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Ausgabe:

1955 Nr. 12

Spalte:

758-759

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

Autor/Hrsg.:

Piaget, Jean

Titel/Untertitel:

Das moralische Urteil beim Kinde 1955

Rezensent:

March, Herman W.

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757 Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 12 758

Juhäsz, Coloman: L'apostolat IaTc cn Hongrie sous l'occupation
turque.

Nouvelle Revue Thcologique S7, 1955 S. 849—859.

Karrer, Otto: Wie stellt sich der katholische Glaube in der Wirklichkeit
des Lebens dar?
Una Sancta 10, 1955 Heft 3 S. 24—34.

Kinder, Ernst: Protestant-Roman Catholic Encounter an Ecumenical
Obligation.

The Ecumenical Review VII, 1955 S. 338—346.
Kjöllerström, Sven: Kirche und Staat in Schweden nach der Reformation
.

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 72, 1955 S. 271
bis 289.

K o p p e r, Bernhard: Gemeinde Montau-Gruppe im Rückblick.

Mennonitische Geschichtsblatter 1 1, 1954 S. 30—37.
Kotze, J. C. G.: The Mcaning of our Unity in Christ.

The Ecumenical Review VII, 1955 S. 321—337.
L o w r i e, Walter: The Kiss of Peace. A Declaration of Koinonia.

Theology Today XII, 1955 S. 236—242.
L u z z i, Jacinto: L'Amerique latine a besoin de pretres.

Nouvelle Revue Theologique 87, 1955 S. 822—848. .

PSYCHOLOGIE UND RELIGION SPSYCHOLOGIE

Trillhaas, Wolfgang: Die innere Welt. Religionspsychologic.
2., umgearb. Aufl. der ,,Grundzüge der Religionspsychologie". München
: Kaiser 1953. 220 S. gr. 8°. DM 8.— ; Lw. 10.80.

In dem vorliegenden Werk wird zuerst die Frage gestellt,
ob der Begriff ,.Religion", vom Standpunkt der gegenwärtigen
Theologie her gesehen, noch eine Berechtigung habe. Es sei nicht
das Wesen der Religion, daß der Mensch zu sich selber Zuflucht
nimmt und die ewigen Dimensionen vergißt. Andererseits aber
muß er in seiner religiösen Entscheidung den Wahrhaftigkeitsbeweis
antreten. Von dieser Position her entwickelt der Verfasser
seine religionspsychologische Darstellung, und zwar unter
dem Thema: „Die innere Welt."

Das Buch ist die erweiterte Auflage der 1946 veröffentlichten
„Religionspsychologie". In klarer Strukturierung sowie in
übersichtlicher und lebensnaher Auseinandersetzung klärt der
Verfasser die Hauptbereiche des religiösen Lebens. Kein Arzt,
kein Lehrer, kein Sozialpfleger, kein Politiker könne die Bedeutung
der Religion für das Leben übersehen. Der Mensch fragt
nach dem Woher und dem Wohin, eben nach der schicksalsbestimmenden
Macht. Die religiöse Erfahrung führt zum Gefühl
des Geborgenseins. Sie kristallisiert sich in Überzeugung, in Tradition
und im Brauchtum. Der religiöse Akt hat im Gesamtgefüge
der Menschheit eine universale Bedeutung. Glaube und Zweifel,
Gebet und Gewissen, Geschlechter und Lebensalter werden in
universaler Schau beleuchtet, ebenso die Religionspathologie,
die Krankheitserfahrung und der Rcligionsvcrfall. Wenn man die
Gesamtdarstellung überblickt, läßt sich feststellen: Hier ist tatsächlich
eine umfassende Religionskunde entwickelt, die sowohl
auf den einzelnen Gläubigen wie auf die religiöse Gemeinschaft
Bezug hat. Der Verfasser geht von der Allgemeinpsychologie und
der Rcligionspsychologie aus. Kraft einer intuitiven Gabe zeichnet
er die Situationen der religiösen Wirklichkeit. Das Buch
sucht gültige Antworten zu geben, wenn diese freilich auch nicht
immer endgültig sein können.

Die Pastoraltheologie des Verfassers („Der Dienst der Kirche
an dem Menschen") erhält in dem vorliegengen Buch eine tief-
gegründete religionspsychologische Ergänzung. Völlig original ist
das Kapitel „Zeitgefühl-Lebcnslauf-Tod" (S. 95 ff.). Die Voraussetzung
bildet der Kreis als Lirbild des Zeiterlebnisses (S. 96).
Der Weg ist die klassische Vorstellungsform des individuellen
Lebens (S. 9g). Das Daseinserlebnis scheidet die Zeit aus. Die
Zeit ist eine Strecke „zwischen einem Anfang und einem Ende,
zwischen Schöpfung und Erfüllung der Zeiten, zwischen Geburt
und Tod" (S. 97). Der Mensch transzendiert die Zeit (S. 103).
Ebenso aufschluß- wie problemreich ist die Untersuchung über
..Selbständigkeit und Unselbständigkeit religiösen Lebens"
(S. 111 ff.). Von der Beobachtung und Nachahmung kommt der
Verfasser zur Aufforderung der Nachfolge. Der religiösen Tradition
wird ein großer Wert beigemessen (S. 113). Im Protestantismus
mache sich eine Einbuße an volkstümlicher Tradition
fühlbar — so wird wenigstens behauptet. Der Wert der Überlieferung
sei viel größer als der Wert der religiösen Eigenentscheidung
. „Das Wichtigste fließt uns von außen zu" (S. 126).
Vielleicht dürfte hier die Wirkung der Tradition doch überbetont
sein. Im einzelnen läßt sich freilich das Verhältnis von der Tradition
zur eigenen Entscheidung schwer analysieren.

Bei der Untersuchung über Geschlecht und Religion wird
mit Recht darauf hingewiesen, daß es eine optische Täuschung
der Religionslehrer sei, wenn sie die Mädchen für aufgeschlossener
halten als die Knaben und die jungen Männer (S. 134). Die re-
Iigionspädagogische Praxis des letzten Jahrzehntes überzeugt davon
, daß sich das junge männliche Geschlecht am Religionsunterricht
mindestens ebenso intensiv beteiligt, wie die Mädchen es
tun. Allerdings neigt der Oberschüler, vor allem der Humanist,
dazu, die Fragestellungen logisch und analytisch anzugehen. Das
scheint mir eine Voraussetzung für die später erfolgende Entfaltung
einer religiösen Eigenüberzeugung zu sein. Ob der Mann
auf der Höhe des Lebens tatsächlich unzugänglich ist oder wenigstens
sehr verschlossen, ist auf Grund der seelsorgerlichen Beobachtung
doch zweifelhaft (S. 161). Man darf hier wohl nicht
vom unreligiöscn Alter des Mannes sprechen. Er lebt in der Wirksamkeit
und in der Tätigkeit. Vielfach ist die Möglichkeit einer
kirchlichen Aktivität gehemmt.

Bei der Beobachtung der Religionspathologie entsteht die
Frage (S. 171 ff.), ob die sogenannten religiösen Wahnvorstellungen
dem spezifisch religiösen Erlebniskreis angehören, oder ob
sie nicht Folgeerscheinungen einer zugrundeliegenden Psychose
sind. Die psychiatrische Seelsorgeerfahrung hat den Berichterstatter
vielfach davon überzeugt, daß religiöse Wahnideen (wenn dieser
Ausdruck überhaupt tragbar ist) auf derselben Ebene liegen wie
andere psychotische Wahnvorstellungen auch, daß sie also wesensmäßig
mit diesen identisch sind. Konkret gesprochen: Es ist kein
Unterschied, ob der an Paranoia oder Schizophrenie Erkrankte sich
als Paulus oder als Luther, als Cäsar, als Barbarossa oder als Bismarck
fühlt. Die religiöse Wahnidee gehört m. E. nicht in den
religiösen Erlcbniskreis, sondern sie ist die Auswirkung einer
schon vorhandenen Psychose. Freilich ist dieses Problem bis heute
nicht völlig geklärt.

So wird ersichtlich, daß das Buch von Wolfgang Trillhaas
eine fast unerschöpfliche Fülle von Fragen aufwirft, für die der
Leser sehr dankbar sein wird. Überblicken wir die Geschichte der
religionspsychologischen Publikationen, so bedeutet das vorliegende
Werk eine Gipfelung. In der Fachliteratur bildet ohne
Frage die Schrift von William James einen Höhepunkt, die einst
Georg Wobbermin unter dem Titel „Die religiöse Erfahrung in
ihrer Mannigfaltigkeit" übersetzt hat. Dieses Buch des amerikanischen
Forschers hat ganz andersartige philosophische und auch
zeitliche Voraussetzungen als das Werk von Trillhaas. Aber man
kann es heute noch als klassisch bezeichnen. Ihm muß man die
neue Veröffentlichung von Trillhaas zur Seite stellen. Für den
Seelsorger und für den Pädagogen ist es ein unentbehrlicher Wegweiser
zur religionspsychologischen Diagnostik und zur seel-
sorgerlichen Therapie.

Berlin Ems« Jahn

Piaget, Jean: Das moralische Urteil beim Kinde. Zürich: Rascher
Verlag 1954. 463 S. 8°. DM23.—.

Ausgehend von der Untersuchung des Einstellungswandels,
den das Kind im Laufe seines 4. bis 11. Lebensjahres an den
überlieferten Regeln des Murmelspiels durchmacht, verfolgt der
Verfasser, Prof. an den LIniversitäten Genf und Paris, die Entwicklung
des moralischen Urteils beim Kinde. Mit Hilfe äußerst
sorgfältiger und kritisch abgewogener Befragungen kommt er
dabei zu dem Ergebnis, daß in frühen Entwicklungsphasen für
das Kind zunächst einmal „wahr (und moralisch) ist, was dem
Wort des Erwachsenen entspricht. Ob es selbst die Sätze entdeckt
hat, deren Bestätigung es vom Erwachsenen auf Grund seiner
Autorität erbittet, oder ob es sich darauf beschränkt, zu
wiederholen, was der Erwachsene gesagt hat, in beiden Fällen
liegt ein intellektueller Zwang eines Höheren einem Niederen