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Ausgabe:

1955

Spalte:

86-87

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Vetus Latina. 2. Genesis. 2.-4. Lieferung 1955

Rezensent:

Vogels, Heinrich Joseph

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Von den Anfängen der Bibelübersetzung in Kastilien weiß man
noch so viel wie nichts, denn die diesbezüglichen Handschriftenschätzc
Spaniens sind noch nicht wissenschaftlich untersucht worden. Verschiedene
Könige vom 13. Jahrhundert an, unter denen ein Alphons von
Kastilien und ein Johannes von Leon genannt werden, sollen für ihre
Landsleute und deren Mundarten derlei Arbeiten begehrt oder gefördert
haben. Welcher Art die aber gewesen sind, davon wissen auch die spanischen
Geschichtsschreiber wenig zu sagen, und Theologen, bei welchen
man sich darüber Rats erholen könnte, gibt es ohnehin nicht dort. Dagegen
steht fest, daß im späteren Mittelalter, im Reiche Kastiliens, die
heilige Schrift des Alten Testaments, sei es von getauften oder ungetauf-
ten Juden, sei es direkt aus dem Urtexte oder in der Form einer sorgfältigen
Korrektur, mehrmals aus dem Hebräischen übersetzt worden ist.
So gebührt Kastilien, unter allen christlichen Staaten, allein das Lob
einer verhältnismäßig weitgehenden Toleranz und wissenschaftlichen
Bemühung um das richtige Verständnis der heiligen Schrift.

Wie weit sich die Verhältnisse seitdem geändert haben, das
zeigt am besten die Tatsache, daß vor wenigen Jahren mit der
Veröffentlichung eines auf 10 bis 12 Bände berechneten Corpus
begonnen worden ist, das den Titel führt: Coleccion
„Bibhas Medievales Romanceadas". Es wird herausgegeben
von dem unter der Ägide des Consejo Superior de
lnvestigaciones Cientificas arbeitenden Instituto „Francisco
Suarez". Die ersten beiden Bände dieses Corpus sollen eine Ausgabe
der Biblia Medieval Romanceada judio-christiana bieten, die
charakterisiert wird als „Version del Antiguo Testamento en el
siglo XIV, sobre los textos hebreo y latino". Edicion y estudio
introduetorio por el P. Jose Llamas, O.S.A. Der erste dieser zwei
Bände ist im Verlag des Consejo Superior de lnvestigaciones
Cientificas in Madrid 1950 erschienen. In der Introduccion behandelt
der gelehrte Augustinerpater die Geschichte der kastili-
schen Bibel (S. ix—xvii). Er untersucht dann zehn von den in
der Bibliothek des Escorial aufbewahrten kastilischen Bibelhandschriften
und sucht ihr Verhältnis zueinander zu bestimmen
(S. xvii—liv). Er gruppiert schließlich die nachweisbaren Bibeldrucke
nach den im Escorial vorhandenen Handschriften (S. liv
—lvi) und gibt Gesichtspunkte für die Ausgabe dieser Bibeltexte
(S. lvii—lx). Auf S. 1—565 folgt dann die Ausgabe der ersten
Hälfte der Escorial Handschrift I—I—4 (Genesis — 4 Reyes), eingeleitet
durch 5 Facsimile-Blätter, die einen Eindruck geben von
der schönen gotischen Schrift, in der der Codex geschrieben, und
von den Illustrationen, mit denen er geschmückt ist. S. 567—611
folgen Indices verschiedener Art. Es handelt sich hier um einen
wundervollen Pergamentcodex von 468 folios mit einer ursprünglich
von Juden für Juden hergestellten Übersetzung der hebräischen
Bibel ins Mittelspanische, die für den Gebrauch durch
Christen dadurch benutzbar wurde, daß man für die Anordnung
der biblischen Bücher, die Apokrypha und anderes die Vulgata
heranzog.

Von genau demselben Escorialcodex, der hier unter der Signatur
I—j—4 zitiert wird, bietet die hier zu besprechende amerikanische
Publikation eine Ausgabe des Pentateuchtextes. Der
Herausgeber, O. H. Hauptmann, Romanist am Grinnell College
in Grinnell, Iowa, USA, hat seine Ausgabe gemacht auf Grund
einer der Congress Library in Washington gehörigen photographischen
Aufnahme des Escorial Codex (The Language Association
of America. Collection of Photostatic Facsimiles, Nr. 117).

In seiner Introduction beschreibt Hauptmann die Handschrift nach
der ihm zur Verfügung stehenden Photographie (S. 1—4), behandelt
philologische und speziell orthographische Eigentümlichkeiten der Schrift,
auf Grund deren er den Codex aus dem ersten Drittel oder dem Beginn
des zweiten Drittels des XV. Jahrhunderts datieren möchte und in ihm
die Abschrift eines im XIV. Jahrhunderts geschriebenen Codex sieht
(S. 4—7). Der Herausgeber behandelt sodann die Quellen der Übersetzung
. Als Rahmenwerk für die Syntax und im wesentlichen auch des
Glossars kommt die Übersetzung der hebräischen Bibel ins Mittelspanische
in Betracht. Der Einfluß der Vulgata macht sich geltend in der
Anordnung der biblischen Bücher, im Vorhandensein der Apokrypha und
in besonderen Lesarten (S. 8—15). In einem vierten Kapitel untersucht
Hauptmann den Codex in seinem Verhältnis zu andern auf die hebräische
Grundlage zurückgehenden Übersetzungen, so die berühmte Alba-Bibel,
die seit 1920 in wundervoller Facsimile-Ausgabe vorliegt, sowie die
herrara-Bibel, die seit 1 553 für die aus Spanien vertriebenen Juden in
rerrara gedruckt worden ist, und die Hauptmann in einem in Amsterdam
16bl hergestellten Nachdruck benutzt hat (S. 15-50), und gibt schließlidi
Gesichtspunkte für seine Ausgabe des Pentateuchs. Auf S. 55-320 folgt
die Ausgabe des Textes.

Die Tatsache, daß innerhalb weniger Jahre zwei Ausgaben
desselben Textes gemacht werden, spricht dafür, daß die im Codex
enthaltene Bibelübersetzung für wichtig gehalten wird. Hauptmann
ist Philologe und im wesentlichen interessiert an Problemen
des mittelalterlichen Spanisch. Pater Jose Llamas ist Theologe,
der nun seit Jahren im Auftrage des Consejo an der Untersuchung
der Gesamtheit der in der Bibliothek des Escorial aufbewahrten
mittelspanischen Bibelhandschriften arbeitet. Er gilt als der beste
Kenner dieser Literatur. Da diese Übersetzung ursprünglich von
Juden für Juden nach dem hebräischen Grundtext gemacht worden
ist, muß man es schon für einen Vorzug halten, daß der Herausgeber
, der jahrzehntelang als Professor der Bibelwissenschaften
am Monasterio del Escorial tätig gewesen ist, ein ausgezeichneter
Kenner des Hebräischen ist.

Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß dieser mit Hilfe
der Vulgata überarbeitete Codex Escorial I—I—4 auf eine rein
jüdische Übersetzung zurückgeht. Von solchen gibt es mehrere
Handschriften im Escorial, und nach dem, was Pater Llamas ausführt
, ist unter ihnen der Codex I—I—3 des Escorial besonders
wichtig. Eigentlich dürfte man ohne Berücksichtigung dieser Vorlage
die Sprache der Überarbeitung nicht beurteilen, und jedenfalls
ist mir trotz der Bestimmtheit, mit der er sie vorträgt, noch
nicht sicher, ob Hauptmanns Datierung des Codex zu recht besteht
, den P. Llamas aus dem XIV. Jahrhundert datiert.

Schade, daß der amerikanische Herausgeber des Textes von
der in Spanien hergestellten Ausgabe nichts gewußt hat und von
der dort geleisteten Arbeit nicht hat Nutzen ziehen können. Er
wußte, daß der gelehrte Augustiner Pater mit derartigen
Studien befaßt war. Seinen Artikel La Antigua Biblia
Casteliana de los judios espaholes (Sefarad IV, 1944,
219-244) hat er unter seinen Abbreviations (S. viii) angeführt
, aber zwei andere Artikel von P. Llamas in derselben
Zeitschrift veröffentlichte Artikel hat Hauptmann nicht erwähnt
und nicht gekannt: Nueva Biblia medieval ju»
dia e inedita, en romance castellano (IX, 1949, 53
—74) und Antigua Biblia judia medieval romanciada
(XI, 1951, 289—304). Vor allem aber muß man es bedauern
, daß es ihm vollkommen entgangen ist, daß der von
ihm veröffentlichte Pentateuchtext, dessen Druck in Frankreich
im November 1952 abgeschlossen war, bereits im Jahre 1950 in
Spanien fertig gedruckt vorlag, herausgegeben von einem so hervorragenden
Kenner dieser Texte wie dem Augustiner Pater Jose
Llamas, und nicht nur der Pentateuchtext, sondern zugleich der
Text der früheren Propheten.

Charlbury/Oxford p. Kahle

Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel nach Petrus Sabatier
neu gesammelt u. hrsg. v. d. Erzabtei Beuron. 2. Genesis. Hrsg. v.
Bonifatius Fischer, Mönch v. Beuron. 2.-4. Lieferung. Freiburg:
Herder 1952—1954, S. 129—576. 4°.

Über die Zielsetzung, Anlage und Bedeutung dieses monumentalen
Werkes wurden die Leser der ThLZ im Jahrgang 1951,
727 f. beim Erscheinen der ersten Lieferung des ersten Textbandes
unterrichtet. Mit dem 4. Heft, das die letzten Kapitel der Genesis
bietet, ist der stattliche Quartband zum Abschluß gebracht, und
was zum Lobe dieser geduldigen und selbstlosen, mit eisernem
Fleiß und peinlicher Sorgfalt durchgeführten Arbeit früher gesagt
worden ist, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Mit jedem
weiteren Band wird sich diese Vetus Latina auf Jahrhunderte hinaus
nicht allein für die Theologie mit ihren sämtlichen Einzel-
disciplinen, sondern für alle geisteswissenschaftliche Gelehrtenarbeit
mehr und mehr als unentbehrliches Rüstzeug und unerschöpfliche
Fundgrube erweisen.

Wenngleich man hoffen darf, daß mit der Erleichterung des
Satzgeschäftes — der erste Band mußte im Handsatz fertiggestellt
werden und erforderte vier Jahre; aber inzwischen ist man zu
Maschinensatz übergegangen — ein schnelleres Erscheinen sich ermöglichen
läßt, so ist doch damit zu rechnen, daß manches Jahr
darüber vergehen wird, bevor das Werk zum Abschluß kommt.
Ist nicht zu befürchten, daß dann das früher Veröffentlichte durch
neue Funde und bessere Editionen schon als überholt erscheint?
Diese Frage legte sich mir nahe, wo ich, mit den Vorarbeiten für