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Ausgabe:

1955 Nr. 11

Spalte:

663-664

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Delius, Walter

Titel/Untertitel:

Geschichte der irischen Kirche 1955

Rezensent:

Bieler, Ludwig

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 11

664

Geschichte nicht zum Schweigen bringen. Wir haben aber dafür
keine „pneumatische" historische Methode zur Verfügung. Als
zwei besonders wirkungskräftige Geschichtsdeutungen werden
diejenige Augustins und Hegels skizziert. Sie scheitern beide an
der wirklichen Geschichte. Auf eine wissenschaftliche Sinndeutung
müssen wir verzichten. Die Rede bekennt sich zu der in Christus
geoffenbarten Liebe als dem tiefsten Sinngehalt des Lebens und
endet mit einem Hinweis auf Albert Schweitzer. „Es gibt keinen
letztgültigen erkenntnistheoretischen, aber es gibt einen religiösen
Weg aus den Rätseln der Geschichte heraus" (21). Also ein
„Bekenntnis" anstelle einer „Lösung"; aber gibt es eine andere
Möglichkeit?

Erlangen W. v. Loewenich

D e 1 i u s, Walter, Prof. D. Dr.: Geschichte der irischen Kirche von
ihren Anfängen bis zum 12. Jahrhundert. München-Basel: Reinhardt
1954. 176 S. gr. 8°. Kart. DM 9.—; Lw. 11.—.

Nur ungern unterziehe ich mich der Besprechung eines Buches,
das einen verdienten Forscher in ungünstigem Licht erscheinen läßt.
Darum will ich gleich zu Anfang sagen, was an dem Buch schön
ist: das erfolgreiche Streben nach historischer Objektivität und
der Mut, dieses Buch jetzt zu schreiben. Es ist mir freilich zweifelhaft
, ob der Verfasser diesen Mut aufgebracht hätte, wenn er sich
der Problematik seines Gegenstandes voll bewußt gewesen wäre.
Daran aber hat ihn der Umstand verhindert, daß ihm ein großer
Teil der neueren Literatur, vor allem der Literatur in englischer
Sprache, unzugänglich war. Ich denke da an die zahlreichen, leider
weit verstreuten Arbeiten zur irischen Liturgie und Frömmigkeit
von John Hennig, an die wichtigen Aufsätze von Rev. Aubrey
Gwynn (in Irish Historical Studies und I r i s h E c -
clesiastical Record) zur irischen Kirchenreform und den
irisch-kontinentalen Beziehungen im 11. und 12. Jahrhundert, vor
allem aber an die lebhafte (und nicht immer leidenschaftslose) Diskussion
auf den Gebieten der irischen Frühgeschichte, der Anfänge
des irischen Christentums und des Ursprungs der irischen Illumination
— Gebiete, auf denen nach einer Periode scheinbarer Konsolidierung
wieder alles in Fluß gekommen ist. O'Rahilly's
Early Irish History and Mythology (1946) und
Masai's Essai sur les origines de la miniature
dite irlandaise (1947) werden zwar in der Bibliographie
genannt, aber im Text ist von den Problemen, die sie aufwerfen,
nichts zu merken. E. A. Lowe's monumentale CodicesLatini
Antiquiores sind überhaupt nicht erwähnt.

Den Anstoß zur Abfassung dieses Buches hat wohl James
F. Kenney's grundlegendes Quellenwerk Sources for the
Early History of Ireland, I. Ecclesiastical gegeben
, das 1929 erschien. D. hat nicht nur einen großen Teil seines
Materials aus Kenney bezogen, er schließt sich ihm auch in der
Abgrenzung des Stoffes (von den Anfängen bis zur Synode von
Cashel, 1172) sowie in dessen Anordnung und Darbietung ziemlich
eng an. D.s Darstellung ist freilich viel kondensierter, aber nicht
im Sinne einer Synthese, sondern eher nach Art eines Regests.
Die darstellenden Partien bei Kenney lesen sich flüssiger, und
seine Erörterung komplizierter Tatbestände, z. B. des Streites um
das Osterdatum, zeichnet sich durch größere Klarheit aus. Bei D.
hat das Bestreben, auf zu knappem Raum zuviel sagen zu wollen,
oft zu einer bloß andeutenden und manchmal geradezu irreführenden
Darstellung geführt.

Ein Beispiel der letzteren Art findet sich auf S. 70, wo von einem
Fragment eines irischen Meßformulars im Buch von Armagh die Rede
ist. Gemeint sind offenbar die beiden kurzen Abschnitte am Ende der
vielbesprochenen Notulae (fol. 19r). Der eine enthält das — gregorianische
! — Hanc igitur - Gebet, eingelegt in eine Serie von
Stichworten zu einer Vita Gregors des Großen; der andere, beginnend
f o n s. i o r d ä, ist vielleicht liturgisch, aber sicher kein Meßformular,
jedenfalls bis heute nicht sicher gedeutet (vgl. P. Grosjean, A n a-
lecta Bollandiana 62, 1944, S. 40).

Auch sonst begegnen wir mancherlei Flüchtigkeiten, die schwer
zu entschuldigen sind. So heißt es auf S. 21: „Ailbeus wird in
seiner Vita als Heiliger von Munster der ,alte Patricius' bezeichnet
." Der lateinische Text, auf den die Anmerkung verweist,
schreibt alterPatricius, „ein anderer Patrick"; Ailbe ist für
Munster, was Patrick für Leinster und Connaught ist. — S. 24 liest
man: „Der älteste Patrickhymnus in irischer Sprache ist das Genair

Patraicc, das den Bischof Fiacc von Siebte, den Gründer dieser
Kirche, zum Verfasser hat. Der Hymnus soll rechtfertigen, daß
Siebte in den Jahren 662-668 mit der parochia Patricii vereinigt
wurde." Die Abfassung des Hymnus wird aus sprachlichen Gründen
um 800 angesetzt; aber selbst wenn der Text in einer älteren
Sprachform schon hundert Jahre früher bestanden hätte, könnte
er nicht von dem Patrick-Schüler Fiacc stammen. „Fiacc's Hymnus
" bedeutet wohl nicht mehr, als daß diese Dichtung in Siebte
entstand, wahrscheinlich, wie D. sagt, um die im 7. Jahrhundert
vollzogene Unterwerfung dieser Kirche unter die Jurisdiktion
Armaghs zu rechtfertigen. — Kritische Stellungnahme zu dem Abschnitt
über das Latein der Iren (S. 80) würde eine kleine Abhandlung
erfordern. Ich glaube nicht, daß das „Hisperische" Latein
in Irland mehr als gelegentlich verwendet wurde, als eine Art
tour de force. Die Schriften des Grammatikers Virgilius Maro,
die ich doch am liebsten mit Paul Lehmann für eine Parodie halten
möchte, sind zwar den irischen Grammatikern bekannt; aber wenn
Männer wie Muirchü oder Adamnän ein für ihre Zeit bemerkenswertes
Latein schreiben, dann haben sie es nicht von dem abstrusen
Virgilius gelernt, sondern von Priscian und Isidor.

Es ist nicht Hang zur Pedanterie, wenn ich auf gelegentliche
Schreib- oder Druckfehler hinweise, die sich in irischen oder irischlateinischen
Namen finden, wie z. B. V i c t o r i u s für V i c t o -
ricus (S. 27, 29; im Index ist Victorius = Victoricus noch mit
dem Komputisten Victorius zusammengeworfen worden), A c h d -
bö für A c h a d - b ö (S. 112 und nochmals im Index), Malschanus
(S. 115) und Malchanus (S. 172) statt Mal-
sachanus als Latinisierung von Mac Salchann. Falsche Schreibungen
in einem Buch wie diesem, das trotz seiner Mängel viel
benutzt werden dürfte, sind in Gefahr, von anderen übernommen
und weiterverbreitet zu werden.

Die Publikation dieses Werkes beweist zweifellos, daß dafür
in Deutschland ein Bedürfnis besteht. Das Ziel, das dem Verfasser
vorschwebte, eine auf den letzten Forschungen aufbauende Geschichte
der irischen Kirche zu schreiben, war leider unter den ge-
gebenen Umständen nicht ganz zu verwirklichen. Es ist gewiß zu
begrüßen, daß ein weiter Kreis gebildeter Leser mit dem reichen
Material bekannt gemacht wird, das Kenney in seinem an wenigen
deutschen Bibliotheken vorhandenen Buch gesammelt und gesichtet
hat. Nur darf nicht vergessen werden, daß damit ein Stand der
Forschung festgehalten ist, der nun fünfundzwanzig Jahre zurückliegt
. Darüber hinauszugehen ist D. nur selten in der Lage, und
so erfahren seine Leser fast gar nichts von der fruchtbaren Krise»
in die das Studium der irischen Kirchengeschichte seither eingetreten
ist.

Dublin/Irland Ludwig Bleier

Sacris Erudiri. Jaarboek voor Godsdienstwetenschappen. VI. *
1954. Uitgave van de Sint Pietersabdij, Steenbrugge. Brügge:
Beyaert; Den Haag: Nijhoff [1954]. 253 S. gr. 8°.

Man könnte diesem zweiten Halbband von 1954 mit Fug
die Überschrift „Fontes" geben. Denn alle Beiträge stammen aus
der zünftigen Editionstechnik und beschreiben entweder
Quellen der christlichen Literaturgeschichte oder legen direkt
eine kritische Ausgabe vor. Die Zeitspanne geht von der Väter-
zeit bis ins Mittelalter, der Raum von Irland über Germanien und
Italien bis nach Mopsueste.

Bernhard B i s c h o f f bringt eine große Abhandlung über die
hiberno-lateinische und die irisch beeinflußte lateinische exegetische
Literatur bis zum Anfang des 9. Jhdts. und beschreibt die
Quellen in einem Katalog von 60 Seiten. Der Katalog kann nicht
alle vorkarolingischen Werke enthalten, da die Mehrzahl derselben
anonym (und zugleich spärlich) überliefert ist. Aber die Bemerkungen
Bischoffs über die „irischen Kennzeichen"- bringen
doch auch hier entschiedene Hilfe. Die Anonymität der irischen
Schriftstellerei war verbunden mit einer Massenproduktion; aber
keiner dieser Texte befindet sich in Irland, sie wurden offenbar
in festländischen Scriptorien abgeschrieben, und zwar die anonymen
seltener und mit der Scheu wie vom Gelasiusbrief her, die
Pseudonymen mit Eifer und dem Respekt vor dem großen Namen-
Die Fülle der Einzelkommentare hat im 8. Jhdt. ein irischer Korn-
pilator, der vielleicht schon auf dem Festland arbeitete, zu einem
Kommentar zu allen Büchern der Bibel benützt; Bischoff nennt