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Ausgabe:

1955 Nr. 11

Spalte:

674-676

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Stumpf, Johannes Stumpfs Schweizer- und Reformationschronik 1955

Rezensent:

Pfister, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 11

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hervor, die sich am Niederrhein erst allmählich durchsetzen konnten
. Die Bedeutung des Tridentinum ist der Verfasser geneigt
mehr auf kirchenrechtlichem als auf dogmatischem Gebiet zu sehen
. Die Darstellung ist äußerst aufschlußreich und offenbart die
Problematik der katholischen Kirche in diesem Zeitraum aufs
deutlichste.

Der zweite Teil dieses Werkes ist der Auseinandersetzung
zwischen dem Bischof und den Archidiakonen im Verlauf des
17.—l g. Jahrhunderts gewidmet, zeigt die allmähliche Zuspitzung
des Kampfes und weist nach, welche Gestalten und Kräfte sich
hier begegneten. Die Darstellung macht auf die wiederholten
Verhandlungen in Rom aufmerksam, auf die zähen örtlichen
Kämpfe zwischen dem Generalvikar und Archidiakon und schließt
mit einer Betrachtung über die Stellung der Landesherren zur
geistlichen Jurisdiktion.

Alles in allem eine inhaltreiche und anregende Arbeit, die
sich auf kirchenrechtlichem ebenso wie auf kirchengeschichtlichem
Gebiet fruchtbar auswirken wird.

Münster/Westf. _ R. Stupperich

D o n d a i n e, H.-F.: Le premier instant de lange d'apres Saint Thomas.
Revue des Sciences Philosophiques et Theologiques XXXIX, 195 5
S. 213—227.

Kusch, Horst: Friede als Ausgangspunkt der Staatstheorie des Mar-
silius von Padua. Zur Aristotelesrezeption im Mittelalter.
Das Altertum 1, 1955 S. 116—125.

Landgraf, Artur Michael: Zur Lehre des Gilbert Porrcta.
Zeitschrift für katholisdie Theologie 77, 1955 S. 331—337.

L o r t z, Joseph: Bonifatius und die Grundlegung des Abendlandes.
Wiesbaden: Steiner 1954. 78 S. kl. 8° = Institut für europäische Geschichte
Mainz. Vorträge. Kart. DM3.80.

R o b i 11 i a r d, J.-A.: C o n t e n s o n, P.-M. de; C o n g a r, Y. M.-J.:
Bulletin d'histoire des doctrincs medievales.

Revue des Sciences Philosophiques et Theologiques 39, 1955 S. 423
bis 483.

Scheltens, G.: De Bonaventuriaanse Illuminatieleer.
Tijdschrift voor Philosophie 17, 1955 S. 383—408.

KIBCHENGESCMCHTE: REFORMATIONSZEIT

Vi scher, Melchior: Jan Hus. Aufruhr wider Papst und Reich.
Frankfurt/M.: Societäts-Verlag 1955. 41 5 S. 8°. Lw. DM 15.80.

Ein erstaunliches Buch! Der Verfasser ist alles andere als ein
zünftiger Historiker. Als Romanschriftsteller, Dramatiker und
Theater-Kritiker hat er sich in den zwanziger Jahren bekannt ce-
macht. Ein Schauspiel „Der Teemeister", das einen japanischen
Heiland mit .12 Jüngern vorführt, der wie Jesus, aber auf japanische
Manier redet (,,Ich bin der Tee des Lebens; wer von mir
trinkt, wird leben in Ewigkeit") wurde 1924 in Leipzig ausgepfiffen
. „Sekunde durch Hirn" oder „Strolch und Kaiserin" hießen
andere literarische Erzeugnisse Vischers. Der Teemeister ist auch
als Roman erschienen. Aber 1940 kam auf einmal, zweibändig,
eine Hus-Biographie heraus, höchst beachtlich. Der Dichter verleugnete
sich in ihr wirklich nicht; aber sie war historisch sauber
gearbeitet. Da sie von der Gestapo verboten wurde, gibt es vielleicht
gar nicht so sehr viele Exemplare mehr von ihr. Jetzt liegt
eine zweite, einbändige Auflage vor, die ebenfalls Beachtung verdient
und eine treffliche Leistung ist.

In ihr verleugnet sich der Dichter wiederum nicht. Am Ende
sagt der Verfasser merkwürdigerweise: „Trotzdem findet man
In neueren Biographien (sc. Husens) zuweilen derart überzeugende
Einzelheiten, man zitiert die Reden bei der feierlichen
Amtseinführung Husens, man weiß, welche Körperhaltung er
dabei eingenommen und mit welchem Tonfall er gesprochen
hatte; leider sind es aber nur belletristische Ausschmückungen"
(391). Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Verfasser
der vorliegenden Biographie selber auch an so mancher Stelle
der dichterischen Fantasie die Zügel schießen läßt. Er kennt das
Straßenpflaster genau, auf dem der Knabe Hus gespielt hat (13),
glaubt zu wissen, daß Husens Mutter eine Frau von inniger
Frömmigkeit war (18), spinnt aus, woran Hus auf dem Scheiterhaufen
gedacht hat (374) usw. In der ersten Auflage kam der
Dichter noch stärker zu Worte.

Aber trotzdem: das Buch ist historisch solid und sauber gearbeitet
. Sehr viel Literaturangaben sind nicht gemacht, und sehr
viel Quellenhinweise sind nicht gegeben; aber man merkt immer
wieder, daß der Verfasser sich eingearbeitet hat in die literarischen
Zeugnisse aus der Huszeit und in die Husliteratur. Sehr
diffizile und einzelne Vorgänge betreffende Probleme sind mit
großer Sorgfalt entwickelt; man vergleiche die Ausführungen
über die Frage, ob Hus je Rektor der Universität Prag gewesen
ist (3 86 ff. und vorher schon); oder man gehe der Art und Weise
nach, in der Verfasser das rassische, das soziale und das theologische
Motiv gegeneinander abwägt. Er sieht und macht ganz
deutlich, daß das soziale Motiv viel stärker ist als das rassische
(Kampf gegen die Deutschen, weil sie reich sind), und er hütet
sich doch wieder, den theologischen Motiven zugunsten der sozialen
ihre Bedeutsamkeit zu nehmen. Er kann einerseits feststellen
, daß Hus nicht nur ein Vorläufer des Umsturzes im sittlichen
Kirchensinn, sondern auch für alles Umstürzlerische im
staatlichen und gesellschaftlichen Leben war (162), und dann
doch andererseits darauf hinweisen, wie stark Hus tatsächlich
noch an das mittelalterliche gesellschaftliche Denken gebunden
war (219). Interessanterweise sind (neben anderen) gerade die
theologischen Schwächen und Mängel Husens gesehen; Verfasser
spricht (117) von Verwechselung des Christentums mit dem
Sittengesetz. Die Bereitschaft und die weitgehende Fähigkeit des
Verfassers, Hus auch als Theologen zu verstehen, ist um so erstaunlicher
, als er in letzter persönlicher Entscheidung nur noch
Husens Standhaftigkeit, seinen Aufruhr des Ich gegen das Wir
(356) gelten läßt.

Das sachlich Bedeutsamste, das in dem Buch zum Ausdruck
kommt, ist die glänzende Einarbeitung des Verfassers in Kultur-,
Sitten- und Sozialgeschichte der Zeit. Sowohl die Sozialgeschichte
Europas als auch die Sozialgcschichte Prags sind dem Verfasser
wohl vertraut. Bis in die Einzelheiten geht er bei seinen kulturgeschichtlichen
Studien (Verschluß der Fenster, Verkehr auf den
Landstraßen, Ökonomie des Konstanzer Konzils, Frauenhäuser
in Konstanz). Mit der Sektenijeschichte hat er sich beschäftigt.
Daß er kritisch arbeitet, wird deutlich an seiner Abwehr von
Legenden und Übertreibungen. Was über Johann XXIII. erzählt
wurde, ist deutlich als Märchen bezeichnet, und wenn es von
Dietrich von Niem stammt. Der Grundsatz ecclesia non sitit
sanguinem ist zu günstig beurteilt und schwerlich zu Recht als
bare Münze genommen. Bei aller Kräftigkeit, mit der die Un-
sittlichkeit des Klerus in Prag und Konstanz anschaulich gemacht
wird, werden (94; 117 ff.) Übertreibungen und Überspitzungen
ausdrücklich zurückgewiesen.

Zu allem kommt nun rein formal die ausgezeichnete Darstellungskunst
. Die Art und Weise, in der Karl IV, Wenzel und
Sigismund vorgeführt werden, ist hervorragend. Sparsam, aber
dann wirksam wird die Anekdote verwendet (75; 290). Die Darstellung
des Konstanzer Konzils ist ein Meisterstück. Mit einem
ganz kurzen Satz wird oft ein ernstes historisches Problem durchsichtig
und interessant gemacht (daß es zwei Päpste gab, war für
den damaligen Menschen ungefähr so, als wenn man ihm. gesagt
hätte, er wäre von zwei Müttern geboren worden; 76). Belege
für die Erzählkunst Vischers ließen sich noch in großer Zahl
bringen. Natürlich darf man von dem Buch nicht zu viel erwarten
, also nicht Förderung der Hus-Forschung in dem Sinne, in
dem solche durch ein exaktes Werk eines zünftigen Historikers
erfolgen kann. Aber daß der Verfasser seine große Darstellungskunst
nicht in den Dienst eines historischen Romans, sondern in
den einer sauberen geschichtlichen Darstellung gestellt hat, muß
ihm hoch angerechnet und sehr gedankt werden.

Markk!eeberg/Leipii(r Franz Lan

[Stumpf:] Johannes Stumpfs Schweizer- und Reformationsdironik.

I. Teil. Hrsg. v. E. Gagliardi f. H.Müller u. F.Büßer. Basel: Birk-
hhuser 1953. XL, 383 S. gr. 8° = Quellen zur Schweizer Geschichte,
N.F. II. Abt. Bd.V. sfr. 30.-.

Unter den Geschichtsquellen nehmen die Chroniken eine bedeutsame
Stellung ein. Auch die reformationsgeschichtliche Forschung
kann ihrer nicht entraten. Als eine maßgebende chroni-