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Ausgabe:

1955 Nr. 11

Spalte:

666-669

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Dehlinger, Alfred

Titel/Untertitel:

Württembergs Staatswesen 1955

Rezensent:

Hermelink, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 11

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ihn „das irische Bibelwerk". Nun hat aber Bischoff seine Abhandlung
überschrieben: „Wendepunkte in der Geschichte der lateinischen
Exegese im Frühmittelalter." Diese „Wendepunkte" erkannte
Bischoff aus der Würdigung der ihm zugekommenen
Quellen. Und mit der Parole „Wendepunkte" richtet er sich gegen
die noch 1947 von M. L. W. Laistner (The Harvard Theol. Revue
Bd. 40) ausgesprochene These der Tradition: Es hat in Irland zwar
schon im 7. Jhdt. einige Gelehrte gegeben, welche „antioche-
nische" Exegese trieben (Literalerklärung und Sach-Kommentie-
tung ist gemeint), aber das war auf Irland beschränkt, und auch
hier auf einzelne Kreise. Auf die „alexandrinische" Exegese der
anderen Kreise, und gar nach England und auf das Festland hinüber
, hatten sie keine Wirkung: dort trieb man Exegese in der
Art Gregors des Großen und des Isidor von Sevilla, also „allegorische
" Exegese, als Exegese der Kirchenväter! Dies Bild hält
Bischoff auf Grund bisher unerschlossener Quellen für viel zu
einförmig. Die Schule von Canterbury, also Theodor v. Canter-
Wy und Hadrian v. Canterbury, 7. Jhdt., war „antiochenisch" -
Origenes, Cyrill v. Alexandrien, Hesychius werden dort gar nicht
genannt. Und die Iren wiederum haben von Canterbury gelernt.
Aber Beda Venerabilis wurde trotz Canterbury und bleibenden
Einflüssen von dort zum Vertreter der allegorischen Exegese! Im
Anschluß „an die Väter". Und so such Ambrosius Autperrus,
Alkuin und die karolingischen Theologen bis zu Eriugena hin.
Natürlich: vorwiegend. Aber diesen fränkischen Theologen lagen
aus der Iren-Mission die Kommentare der Lathcen, Aileran, Ban-
hän, Cummean vor - sogar die Schrift eines richtigen Rationalisten
„De mirabilibus sacrae scripturae". Und durch sie die
Diera der Schule von Canterbury. Gerade für diese Schule aber
kann Bischoff eine große Hinterlassenschaft in der Mailänder
Handschrift Ambros. M 79 sup. (saec. XI) nachweisen, deren Pen-
tateuch- und Evangelienglossen bisher kaum behandelt wurden —
und hier herrscht durchaus die „antiochenische" Art vor. Bedas
Wende zur „allegorischen" Exegese hätte also im Frankenreich
durchaus durch eine karolingische Rückwendung nach „Antiochien
" korrigiert werden können. Und einige karolingische Theologen
wandten sich wirklich ..einer schlichteren, weniger spitzfindigen
und weniger pedantischen Art der Auslegung" zu. Daher
die Rede von den „Wendepunkten" und dem „Ansatz" — gegen
die Rede von der „Einförmigkeit".

C. Coebergh setzt die Bemühungen Callewaerts fort,
aus der Liturgie zu Leo dem Großen vorzudringen. Diesmal geht
es um das Gebet „Deus castorum corporum" im sog. Leonianum,
das zur Jungfrauenweihe (..Ad virgines sacras") gehört. De Puniet
hat 1931 dieses Gebet auf Leo zurückgeführt; Coebergh studiert
nun Stil, Ideen, Vocabular und Prosodie Leos auf dies Gebet hin.
und kommt zu dem Schluß: ..Das Gebet ist von Leo verfaßt", weisen
Schluß er als die z. Zt. probabelste Hvpothese bezeichnet.
Es scheint, daß man auf die Dauer Leo und das „Leonianum"
nicht mehr so rasch trennen wird, wie die (richtice) These, daß Leo
nicht der Autor des „Leonianums" sei, es vielfach nahelegte. Die
■ Libelli"-Theorie Klausers und Stuibers wird immer mehr gerechtfertigt
.

Alexander O 1 i v a r räumt unter den Sermonen des Petrus
Chrysologus gründlich auf. scheidet echte und unechte und leistet
die Vorarbeit zu einer kritischen Edition. D'e Epistola ad Eu-
tvoVn notiert er als echt, den Rotulus von Ravenna (trotz Ca
hrol) als unecht. Am Schlüsse setzt Olivar sich über Echtheit und
Llnechtheit mit P. Glorieux (Melanges de Science Religieuse 9
«1953») zugunsten der eigenen Aufstellungen auseinander. —
Die gleiche Arbeit tut mit aller Sorgfalt Frl. Almut Mutzen-
h a c h e r an der Überlieferung des Maximus v. Turin. Sie beginnt
mit Gennadius De vir. Iii. 41, hält aber als grundlegend für die
Weitere Forschung einen Cod. Sessorianus aus dem 6. und einen
Sangallensis aus dem 7. Jhdt. fest: von diesen Codices aus stößt
sie auf „die ursprüngliche Sammlung" vor und scheidet „echt"
und „unecht".

In eine ganz andere Sphäre führt die Abhandlung von
R. B. C. H u y g e n s. nämlich zu des Boethius „De consolatione
Philosophiae". speziell zu dem Metrum 9 des 3. Buches „O qui
Perpetua mundum ratione (rubernas" (vgl. Piatons Timaeus cap.
5-16), nämlich zu drei mittelalterlichen Kommentaren zu diesem

Metrum nonum. Es sind zwei vollständige Kommentare und ein
fragmentarischer: 1.) der an Bovo [Bischof von Chälons-sur-
Marne? Huygens: Non Iiquet] gerichtete eines „B" [des Abtes
Bovo II. von Corvey? H: „Weniger zu beanstanden"] „in nova
Corbeia"; 2.) der fragmentarische und anonyme aus einem Einsiedler
Cod. 302 saec. X., einer Antwerpener Handschrift Mus.
Plant.-Mor. 250 saec. XIII. und dem Harbianus 3095; 3.) der des
Utrechter Bischofs Adalbold. Huygens ediert in unserem Bande
den Bovo und den Adalbold neu und den „Anonymus von Einsiedeln
" vollständiger als es bisher möglich war. Den Bovo und
den Anonymus bezeichnet er als große Gelehrte, bei Adalbold
spricht er von Wortkrämerei. Von etlichen Codices gibt er Proben
in schönen Abbildungen.

E. Dekkers lenkt schließlich die Aufmerksamkeit auf eine
bisher unbekannte Handschrift der lateinischen Übersetzung der
Pauluskommentare von Theodor von Mopsueste (es handelt sich
um die Reihe Gal. bis Philemon). Diese lateinische Übersetzung
des in den „Drei Kapiteln" von 551 verfemten Theodor konnte
abgeschrieben werden, weil sie den Namen des Ambrosius (also
des „Ambrosiaster"?) erhielt: so im Cod. 455 saec. IX. der Genter
Universitätsbibliothek. Man vergleiche dazu die günstigere
Position der irischen Theologen des 7. Jhdts., von denen der genannte
Aufsatz Bischoffs notiert: Sie hatten den Psalmenkommentar
Theodors von Mopsueste unter dessen richtigem Namen —
und den echten Pauluskommentar des Pelagius, dazu manches
auf dem Festland schon proskribierte Apokryphon.

Die Fülle der in diesem Halbband VI 2 liegenden Erkenntnisse
und Anregungen kann jedoch in unserer Anzeige nur wie
mit stenographischen Siglen angedeutet werden. Es ist viel mehr
dahinter.

Augsburg Leonhard Fendt

D e h I i n g e r, Alfred: Württembergs Staatswesen in seiner geschichtlichen
Entwicklung bis heute. 2 Bde. Stuttgart: Kohlhammer [1950
bis 53]. XXXIV, 1120 S. gr. 8°. Lw. DM 66.-.

Württemberg war von alter Zeit her das am besten erforschte
und in seiner geschichtlichen Entwicklung vorbildlich beschriebene
Land in Deutschland. Bekannt ist. daß der aus dem Tübinger Stift
hervorgegangene Präzeptor Mag. J. D. C. Memminger (gest. 1840)
seit 1820 mit der Ausgabe einer Landesbeschreibung den Anfang
machte (dritte Auflage in neuer Bearbeitung 1904-1907). Es folgten
dann nacheinander die einzelnen Oberamtsbeschreibungen (von
64 Landkreisen oder „Oberämtern", von denen einzelne von 1893
ab bis 1930 in zweiter und dritter Auflage erschienen). Ihnen
gingen zur Seite die „Württembergischen Jahrbücher" für vaterländische
Geschichte, Statistik und Landeskunde; dazu die einzigartigen
Kartenwerke und ..Statistischen Handbücher", das wertvolle
Nachschlagewerk „Württemberg in Wort und Zahl" (Zweite
Ausgabe 1937). Es schlössen sich an die „Vierteljahrshefte" (von
1878 an), die 1937 in die „Zeitschrift für würrtembergische Landesgeschichte
" umgewandelt wurden. Dazu kommen noch die
. Blätter für württembergische Kirchengeschichte" (seit 1900), wie
denn überhaupt diese ganze Arbeit des Statistischen Landesamtes
und der (seit 1892 bestehenden) „Kommission für Landesgeschichte
" in weitestem Umfang der Kenntnis der heimischen
Kirchengeschichte zugute kam.

Gewissermaßen zur Zusammenfassung all dieser mehr als
hundertjährigen Forschungen an der heimatlichen Geschichte und
Landeskunde hat Alfred Dehlinger nun ein Werk geschaffen, das,
wie er selbst sagt, dem neuen Staatsgebilde des Südweststaats zum
Aufbau und Ausbau dienen soll. Der Verfasser führt uns hinein
in die mehr als 800jährige Geschichte eines durch mehrere Jahrhunderte
fast völlig abgeschlossenen und in seiner Eigenart sich
von innen heraus entwickelnden Volksstamms, der auf allen Gebieten
des öffentlichen Lebens sowohl in geistesgeschichtlicher
Hinsicht als auch in industrieller Leistung und nicht zum mindesten
in religiöser Beziehung Hervorragendes, ja stets Eigenartiges hervorgebracht
hat. Ein Sohn dieses Landes, der mit Stolz und Dankbarkeit
von der Leistung seiner Ahnen Kunde gibt und viele
dutzendemal darauf hinweisen kann, daß das geistige und wirtschaftliche
Leben hier in ganz eigenartigen und in den meisten
Fällen vorbildlichen Formen Gestaltung gefunden hat, kommt hier
zu Wort. Er schafft ein Werk, halb Nachschlagebuch, mit Hunder-