier fand man oft und oft Absprünge vom Text in die Lebensweisheit
und Menschenkenntnis. Dehn tut so etwas nicht, sondern
bleibt auch in der Wendung zur Praxis beim Bibeltext, konfrontiert
aber mit diesem Text den Christenmenschen, kritisch,
mahnend, befeuernd, aufklärend. 4. Die Sprache Dehns in diesem
Buche ist klar, ruhig, sachlich, nicht esoterisch, nicht poetisch,
nicht journalistisch, und dennoch (oder gerade dadurdi) mitreißend
.

Welche Folgerungen lassen sich nun aus diesen vier Qualitäten
auf die Leser des Buches ziehen? Zu Punkt 1 darf man bemerken
: Die Leserschaft hat noch, wie in den Tagen der Alexandriner
und der Monophysiten, ihr Herz dort, wo der Gottessohn
gemäß Phil. 2, 6—11 verkündet wird — und nicht dort, wo man
auf etwas wie das „Leben Jesu" zusteuert. Zu Punkt 2: Eine Dogmatik
wie die Barthische erscheint der Leserschar immer noch als
die beste Garantie dafür, daß die Einzelheiten des Mc. der „Verkündigung
des Gottessohnes" gemäß erklärt werden. Zu Punkt 3:
Die Leserschar will keine Absprünge vom Text weg in die Lebenskunde
hinein, sondern sie will den Inhalt und Willen des Textes
für den Christen- und Bibelmenschen empfangen; sie fühlt sich
betrogen, wenn sie nicht „hart am Texte" gehalten wird. Endlich
zu Punkt 4: Die Leserschar will weder die Sprache der „Evangelisten
" noch die von „Kanaan", erst recht nicht die des Jahrmarkts
oder des Sportplatzes, sondern die des geübten und erfahrenen
Lehrers, der weiß, was gesagt und was weggelassen werden
muß, wie es gesagt und wie es behauen werden muß. — Gewiß
, diese Leserschar ist nur ein Ausschnitt aus der großen Bibelleserschar
, aber doch ein recht beträchtlicher und recht beachtlicher
. Es haben auch andere Erklärer des Mc. mit anderem Vorgehen
und anderer Sprache ihre oft sehr heißen Anhänger — die
Hauptsache ist, daß der Dehnsche Mc. und die Leserschar Dehns
mit Vorzug dort bestehen können, wo Ausgangspunkt und Ziel
der wirkliche Mc. sein soll.

Augsburg Leonhard Fendt