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Ausgabe:

1955 Nr. 1

Spalte:

55-56

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Hauptmann, Peter

Titel/Untertitel:

Die christliche Wirklichkeit im Denken und Leben des Prototypen Avvakum 1955

Rezensent:

Hauptmann, Peter

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 1

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klassische Kunst der Ile-de-France schließlich wählte solche Arbeiten
als Muster, die ihrerseits besonders vom Geist der Antike geprägt waren
, z. B. Adam und Eva als kontrapostische bekleidete Einzelfiguren,
wie sie in der Miniaturmalerei der Makedonenrenaissance vorgebildet
waren.

Es liegt an der Art des Stoffes, daß die Arbeit nicht zu einem abschließenden
Ergebnis führt, sondern aus vielen aneinandergereihten
Einzelbeobachtungen besteht, von denen hier nur eine kleine Auswahl
mitgeteilt werden konnte. Doch läßt sich zusammenfassend nach dem
Überblick über das erste Jahrtausend der Ikonographie von Adam und
Eva sagen: Viele Typen, die dem Mittelalter anzugehören scheinen, sind
schon in der altchristlichen Zeit geschaffen worden. Das frühe Mittelalter
hat eine besondere Kraft darin bewiesen, diese Typen für die
abendländische Kunst zu bewahren. In welchem Maße es Umbildungen
und Neuschöpfungen vorgenommen hat, bleibt nodi zu untersuchen.

Hauptmann, Peter: Die christliche Wirklichkeit im Denken und
Leben des Protopopen Avvakum. Diss. Münster 1953, 200 S.

Vorliegende Untersuchung will einen Beitrag leisten zur Erforschung
der russischen Frömmigkeitswelt des 17. Jahrhunderts und der
theologischen Gedanken eines ihrer charakteristischen Vertreter: des
Protopopen (Erzpriesters) Avvakum (Habakuk), 1621—1682. Um der
Gefahr psychologischer oder kulturhistorisch-romantischer Fehlinterpretation
zu entgehen, sucht sie diesem als einem — wenn auch eigenartigen
— „Kompendium der Christenheit" gerecht zu werden.

Unter der Überschrift: „Die individuelle Lebenswirklichkeit des
Protopopen Avvakum: sein Lebensgang und sein Sendungsbewußtsein"
gibt das erste Kapitel eine Darstellung der äußeren und inneren Entwicklung
desselben auf dem Hintergrund der entsprechenden kirchlichen
Zustände und kirchengeschichtlichen Ereignisse. Es wird nachgewiesen
, daß das Sendungsbewußtsein des rasch aufgestiegenen Dorfpopen
nichts andres gewesen ist als ein ausgeprägtes Protopopenbewußt-
scin, dessen Eigenart auf der neuen Sinngebung des Protopopenstandes
durch Stefan Vonifat'ev, des Zaren Seelsorger, beruhte. Das in Avvakum
als Folge der ihm angetanen Entkleidung von der Priesterwürde
während des Moskauer Konzils im Jahre 1666 erweckte Bewußtsein
unmittelbarer göttlicher Sendung wird lediglich als die Überzeugung
von der Unverlierbarkeit seiner Protopopenwürde gewertet. Die Ursache
der zehnjährigen Verbannung Avvakums nach Sibirien kann nur
in seiner Kampfgemeinschaft mit Ivan Neronov gegen die von dem
neuen Patriarchen Nikon 1653 durchgeführte Ausschaltung des „Kreises
der Eiferer für die Frömmigkeit" gesehen werden, dem beide angehörten
, und dessen Haupt, Stefan Vonifat'ev, anstelle des Patriarchen Jo-
sif zum Partner des Zaren in der „Symphonia" byzantinischen Vorbildes
geworden war, noch nicht aber in dem erst später entscheidenden
Kampf gegen die kultischen und rituellen Reformverordnungen,
wie es nach Avvakums rückblickender und interpretierender Darstellung
zuweilen den Anschein haben könnte. Die Begründung der in diesem
Kapitel gegebenen Deutung des Verhaltens und Handelns des
Protopopen Avvakum beruht auf den Ergebnissen der folgenden.

„Die Wirklichkeit Gottes im Denken des Protopopen Avvakum:
die Bedeutung seiner Sonderlehren" ist das zweite Kapitel überschrieben
. Die in häretischer Terminologie formulierten dogmatischen Aussagen
Avvakums finden hier ihre Wertung als Protest gegen eine
Verdinglichung, dem die Begriffe der christologischen und trinitarischen
Formeln im Bewußtsein des russischen Kirchenvolkes zu jener Zeit an-
heim gefallen sein müssen, und die aus soteriologischem Interesse erfolgte
Bemühung, die dynamischen Elemente des Dogmas neu zur Geltung
zu bringen. Es wird gezeigt, daß der Protopope, indem er in Aussagen
über die Inkarnation und die Herabkunft des Hl. Geistes den
Begriff des „Wesens" durch den der „Kraft" ersetzte und andererseits
die Existenz vier göttlicher „Wesen" (der drei Personen der Trinität
und der Jesu Christi!) behauptete, notwendigerweise lediglich das als
Fünffingerkreuz interpretierte Zweifingerkreuz des alten Ritus als
Symbolisierung der Heilswahrheiten anerkennen konnte, weil dabei
Zeige- und Mittelfinger zum Abbild der beiden Naturen Christi, die
übrigen Finger zum Abbild der Trinität zusammengelegt wurden. Von
daher ist es auch zu erklären, daß Avvakum das durch Nikons Reformtätigkeit
eingeführte Dreifingerkreuz einzig zur antichristlichen Trias
aus der Apokalypse in Beziehung zu setzen vermochte. Allein dadurch
waren die Kultusreformer in seinen Augen derartig disqualifiziert, daß
er auch hinter der geringfügigsten durch dieselben vorgenommenen
Veränderung einen seelengefährdenden Angriff auf die alte Orthodoxie
wähnte; denn die Untersuchung seines Traditionsbegriffes ergibt, daß
für Avvakum keineswegs Althergebrachtes als solches unantastbar
wäre. Kriterium der Tradition ist ihm der rechtgläubige Ritus als Darstellung
des Dogmas von der Menschwerdung Gottes: allein dafür ist
er auf dem Scheiterhaufen in Pustozersk gestorben. Für den Protopopen
Avvakum stellt die Auseinandersetzung mit den liturgischen Reformen
in der Kirche des Moskauer Patriarchats darum einen letzten
Endes christologischen Streit dar. Als weiteres Kennzeichen der Sonderstellung
Avvakums innerhalb des altgläubigen Schismas wird der Tatbestand
herausgehoben, daß der Protopope gegen die apokalyptische
Schwärmerei der Masse der „Raskolniki" und die damit verbundene
Bestreitung der Möglichkeit von Sakramenten ebenso heftig Front bezog
, wie er einst vor der ersten Reformverordnung gegen die Entartung
der Gottesdienste und für deren Reform im Kampf gestanden
hatte.

Das dritte Kapitel: „Die Wirklichkeit Gottes im Leben des Protopopen
Avvakum: seine Gottesbegegnung durch Schöpfung, Geschichte
und Schicksal", macht deutlich, wie dem Anliegen der Sonderlehren
des Protopopen, sowohl Gottes allgegenwärtiges Wirken und Dabeisein
als auch dessen Vorstellbarkeit zu sichern, eine sein ganzes Leben
bestimmende religiöse Erlebnisfähigkeit von außerordentlicher Kraft
korrespondierte, deren Äußerungen sich nicht selten zur Illustration
mancher Sätze aus Schleiermachers „Reden" geradezu anbieten. Dabei
ist Avvakum keineswegs ein im religionsgeschichtlichem Sinne visionär
veranlagter Mensch gewesen.

Das vierte Kapitel schließlich richtet den Blick vor allem auf die
geistliche Wirksamkeit dieses außergewöhnlichen Predigers und Seelsorgers
, der sogar die Freundschaft des Zaren Aleksej Michajlovic zu
erringen wußte: „Die christliche Wirklichkeit als Ziel des Protopopen
Avvakum: sein Ringen um sein und seines Volkes rechtes Gottes Verhältnis
." Es führt eine Anzahl ergreifender Zeugnisse an von des Protopopen
heiligem Ernste, stellt auf Grund derselben jedoch bei ihm
eine Verwechslung der Glaubenshaltung mit einer Art religiösen Hochspannung
fest und erklärt daraus Avvakums Bestreitung der Gottebenbildlichkeit
des Menschen gemeinhin, der eine Heilsungewißheit und
ein Bußernst entsprechen, welche selbst zur Billigung der Selbstverbrennungen
zahlloser „Raskolniki" imstande waren. Von seiner Forderung
nach der Religion als einem „Kontinuum im Menschen" wird
seine ethische Problematik hergeleitet, zumal seine Perhorreszierung des
Sexuellen. Wegen dieser Forderung war ihm allerdings jede Änderung
des alten Lebensstiles und jede Entlehnung aus Sprache und Sitte eines
fremden Volkes als eitle und irreligiöse Handlung zuwider, nicht aber,
weil er in allen Äußerungen des Altrussentums als solchem einen unmittelbar
religiösen Wert gesehen hätte.

Hentschke, Richard: Die Stellung der vorexilischen Schriftpropheten
zum Kultus. Diss. Münster/W. 1953.

Zweck und Aufgabe der Arbeit ist die Untersuchung des Verhältnisses
der vorexilischen Propheten zum Kultus unter besonderer Bc-
rücksiditigung der Ergebnisse und Thesen der neueren Forschung auf dem
Gebiete des Kultus und des Mythos. Die ersten drei Hauptteile der
Arbeit haben den israelitischen Kultus, seine Geschichte und das im
8. bis 6. Jhdt. v. Chr. lebendige Verständnis der Kultbräuche zum Gegenstand
.

Die israelitischen Kultbräuche kann man ihrer Herkunft nach in
drei Gruppen einteilen:

1. Die Kultbräuche, die in den Lebensverhältnissen der halbnomadischen
Steppenbewohner ihren Ursprung haben.

2. Die in Kanaan zusammen mit den Lokalheiligtümern übernommenen
Kultbräuche und Mythen der kanaanäischen Naturreligion.

3. Die Traditionen von den Heilstaten Jahwes in der Geschichte des
Volkes sowie von seinen sittlich-rechtlichen Forderungen, die die
Israeliten nach Kanaan mitbrachten. Diese heilsgeschichtlichen Traditionen
bildeten die Grundlage des Bundes zwischen Jahwe und
seinem Volk und hielten so den israelitischen Stämmebund religiös
und völkisch zusammen.

In Kanaan kommt es zur Verbindung und gegenseitigen Durchdringung
der genannten Kultbräuche und Traditionen. Dieses Ringen der
Jahwereligion mit der kanaanäischen Naturreligion kann man nicht reli-
gions- oder völkerpsychologisch aus dem Gegensatz zwischen der psychologischen
Anlage oder der kulturellen Entwicklungsstufe der Kanaanäer
und der Israeliten erklären, sondern es handelt sich von Anfang an um
einen echten Glaubenskampf zwischen zwei grundverschiedenen Auffassungen
von Gott und seiner Beziehung zur Welt. Weil die kanaanäische
Naturreligion der natürlichen psydiologischen Anlage der Israeliten
durchaus entsprach, deshalb wurde sie von ihnen weitgehend aufgenommen
. Die Auseinandersetzung der Jahwereligion mit dieser Naturreligion
wurde damit zum innerisraelitischen Problem. Der israelitische Kultus
ist seinem Wesen nach ein synkretistischer Kult und bildete deshalb stets
ein offenes Einfallstor für das Einströmen fremder Einflüsse in die
Jahwereligion.

Den Grad dieser Durchdringung der Jahwereligion von der Naturreligion
her kann man z. B. an der sakralen Stellung des Königs gut
beobachten (III. Hauptteil).

Daraus wird deutlich, daß man in Israel keineswegs unbesehen fremden
Vorbildern folgte. So fehlt in Israel nicht nur die zentrale Gestalt
der altorientalischen Naturkulte, die sterbende und auferstehende
Gottheit, sondern auch ihr Repräsentant im Kultdrama, der Gott-König.