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Ausgabe:

1955 Nr. 11

Spalte:

660-662

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Moschner, Franz Maria

Titel/Untertitel:

Das Himmelreich in Gleichnissen 1955

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 11

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sich im johanneischen Lebensbegriff doch auch ausgesprochen
eschatologische Momente im Sinne der spätjüdisch-christlichen
Eschatologie. Der Vf. lehnt es mit Recht ab, diese Aussagen „mit
einem Gewaltakt" der kirchlichen Redaktion zuzuschreiben. Denn
„Mystik" und Eschatologie sind bei Johannes keine Gegensätze,
sie stehen vielmehr in einem organischen Verhältnis zueinander.
Ihren Einheitspunkt bildet der verherrlichte Christus. So bringt
die Christologie die Lösung der Frage nach dem Verhältnis von
Eschatologie und „Mystik". Die Heilsgabe der £co»? findet finden
Gläubigen ihre wesensmäßige Erfüllung in der uvuaraaig
Ccoijc. Die dvdaiaaig Ccorjs ist die „Vollendung des Rettungswerkes
des Menschensohns".

Der Vf. muß, da er festgestellt hat, daß das „Leben" sowohl
durch den Glauben als auch durch die Sakramente vermittelt
wird, die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Sakrament
im 4. Evangelium stellen. Das Gemeinsame von Glaubensakt
und sakramentalem Akt ist ihre „Christusbezogenheit". Der
Unterschied liegt nach dem Vf. darin, daß der Glaube „der vorbereitende
Akt ist, im Sinne einer unerläßlichen Bedingung, auf
die dann Gott mit seinem Handeln antwortet" (S. 13 8). Der Vf.
glaubt das Verhältnis von Glaube und Sakrament im 4. Evangelium
folgendermaßen bestimmen zu können: „Ohne Glaube an
Christus keine reale Geist- und Lebensmitteilung an den Menschen
im Sakrament; das Sakrament andrerseits ist die großartige
göttliche Beglaubigung des menschlichen Glaubens" (S. 139).
Im Glaubensakt handele der Mensch, indem er sich frei für Gott
entscheidet, im sakramentalen Akt dagegen handele Gott, indem
er als Antwort auf den Glauben des Menschen ihm als freies
Geschenk die Qiüiq gewährt. Da beide Akte für die Mitteilung
des Lebens unerläßlich sind, könne an beide in gleicher Weise
die Lebensverheißung geknüpft sein. Aber das ist eine Systematisierung
, die dem Tatbestand nicht ganz gerecht wird, denn es
finden sich doch eine Reihe von Aussagen im Joh.-Ev., in denen
die Gabe des ewigen Lebens dem Glauben zugesprochen wird,
ohne daß von den Sakramenten die Rede ist. Die Auskunft, die
der Vf. gibt, genügt m. E. nicht. Hier müßten noch gründlichere
Betrachtungen angestellt werden, die tiefer in die Frage nach dem
Verhältnis von Glaube und Sakrament im 4. Evangelium eindringen
. Auch was der Vf. über den Glauben sagt, trifft nicht den
ganzen Sachverhalt. Denn der Glaube ist im Joh.-Ev. nicht nur
die freie Entscheidung des Menschen, sondern auch die souveräne
Entscheidung Gottes im Sinne der göttlichen Vorherbestimmung.
Dieser für den johanneischen Glaubensbegriff wesentliche Gedanke
wird vom Vf. nur kurz angedeutet (S. 139), ohne daß aus
ihm die doch sehr .weitreichenden Folgerungen gezogen werden.

Aufs Ganze gesehen zeichnet sich die Arbeit von M. durch
die Klarheit des Stils, die Prägnanz der Formulierungen, die
scharfsinnige Exegese und die theologisch wohl begründete Abgrenzung
des johanneischen Lebensbegriffs gegen den gnostischen
Lebensmythus aus. Der Vf. hat die Aufgabe, die er sich gestellt
hat, so gelöst, daß ein umfassendes und eindrucksvolles Bild von
den Aussagen des 4. Evangeliums über die fcor; entsteht. Besonders
gut ist der Abschnitt über die sakramentalen Lebensgaben
des Christus und die johanneische „Lebensmystik". Die
Erklärung von Joh. 6, 51—58 gehört zu den besten Leistungen
des Vf., wie er überhaupt die Gabe hat, die entscheidenden Gedanken
des Textes so präzis herauszustellen, daß die Tiefe der
johanneischen Christusanschauung voll erkennbar wird. Nur eins
scheint mir problematisch zu sein: ob vdcoQ fcöv, wie der Vf.
meint, im Joh.-Ev. durchweg bildhafter Ausdruck für das Pneuma
ist. Das trifft wohl für Joh. 7, 38. 39 zu, aber nicht für Joh. 4, 10,
wo doch offenbar der Christus selber das lebendige Wasser ist.
Wie er das Brot des Lebens ist, so ist er auch das Wasser des Lebens
. Indem er Brot und Wasser spendet, spendet er sich selbst
als die Heilsgabe des Lebens denen, die an ihn glauben.

Die Arbeit von M. ist die zur Zeit beste Untersuchung über
den Begriff £a>rj im Joh.-Ev.

Berlin Johannes Schneider

Gibb, Helmut O.: „Torheit" und „Rätsel" im Neuen Testament.

Der antinomische Strukturcharakter der neutestamentlidien Botschaft.
Stuttgart: Kohlhammer 1941. VIII, 104 S. gr. 8° = Beiträge z. Wissenschaft
vom Alten und Neuen Testament, hrsg. von A.Alt und
G. Kittel, 4. Folge, H. 28.

Die Untersuchung des Verf. und meine Artikel moros und nepios
im ThWb sind gleichzeitig 1941 erschienen und daher ohne Einfluß aur-
einander geblieben. Der Materialsammlung des ThWb steht hier die
theologische Untersuchung gegenüber. Verf. setzt bei Paulus ein und
versteht den Begriff der Torheit daher aus der Polemik gegen Paulus,
der „jene negative Anschuldigung eigentümlich ins Positive kehrt .
Was Widervernünftig ist in den Augen der Christusfeinde, wird fuf
den Apostel zum Übervernünftigen. Gottes Tun bleibt ein Paradoxon,
ein Rätsel auch für den Frommen. Das gilt schon im Alten Testament.
Es war nicht leicht, sich dazu in einer Welt der Weisen und der Vollkommenen
zu bekennen, und Paulus steht hier wohl auf dem Boden
der durch Jesus vollzogenen Umwertung aller Werte und der als Gottes
Gericht zu deutenden VerStockung gegenüber dem Rätsel, der Gieichnis-
rede, dem geheimnisvollen Wesen des Gottesreiches, ja der Person Jesu
selbst. Mit all dem ist die Christusbotschaft als antinomisch gekennzeichnet
. Das gilt sowohl in dem Sinne von l.Kor. 4, 8 ff. und 2. Kor.
11, 19, aber doch auch so, daß Paulus sich selbst auf der Seite der Weis'
heit und Erkenntnis Gottes sieht, daß er sich seiner geistlichen Erfahrungen
rühmt und daß er umgekehrt den Erkenntnisstand der Gemeinde
abwertet und so auch den eschatologisdien Begriff des nepios im ne-
gativen Sinne, also normal, uneschatologisch verwendet. Von daher
ließe sich wohl auch der Widerstreit des erlösten und des uncrlösten
Menschen in Paulus selbst (Rom. 7) neu verstehen. Aber wenn auch
die hier angedeuteten Linien in der Untersuchung nicht voll ausgezogen
werden konnten, der Verf. hat jedenfalls die neutestamentliche Theologie
einheitlich von ihrem Mittelpunkt her, d. h. als Wort vom Kreuz
zu begreifen unternommen. Das Christusereignis selbst ist dialektische
Wirklichkeit und die Struktur des gesamten neutestamentlidien Denkens
ist daher antinomisch. Ist das nur ein anderer Ausdruck dafür, daß sich
die Offenbarung des persönlichen Gottes der Bibel nicht rational erfassen
läßt? Auch Torheit und Rätsel sind letztlich intellektualistische
Begriffe, die dem Neuen Testament insofern nicht angemessen sind, als
es Glaubensgewißheit vermittelt. Die Antinomie der neutestament-
lichen Geschichte ist ja die Wirklichkeit von Kreuz und Erhöhung. Sie
kommt schon im Wirken Jesu zum Ausdruck in der Spannung zwischen
dem bevollmächtigten Gottessohn und dem ohnmächtigen Menschen in
ihm. Den christologischen Antinomien entsprechen die kosmologische
und die anthropologisch-ethische, die Spannung zwischen Indikativ und
Imperativ. Aber bei Paulus und im Neuen Testament steht der Torheit
doch eigentlich nicht eine neue Weisheit, die als Struktur des neutestamentlidien
Denkens erfaßt werden könnte gegenüber, sondern die Kraft
der Auferstehung, die im Gläubigen wirksam wird als eine Erfahrung
im Hier und Jetzt und sich doch als ein Geschenk auf Hoffnung hin
erweist, denn es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. So
bleibt jenseits aller Antinomien die in dieser Offenbarung uns ge'
schenkte Glaubensgewißheit, die allerdings keine vom Menschen her ergreifbare
und ihm zu Gebote stehende Sicherheit v/erden kann und darf-
Gießen Oeorg Bertram

Moschner, Franz M.: Das Himmelreich in Gleichnissen. Betrachtungen
zu neutestamentlidien Texten. Freiburg: Herder [1953]. XIII'
348 S. 8°. Lw. DM 12.50.

Diese Auslegung der Gleichnisse Jesu (und einiger anderer
Stücke) ist allen denjenigen zur informatorischen Lektüre dringend
zu empfehlen, welche methodisch über die einst von Adolf
Jülicher abgesteckten Grenzen („Die Gleichnisse Jesu", 2. Aufl.
Tübingen 1910) hinüberspringen wollen oder schon drüben sind.
Sie werden bei Moschner ein Zweifaches antreffen: a.) die Herausarbeitung
des Tertium comparationis, b.) das Wagnis, „über
das buchstäblich Gegebene weit hinauszugreifen und von ihm
her anderes und Tieferes zu sichten und auszusagen" (S. XI). Und
sie werden finden: Wo Moschner die Bildhälfte eines Gleichnisses
auf das Tertium comparationis hin untersucht, da steht er
auf festem Boden, da kann man mit ihm reden, auch wenn unsereiner
ein anderes Tertium bevorzugt; aber wo Moschner „anderes
und Tieferes sichtet und aussagt", da führt er die Nebenzüge
der Bildhälfte spekulativ so aus, daß meist geradewegs die
römisch-katholische Kirche erreicht wird. Und das ist es nun:
Warum sollte er nicht so vorgehen? Wenn er nun einmal des
Glaubens lebt, die römisch-katholische Kirche sei das in den
Gleichnissen verkündete „Reich Gottes" auf Erden? (Sein in der
„Einleitung" ausgesprochener Vorbehalt: „Die Kirche ist nicht
die Kirche und das Himmelreich ist nicht der Himmel" wird