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Ausgabe:

1955 Nr. 12

Spalte:

741-743

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmitt, Ernst

Titel/Untertitel:

Leben in den Weisheitsbüchern Job, Sprüche und Jesus Sirach 1955

Rezensent:

Fichtner, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 12

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seiner Behandlung der umstrittensten Partien (Kap. 28 und Eli-
hureden) doch stärkere Bedenken. Die Einordnung von Kap. 28,
das einen anderen Begriff der Weisheit vertritt, als er sonst im
Hiobbuch vorausgesetzt ist, stützt M. hauptsächlich auf den
sprichwörtlichen Vers 28, der jedoch in seiner allgemeinen Formulierung
keine direkte Beziehung zu dem Problem des Hiob-
buches aufweist. Die Elihureden sucht der Verfasser dadurch in
das Ganze zu verankern, daß er, von der ,.Lösung" des Problems
im Prolog (S. 90 f.) ausgehend, dem Elihu die Aufgabe zuschreibt,
den Hiob von der Sünde seiner Selbstgerechtigkcit zu überzeugen
und dazu zu bringen, sein Leiden als Erprobungsleiden anzusehen
und zu ertragen. Indem der Verfasser in Kap. 3 3 die
paulinisch-luthcrische Rechtfertigungslehre zu finden glaubt
(S. 100), werden ihm die Elihureden zum „zentral wichtigen"
Bestandteil des ganzen Hiobbuches und seiner Problematik. An
diesem Punkte befriedigt die z. T. krampfhafte Beweisführung
des Verfassers, die den verschiedenen Gegenargumenten und besonders
der Bedeutung der als Gottes Handeln mit Hiob zu verstehenden
Gottesreden (Kap. 3 8 ff.) unter dieser Voraussetzung
nicht gerecht zu werden vermag, am wenigsten.

Aufs Ganze gesehen bewegen sich die Gedankengänge des
Verfassers mehr auf der Ebene des Intellektuell-Lehrhaften einer
theologischen Rationalität (S. 107 ff.), bei der die plastische und
lebendige, oft widerspruchsvolle Dramatik der Hiobdichtung, die
nicht nur am Anfang und Ende, sondern auch in dem Verlauf der
Gespräche Hiobs und seiner Freunde greifbar ist, nicht genügend
in Erscheinung tritt. Aber abgesehen davon enthält das Buch
mancherlei — wenn auch nicht überall gleichwertige — Anregungen
zur kritischen Überprüfung der verschiedenen Hypothesen,
die mit Hilfe literar-kritischer Aufspaltung des Hiobbuches seiner
Problematik Herr zu werden versuchen.

TObiiifren Artur Weiser

Schmitt, Ernst, Dr.: Leben in den Weisheitsbüchern Job, Sprüche
und Jesus Sirach. Freiburg: Herder 1954. XVI. 20S S. gr. 8° = Freiburger
Theologische Studien, hrsg. v. A. Allgeicr f u. J. Vincke, H. 66.

Schmitts Arbeit über Leben in den drei genannten Wcishcits-
büchern, die der Päpstlichen Gregorianischen LIniversität in-Rom
als Doktordissertation vorgelegen hat, zeuet von großem Fleiß
und ernsthaftem Bemühen, sich mit den Problemen und der umfangreichen
Literatur auseinanderzusetzen. Der Verf. gibt zunächst
in einer Einleitung (S. 1—14) u.a. Rechenschaft über die
Abgrenzung des Themas und den von ihm eingeschlagenen Weg
der Untersuchung. Der theologische Grundansatz für sein Forschen
ist die These, daß ,.alles das, was in unseren drei Büchern
ausgesagt wird, inspiriert und daher irrtumsfrei" ist. wenn auch
,.die Form der Darlegung" in ihnen zuweilen ein Grund sein
kann. ..weshalb sich der heilige Schriftsteller nicht für die uneingeschränkte
Wahrheit seiner Aussagen verbürgt" (vgl. Hiob und
seine Freunde!) und wir ,,von unseren Texten nicht mehr erwarten
dürfen, als der Heilige Geist damals ausgesagt wissen wollte"
(S. 13).

In vier Kapiteln sucht Sch. den gewaltigen Stoff zu bewältigen
: I. Hebräische Ausdrücke für „Leben" und ihre Übersetzungen
(S. 15—48), 11. Gott, Lirsprung und Heir alles Lebens
(S. 49-73). III. Die lebenspendenden Kräfte (S. 74-114) und
IV. Das Wesen des Lebens (S. 115—191). Diese vier kurzen Überschriften
geben allerdings kaum einen Eindruck von der Fülle des
Stoffes, der dargeboten wird; Kap. III weist sechs, Kap. IV sogar
acht Teile auf.

Ziel der Arbeit ist es, deutlich zu machen, daß „Leben" im
Alten Testament und speziell in den behandelten Weisheitsbüchern
nie nur „Existieren", sondern „ein Sein in Fülle" bedeutet
(S. 121). Dabei stellt der Verf. wiederholt fest, daß es dem a!t-
tcstamentlichen Denken nicht um Begriffsbestimmungen geht
und daß vieles begrifflich nicht durchgeklärt sei. Das gelte insonderheit
von den Vorstellungen Israels über den Zustand nach
dem Tode (passim). Das Leben sei allenthalben ein „religiöses,
gottgebundenes Gut" (S. 99) und — hier liegt das Hauptanliegen
des Verfassers! - der Begriff „Leben" bleibe bei aller Diesseitsgebundenheit
der alttcstamentlichcn Vorstellungen „offen", d.h.
für die Hoffnung auf ein ewiges Leben geöffnet. Damit sei freilich
„keineswegs gesagt, wir müßten jeweils von der .ewigen
Seligkeit' im christlichen Sinne verstehen" (S. 22). Aber kein
Vers in den Weisheitsbüchern schließe die Hoffnung auf ewiges
Leben expressis verbis aus (S. 165), ja sie sei sogar öfter, als man
gemeinhin annehme, in diesen Büchern ausgesprochen oder vorausgesetzt
. Das Gegenteil sei „unbewiesen und unbeweisbar"
(S. 149); vgl. dazu besonders den Teil „Ewiges Leben" (S. 149
bis 179). Man wird dieser These des Verfassers schwerlich zustimmen
können, wenn es auch geraten ist, der „Offenheit" des
Begriffes Leben im Alten Testament ernsthaft nachzudenken.
Ohne Frage geht Sch. mit seinen Behauptungen im Blick auf Pro-
verbien und Hiob fehl, wie nicht nur die meisten evangelischen,
sondern auch viele katholische Arbeiten zu dieser Frage, deren
Stellungnahme er ablehnt, zeigen. Die wiederholten argumenta
e silentio (z.B. S. 113 u. 165) und auch die Exegese mancher in
der Deutung fraglicher Stellen in der genannten Richtung (vgl.
etwa Prov. 12, 28; s. u.) überzeugen nicht.

Aufs Ganze gesehen ist die Arbeit in ihrem Wert je nach
den einzelnen Teilen verschieden zu beurteilen. Die beiden ersten
Kapitel sind in ihrem Aufbau und der Gedankenführung verhältnismäßig
klar und geschlossen, was man von den beiden letzten
Kapiteln durchaus nicht behaupten kann. Hier ist die Terminologie
z. T. unklar, weil sachliche Unklarheiten vorliegen, hier
finden sich viele, durchaus teilweise vermeidbare Wiederholungen
, und die Durchführung der Untersuchung in diesen Kapiteln
wirkt oft gezwungen und entspricht nicht dem in der Kapitelüberschrift
angegebenen Thema. Das gilt besonders für das dritte
Kapitel („Lebenspendende Kräfte") mit seiner unglücklichen Linterteilung
in objektive und subjektive Kräfte; das gilt aber auch

— freilich nicht in dem gleichen Maße — für das letzte Kapitel
(„Das Wesen des Lebens"). In ihm ist zwar der Teil „Die biblische
.Psychologie' " gut lesbar und weithin zutreffend, sonst
aber herrscht manche Begriffsverwirrung und LInklarhcit. Man
erwartet nach Teil IV („Natürliches Leben") in Teil V („Höheres
Leben") die Behandlung der Aussagen, die von der Gemeinschaft
mit Gott reden, erfährt aber nur etwas über langes und glückliches
Leben.

So legt man das Buch doch schließlich unbefriedigt aus der
Hand trotz mancher gelungenen Ausführungen. Es wäre vielleicht
ratsam gewesen, den Rahmen weiterzuspannen und alle Weisheitsschriften
— auch die Chokma-Psalmen und die Sap. Sal. -
in die Llntersuchung einzubeziehen. Dann hätte der Verfasser
wohl besser auf die Bewegung und Entfaltung in der Weisheitsliteratur
geachtet, während jetzt seine Ausführungen völlig auf
einer Ebene erscheinen und die biblischen Tatbeslände dadurch
an Anschaulichkeit und Wirklichkeitsnähe verlieren.

Zum Schluß sei noch auf einige Druckfehler und Ungennuigkcitcn
hingewiesen, die dem Rezensenten aufgefallen sind. In 2. Sam. 20. 3
handelt es sich doch wohl nidit um den Plur. rlWI (S. 20), sondern
um den Sing. rWrl. Die Angabe, daß die Hälfte aller ET'n -Stellen
innerhalb des AT in Prov., Hiob und Sir. begegne (S. 20 f.), trifft nicht
zu; es sind, soviel ich sehe 65 von 145 (bezw. 149). Man sollte 'it:
in der Bedeutung Lebewesen, Person nicht als „Hypostase" bezeidinen
(S. 29) und auch mit der Wiedergabe dieses Wortes durch „Seele" behutsamer
umgehen (vgl. z. B. „alles, was Fleisch, Seele und Odem hat"
S. 117 oder „die sinnliche Gebundenheit des .Scele'-Bcgriffcs" im AT
S. 119, Anm. 3). — 2. Sam. 2, 27 (nicht v. 2S!) heißt es J^nb^n "Tl,
nicht Q^H-N Tl (S. 5 5). In den Prov. darf rTlin nicht ohne weiteres
als „Gesetz" wiedergegeben werden, sondern bedeutet — m. E. stets!

— Gebot, Weisung der Weisen, bzw. Eltern; so handelt es sich Prov.
6.23 (vgl. S. 101) bei Upen und fTTifl ohne Suffix (l) nicht um
Gottes Gebot, sondern um das Gebot des Vaters und die Weisung
der Mutter (vgl. 6, 201). — Man sollte auch das Wort ffibo nicht o&M
weitere Erklärung mit „Frieden" übersetzen (S. 102 u. ö.); für das Problem
der Arbeit wäre eine wörtlidierc Übersetzung fruchtbar zu machen
gewesen. — Die Fchlpunktation Prov. 12,28 TT?"-?* (für r.TC_bft)
bietet keine tragbare Grundlage für eine Unsterblichkeitshoffnung (f)
in den Proverbien (vgl. S. 157). —In Anm. 5 auf S. 171 muß es Js. 26, 19
statt 26, 9 heißen, in Anm. 7 ^ statt ^; Anm. 5 auf S. 174 ist

für zu lesen. Schließlich sei noch darauf hingewiesen,

daß im Text des Buches die Teilabschnitte der Kapitel mit römischen