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Ausgabe:

1955 Nr. 11

Spalte:

680-681

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Weisgerber, Leo

Titel/Untertitel:

Vom Weltbild der deutschen Sprache 1955

Rezensent:

Melzer, Friso

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679 Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 11 680

Verbildlichungstendenzen waren besonders die Jesuiten, deren
Streben nach Anschaulichkeit von den exercitia spiritualia von
1548 verfolgt wird.

Wenn sich auch die bildende Kunst schon vor C. D. Friedrich
der Rückenfigur im Bilde bedient hat, so ist doch von Interesse
, dieses Motiv auch in einem Andachtsbuch von 1665 belegt
zu finden. Die Barockpredigt wirkt auch auf den Apparat des
Barocktheaters ein, andererseits bedienen sich die geistlichen
Sammelwerke, so die Enzyklopädie des J. Masenius (1650) der
Werke der Ikonologen, vor allem des C. Ripa, so daß Predigt,
Theater und bildende Kunst gemeinsame Quellen haben. Dies
erleichtert die allgemeine Verständlichkeit der Werke um so mehr,
als das in seiner Bedeutung vom Verfasser anscheinend etwas
unterschätzte Festwesen des Barock mit seinen Aufzügen, Triumphtoren
, Krönungs- oder Beisetzungsfeierlichkeiten usw. hier noch
mit hinzuzurechnen ist. Die Monumentalmalerei wird als ein wirksames
Mittel der Propaganda fidei geschätzt, — der nochmalige
Hinweis auf die Allegorie im Mittelalter, die einer weiteren Bearbeitung
wert wäre, liegt nahe. Der gleichnishafte Wert der Darstellungen
, den die Kunstgeschichte in den Motivuntersuchungen
zu einer säkularisierten Kunstwelt, zur vorgeblich realistischen
Malerei des 19. Jhdts. eben jetzt zu erfassen beginnt, wird mit
einem Zitat aus M. Neumayr (1938) gekennzeichnet: Die Dinge
erschöpfen sich nicht als Dinge, sondern sind darüber hinaus
Zeichen.

Das Lehrgebäude der Ars pictoria verlangt den gebildeten
Künstler. Bei allem zeitbedingten Wandel der Hausbibliothek
des Künstlers bleiben die ikonologischen Werke, besonders C. Ripa
unentbehrlich. Die Idee des Tempels der Malerei wird von Lo-
mazzo (1590) über die französische Kunsttheorie zum Allgemeingut
. Immer wieder wird im Barock mit beträchtlichem gedanklichem
Aufwand versucht, für die Malerei eine theoretische Ordnung
, eine systematische Gliederung herzustellen. Der Verfasser
verfolgt besonders wichtige Einzelpunkte der Systematik, vor allem
die Bedeutung der Invention in aufschlußreicher Weise und
geht der Rolle nach, die die Allegorie in diesem Zusammenhang
spielt. In einem Kapitel zu den inhaltlichen Vorfragen, dem Programm
, wird die wichtige Tatsache besprochen, daß es durchaus
nicht als ein Mangel empfunden wurde, wenn die Erfindung nicht
vom Maler selbst stammte. Die hier gebotenen Überleguneen sind
geeignet, die allgemein viel zu einfach gesehenen Fragen über das
Verhältnis vom Auftrag und Werk in ein neues Licht zu rücken
und eine nur soziologische Betrachtung durch stilgeschichtliche
Korrektur und Differenzierung zu vertiefen. Die Entwicklung wird
am Beispiel von Raffael und Zucchero ins 16. Jhdt. zurück verfolgt
und gezeigt, daß sie noch im späten 18. Jhdt. lebendig ist. Der
Verfasser weist noch auf die Handschrift Goethes aus dem Nachlaß
über ,,Zu malende Gegenstände" hin. Natürlich liegt es außerhalb
des Bereiches der Studie, auch das Gegenstandsproblem bei
Goethe zu erläutern, das er so tief eindringend und fruchtbar behandelt
hat, — vielleicht hätte aber doch ein Wort darüber fallen
können, da die Absichten der Weimarer Kunstfreunde, die als altmodisch
immer wieder so gründlich mißverstanden worden sind,
eher wohl eine noch nicht zur Wirkung kommende neubarocke
Tendenz enthalten, die sich auch an Zeichnungen Goethes ablesen
läßt und die in seiner Arbeit zu Philostrat ebenfalls vermutet
werden darf.

Aus seinem besonderen Arbeitsgebiet wählt der Verfasser
zwei österreichische Vertreter des programmerfindenden Gelehrten
aus. Der gleiche Typus, wie er hier durch den Medaillen-
und Antikeninspektor K. G. Heräus repräsentiert wird, ist an
vielen Höfen des Barock vertreten, in Preußen etwa durch L. Be-
ger und J. G. Wächter.

Die Theorie der Allegorie wird mit J. B. Dubos (1719) erläutert
, die abschließenden Ausführungen über die Ikonologie
geben eine Darstellung der barocken Systematik und liefern wichtige
Ansatzpunkte für das Verständnis der Allegorie und der
barocken Deckenmalerei: Dem allegorischen Prinzip erscheint
eben nichts isoliert, überall bestehen Relationen, allen Erscheinungsformen
kommt symbolische Bedeutung zu, die Natur und
die Schöpfung selbst sind nur ein Gleichnis für das Göttliche.

Leipzig H. Ladendorf

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Weisgerber, Leo, Prof. Dr.: Vom Weltbild der deutschen
Sprache. 1. Halbband: Die inhaltbezogene Grammatik. 2. Halbband:
Die sprachliche Erschließung der Welt. 2., erweit. Aufl. Düsseldorf:
Schwann 1953/54. 267 u. 284 S. 8° = Von den Kräften der deutschen
Sprache II. Lw. DM 12.80 u. 13.50.

Der Bonner Ordinarius für Sprachwissenschaft hat in seinem
Werk „Von den Kräften der deutschen Sprache" in vier Teilbänden
eine Schau unserer Muttersprache entfaltet, die das Erbe eines
ganzen Jahrhunderts zusammenfaßt, in die gegenwärtige Arbeit
einführt und zugleich den Ausblick auf neue Möglichkeiten der
Erkenntnis auf tut (Teil I: Die Sprache unter den Kräften des
menschlichen Daseins; II: s. o.: III: Die Muttersprache im Aufbau
unserer Kultur; IV: Die geschichtliche Kraft der deutschen Sprache).
Der II. Teil ist in neuer Auflage erschienen und in zwei Halbbände
aufgegliedert. Der 1. Halbband behandelt „Die inhaltbezogene
Grammatik", ergänzt also, was bisher an deutscher Sprachlehre da
war und im Grunde nur die aufs Deutsche angewandte lateinische
Grammatik darstellte; der 2. Halbband behandelt „Die sprachliche
Erschließung der Welt". Jener erste Halbband ist mehr für Fachleute
der Sprachforschung gedacht, dieser zweite jedoch (natürlich
auf der Grundlage des ersten) führt in die inhaltlichen Fragen
des Themas ein.

Weisgerber hat das so lange Zeit vergessene Erbe Wilhelm
von Humboldts wieder aufgenommen: die Sprache ist kein e r g o n,
d. h. nichts Dinghaft-Totes, sondern e n e r g e i a, d. h. lebendig
wirkende Kraft. Sie baut zwischen dem erkennenden Menschen
und der von ihm unabhängigen Wirklichkeit eine Zwischenwelt
auf. In ihr geschieht das „muttersprachliche .Worten' der Welt' ,
wie ein eigener Abschnitt, der vorletzte des Werkes, überschrieben
ist. Der zweite Halbband gliedert sich in diese drei Kapitel: Das
sprachliche Ilmschaffen der Welt — Die welterschließende Kraft
der deutschen Sprache — Von der Wirklichkeit des Weltbildes der
deutschen Sprache. Mit diesem letzten Kapitel (S. 204-267) hat
das Werk sein eigentliches Thema erreicht. Der Weg dahin gleicht
aber nicht einer leichten Kammwanderung mit weiten Ausblicken,
sondern ist ein arbeitsames Kämpfen durch Urwald; dieses wird
aber durch die endliche Sicht reich belohnt. Der Verfasser geht
sehr gründlich vor und unterbaut, was er an Neuem vorträgt, so
ausgreifend wie möglich. Er zieht (fast) alles heran, was zu seiner
Frage in irgendeinem Bereich der sprachlichen Forschung je geschrieben
worden ist. Sogar den theologischen Raum streift er gelegentlich
(obgleich sich hier besonders viel Material gefunden
hätte). Da man eine Sprache nur im Vergleich mit anderen in ihrer
Eigenart erkennt, zieht der Verfasser immer wieder heran, was
über andere Sprachen in der Sicht seiner Frage bereits geforscht
worden ist. Wer also das Neueste und Originalste sprachlicher
Erkenntnisbemühung kennenlernen will, der muß zu diesem Werk
greifen.

Im Bereich des theologischen Denkens werden wir nicht darum
herumkommen, uns endlich der Einsicht aufzutun: Die menschliche
Sprache ist der Ort sowie die Grenze menschlicher Erkenntnis,
d. h. wir können nur soweit denken, wie unsere Muttersprache
(unsere Mutter Sprache) es uns gestattet. Um diese Grenze möglichst
weit hinauszuschieben, dazu erlernen und erforschen wir
fremde Sprachen. Theologie spielt nicht im leeren Raum abstrakten
Geistes, sondern ist in jene Grundordnung menschlichen Daseins
eingegliedert, die durch das Wort „Sprache" bezeichnet wird. Was
das bedeutet, kann in den ökumenischen Gesprächen unserer Zeit
deutlich werden (vor allem durch sprachliche Mißverständnisse
und beim Bemühen um Übersetzung); das ist auch den meisten
einsichtig geworden, die als Missionare in fremder Sprachwelt gestanden
sind und gar an Bibelübersetzungen Teil gehabt haben.
Eine „Theologie des Wortes" muß sich gründlich um die „Wörter"
kümmern, in denen sie „das Wort" auszurichten hat. Warum
geschieht das nicht?

Für eine Neuauflage des erkenntnisreichen Werkes seien zur Anregung
einige theologische Sprachfragen vorgelegt: Woher kommt und
was bedeutet es, daß wir im Deutschen meist nur e i n Wort haben,
wo andere Sprachen über zwei Wörter verfügen, so daß das deutsche
Wort unklar bleibt und mehr Verwirrung als Klarheit stiftet? Beispiele
: Im Griechischen wird die göttliche von der geschöpflichen Liebe