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Ausgabe:

1955 Nr. 1

Spalte:

44-48

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Joest, Wilfried

Titel/Untertitel:

Gesetz und Freiheit 1955

Rezensent:

Althaus, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 1

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delt sich, wie R. schreibt, „um ein ungeheuer schwaches und feines
geistiges Vermögen", um „Blitze eines außersinnlichen Wahrnehmungsvermögens
", die es in den Laboratoriumsversuchen ein-
zufangen gelte. Das neue, uns jetzt zur Besprechung vorliegende
Buch verharrt zunächst bei dem früheren Problem der außersinnlichen
Wahrnehmung. Neu ist die Feststellung, daß durch die Versuche
mehr die Tatsache des Hellsehens als die der Telepathie
bewiesen wurde, daß beide Vermögen sich aber so sehr ähneln,
daß sie als verschiedene Offenbarungen der einen außersinnlichen
Wahrnehmung angesprochen werden müssen (76). Das neue
Buch ist weltanschaulich stärker interessiert als das frühere und
möchte einen Beitrag zur Anthropologie geben, — ein begreiflicher
Wunsch, mit dem Rh. aber wohl noch besser eine Weile zurückgehalten
hätte. In philosophische Beleuchtung werden einige Ergebnisse
gerückt, — voran die, daß die außersinnliche Wahrnehmung
unabhängig vom Raum ist, wie Experimente über Entfernungen
von 1000 und mehr Kilometer hinweg bewiesen. „Daher
muß man einräumen, daß die außersinnliche Wahrnehmung die
Gesetze der Physik hinsichtlich des Raumes durchbricht" (96).
Aber auch die Schranken der Zeit dürften überwunden sein. Es
wurden Kartenversuche unternommen, welche die Vorschau bewiesen
, — Aussagen heute galten der Kartenfolge im morgen
oder übermorgen gemischten Spiel! Es wird allerdings gesagt, daß
dieser Teil der Forschung noch in den ersten Anfängen steckt
(116). Die Konsequenz eines starren Determinismus wird erwogen
, aber seine nähere philosophische Diskussion der Zukunft
vorbehalten. Als möglich gilt, daß die Vorschau die Telepathie
erklärt, weil diese aus jener hervorgehen könnte, womit sie und
das ihr verschwisterte Hellsehen aus der Reihe der LIrphänomenc
im Sinne Drieschs ausschieden. — Das eigentlich Neue an dem
zweiten Buch ist der Bericht über Versuche zur Psychokinese,
die wieder durch ihre Einfachheit verblüffen. In vielen hunderten
von Reihenversuchen sind Würfel geworfen, erst aus einem Becher
, dann aus einer mechanisch betriebenen Schleuder, mit der
Frage, ob geistige Einwirkungen von Versuchspersonen auf den
Fall der Würfel zu konstatieren sind. „Von Anfang an neigten
die Ergebnisse der Psychokinese-Experimente dazu, über .Zufall'
zu liegen" (146). „Was Psychokinese auch sein mag: sie übt auf
die Materie eine statistisch meßbare Wirkung aus" (159). Hier
erst recht steht die Forschung am Anfang. Zur Frage der Ur-
phänomene lesen wir: „außersinnliche Wahrnehmung und Psychokinese
bilden eine Art Einheit und sind wahrscheinlich verschiedene
Manifestationen desselben Grundvorganges" (190).
Auf die Frage, ob die übersinnliche Fähigkeit andern uns vertrauten
seelischen Vermögen verwandt sei, wird die Antwort gegeben
, daß sie in der Nähe der schöpferischen Funktionen liege,
z. B. der künstlerischen Intuition und der Fähigkeit, Probleme
zu lösen. Allerdings handelt es sich um „eine unglaublich flüchtige
Fähigkeit" (262), die darum meist spontan auftritt und sich
der geregelten Erfassung entzieht, über die der Mensch im allgemeinen
auch keine subjektive Gewißheit erlangt, wenngleich
seltene Fälle ihres Auftretens berichtet werden können (277).
In den Schlußbetrachtungen wird auch die Frage des Verhältnisses
von Parapsychologie und Religion berührt, — leider in einer u. E.
unzureidienden Weise, welche die Tiefen der Problematik noch
nicht ahnen läßt. Da es in dieser Anzeige nicht um die Randfragen
, sondern um die exakten Ergebnisse der neuen Forschungen
geht, werden wir auf den Dissensus nicht eingehen.

Es ist jetzt gefordert, auf den reichen Beitrag von Hans
Bender („Zur Entwicklung der Parapsychologie von 1930—
1950") hinzuweisen, den er der „Parapsychologie" von Driesch
angefügt hat. Hier findet die Arbeit der Amerikaner ihre volle
Würdigung, damit aber wird Dr. in der Frage der Urphänomene
berichtigt, — man wird nur noch e i n Urphänomen annehmen
dürfen, das man „Psi-Aktivität" nennen will. Im übrigen weiß
Bender über weitere interessante Fortschritte der Tatsachenforschung
zu berichten, allerdings ohne daß wir uns über die Ergebnisse
der Amerikaner hinausgeführt sähen. Fragt man nach
dem Schicksal der abschließenden philosophischen Theoriebildung
bei Dr., so lautet die Antwort: Die These vom Seelenfeld setzt
sich durch, aber die spiritistische Möglichkeit fällt im Kurs. „Ich
glaube, daß auch Dr. heute die Akzente bei der Bewertung des
mediumistischen Materials anders legen würde" (175). „Ich halte

einen strengen Beweis der spiritistischen Hypothese methodisch
für ausgeschlossen" (176). Einig sind sich Bender und Rhine in
der Überzeugung, daß die Erweiterung der Tatsachenforschung
wie der Theoriebildung zur tödlichen Bedrohung des theoretischen
Materialismus führen wird.

Endlich zu Rudolf T i s c h n e rl Sein früheres Buch über
Telepathie und Hellsehen (2. Aufl. 1921) hat es zu Ansehen gebracht
. Das hier zu besprechende Werk geht auf die 2. Aufl. der
„Einführung in den Okkultismus und Spiritismus" (1923) zurück.
U. E. hätte sich die Beibehaltung des alten Titels empfohlen.
Entsprechend dem früheren Werk werden die Einzelphänomene
an Hand von Beispielen — experimenteller und spontaner — vorgeführt
und an ihnen die Theoriebildung aufgewiesen. Insofern
ist das Buch deutlich als Einführung charakterisiert. Alles ist an
einer hieb- und stichfesten Auswahl des Tatsachenmaterials gelegen
. Nach unserm Eindruck sind die ersten Teile des Buches in
dieser Hinsicht gut beraten; bei der Erörterung von Telepathie,
Hellsehen, Psychometrie werden wir auf gute ältere und jüngere
Experimente gewiesen, durch welche die Problemlage gut beleuchtet
wird. Je weiter das Buch aber fortschreitet, umso mehr
werden die Spontanfälle als Beweismittel herangezogen, so bei
der Erörterung der spiritistischen Probleme. Wollte T. nicht hinter
die Situation von 1932 zurückfallen und gesicherte Ergebnisse
vorführen, so mußte der Sicherungskatalog Drieschs stärker
beachtet werden. Was in einer „Einführung" gute Dienste tun
kann, ist für eine Darstellung der „Ergebnisse" heute nicht ausreichend
, weswegen sich die Zurückhaltung der andern Forscher
in den Fragen des Spiritismus erklärt. Das Verhältnis von gesichertem
Experiment und Spontanerlebnis ist noch eine offene
Frage, die anzugreifen die Vorsichtigen offensichtlich scheuen und
die Teile der Tischnerschen Darstellung noch belastet. Der Charakter
der Einführung tritt noch mehr als in der Darstellung der
Phänomene in den kurzen Ausführungen zur Theoriebildung
hervor, die ein tieferes Eindringen in das naturwissenschaftliche
und philosophische Forschen der Zeit nicht offenbart. Gelegentlich
möchte man ob einiger Naivitäten erschrecken. So findet sich
bei der Erörterung der „Apporte" (= unerklärliche Herbeischaffung
von Gegenständen) folgender Satz: „Wie die neuere Atomforschung
gezeigt hat, sind die Zwischenräume zwischen den einzelnen
Atomen im Vergleich zur Materie der Atome selbst sehr
groß; Raum wäre also genug da, so daß man etwas derartiges
nicht als grundsätzlich unmöglich bezeichnen kann" (156). Abgesehen
von solchen mißratenen oder nicht ausreichenden philosophischen
und naturwissenschaftlichen Begründungen ist das
Buch eine brauchbare erste Einführung.

Rustock O. Holtz

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

J o e s t, Wilfried: Gesetz und Freiheit. Das Problem des Tcrtius usus
legis bei Luther und die neutestarnentlidie Parainese. Göttingen;
Vandenhoeck & Ruprecht 1951. 242 S. gr. 8°. DM 18.50.

Dieses Buch, das sich längst hohe Anerkennung in der theologischen
Welt über die Grenzen Deutschlands hinaus erworben
hat, will „einer erneuten Besinnung auf das Verhältnis von Gesetz
und Evangelium dienen". Es scheint mir nach der Diskussion der
letzten Jahrzehnte ein weithin abschließendes, befreiendes Wort
zu sein. Der Verf. geht von den Fragestellungen der gegenwärtigen
theologischen Auseinandersetzung aus, will aber die Besinnung
auf Gesetz und Evangelium nicht umfasssnd durchführen,
sondern nur für einen Ausschnitt, nämlich für das Verhältnis von
Gesetz und Evangelium „im Räume der Parainese", der Mahnung
und Wegweisung, die dem Christen im Namen des Evangeliums
gegeben wird. Die Frage ist, ob das Gesetz in dieser christlichen
Parainese noch einen Platz hat, also ob es einen tcrtius usus legis
gibt. Joest behandelt dieses Problem nun nicht unmittelbar systematisch
, sondern in der Weise, daß er erstlich Luthers Stellung
zu klären sucht und zweitens seine Lehre an diesem Punkte
mit dem Neuen Testamente konfrontiert, mit den neu-
testamentlichen Aussagen von Gesetz und Evangelium, vor allem
mit der Gestalt der neutestamentlichen Parainese. Schon diese