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Ausgabe:

1955 Nr. 11

Spalte:

618-621

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Lemper, Ernst-Heinz

Titel/Untertitel:

Die Thomaskirche zu Leipzig 1955

Rezensent:

Ladendorf, H.

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 11

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Paulus" orientiert, so daß seine Auswahl gerechterweise nicht als
Erleichterung, sondern als Konzentration verstanden werden muß.

Im I. Teil — „Ein Herr" (S. 18—41) — rekonstruiert H. zunächst
aus den Petrusreden der Acta und vorpaulinischen Stellen
der Paulusbriefe das urchristliche Kerygma und zeigt dann, wie dieses
die Basis der vier Evangelien und der Christologie der Briefe
ist. Es folgt der Nachweis, „daß eine im wesentlichen einheitliche
Christologie sich durch das ganze NT hinzieht" (S. 31), dergestalt,
daß alle nt.lichen Schriften an der wahren Menschheit Jesu festhalten
, ihn aber zugleich der „göttlichen Seite" zuweisen, wie es,
auf die kürzeste Formel gebracht, in dem Bekenntnis Kyrios Jesus
geschieht.

H. zeigt hier Verständnis für Differenzen und Nuancen und
macht manche gute Beobachtungen und treffende Bemerkungen.
Aber es treten auch empfindliche methodische Mängel zutage,
die auch für die Sache ihre Folgen haben: H. unterscheidet nicht
zwischen palästinischer und hellenistischer Gemeinde, identifiziert
die Aussagen der Petrusreden unkritisch mit den Anschauungen
der „Urkirche", verzichtet auf eine inhaltliche Bestimmung
der einzelnen christologischen Titel und auf die Herausarbeitung
der in ihnen vollzogenen Kritik an ihrem ursprünglichen Sinn
(wodurch sich schon ein starkes „zentripetales" Moment ergeben
hätte) und behandelt das Wie der Verbindung von Menschheit
und Gottheit in Christus stillschweigend als irrelevant. Mit der
Behauptung, daß die Unterschiede in der Christologie nur Differenzen
der Denkformen und Sprechweise seien, ist die Einheit
der Christologie nicht erwiesen.

Im II. Teil „Eine Kirche" (S. 42—66) geht der Verf. von
der These aus, die er als schlüssig bewiesen ansieht, daß Jesus
eine Kirche habe gründen wollen (die Gottesherrschaft setze ein
Gottesvolk, Jesu Vorstellung von seiner Messianität eine neue
Gemeinschaft voraus; der Zwölferkreis sei der Kern des neuen
Gottesvolkes, mit dem Jesus beim Abendmahl einen Neuen
Bund schließe). — Diese These beruht auf der Überzeugung von
der Echtheit so gut wie aller Herrenworte und von dem Bewußtsein
Jesu, der Gottesknecht und Menschensohn zu sein, auf Voraussetzungen
also, die keineswegs allgemein anerkannt sind,
über die zu diskutieren hier aber aus Raumgründen nicht möglich
ist.

Dann zeichnet H. eindrucksvoll und m. E. richtig das Kirchenverständnis
des Urchristentums (die Kirche das eine, wahre
Gottesvolk; geeint durch das gemeinsame Bekenntnis; die Gemeinschaft
des Hl. Geistes; ihre Aufgabe die Heilssendung). Er
betont mit Recht, daß die Einheit der Kirche nicht auf dem Zusammenschluß
selbständiger Einzelgemeinden, sondern in ihrem
Wesen beruht. Man vermißt ein Eingehen auf den paulinischen
Begriff des Leibes Christi.

Am meisten befriedigt die Darstellung der Soteriologie
(III. „Ein Heil" S. 67—96). H. weist zuerst den Consensus zwischen
Jesus und Paulus in der Beurteilung der Situation des Menschen
vor Gott nach. Dann zeigt er, wie die nt.lichen Schriften
in vier Punkten bei der Darstellung des Heilswerkes übereinstimmen
: in seiner Begründung in Gottes Willen; in seinem Zusammenhang
mit der Sünde; in seinem Stellvertretungs- und
Opfercharakter; in seinem Zweck, der Wiederherstellung der
Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch. — Freilich bleibt auch
dieser Abschnitt im Deskriptiven und Schematischen stecken,
statt zu einer wirklichen Interpretation vorzudringen; man hätte
auch hier die „zentripetalen" Tendenzen noch stärker zur Geltung
bringen können.

Aufs Ganze gesehen wird man urteilen müssen, daß die angestrebte
Synthese nicht überzeugend gelungen ist. Statistik und
Deskription können diese Aufgabe nicht erfüllen. Viele Probleme
, die ad vocem Einheit des NTs in Deutschland heiß umstritten
sind, werden von H. gar nicht berührt. Viele seiner Voraussetzungen
sind noch sehr ungesichert. Von dem eingangs als
Basis der Einheit eingeführten Gedanken der Heilsgeschichte
macht der Verf. — zum Nutzen oder Schaden seiner Arbeit, sei
dahingestellt — keinen Gebrauch. Doch wird man über diesen
Mängeln sowie über dem gelegentlichen Abgleiten ins erbaulich
Homiletische und ins treuherzig Volkstümliche nicht übersehen

dürfen, daß Hunter einem wirklichen Notstand der nt.lichen
Wissenschaft abzuhelfen sucht, einem Notstand, den freilich niemand
stärker empfindet als die getadelten „Analytiker", und
dessen Beseitigung energisch anzustreben, das besprochene Buch
auffordert.

Bonn p. Vielhauer

Mußner, Franz, Dr.: ZQH. Die Anschauung vom „Leben" im vierten
Evangelium unter Berücksichtigung der Johannesbriefe. Ein Beitrag
zur biblischen Theologie. München: Zink 1952. XV, 190 S. gr. 8°
= Münchener Theologische Studien. I. Hist. Abt. 5. Bd. DM 16.—.

Die Untersuchung von M. ist dadurch gekennzeichnet, daß
sie das Thema in den Gesamtrahmen der johanneischen Theologie
hineinstellt, daß sie die christologische Grundlage des johanneischen
Lebensbegriffes scharf herausarbeitet und daß sie in eine
fortlaufende Auseinandersetzung mit dem gnostischen Lebensmythus
eintritt. Nach einer religionsgeschichtlichen Orientierung
über den Lebensbegriff im AT und im Spätjudentum außerhalb
der Bibel, die griechische Metamorphose des jüdischen Lebensbegriffes
bei Philo und den gnostischen Lebensmythus werden in
dem Hauptteil Begriff und Anschauung vom Leben bei Johannes
in einer umfassenden, auf sorgfältiger Exegese beruhenden Studie
dargestellt. Der Vf. geht nach einer eingehenden Feststellung der
johanneischen „Lebens-Terminologie" dazu über, die dualistische
Konzeption der johanneischen Anschauung vom Leben aufzuzeigen
. Er stellt der Todeswelt des Kosmos die Lebenswelt Gottes
und das Lebenswerk des Sohnes gegenüber und schließt mit einem
Kapitel über Inhalt und Wesen der £ior.

Christus ist der lebenvermittelnde Logos. Seine Inkarnation
bedeutet das Erscheinen des Lebens im Todeskosmos. Die Gabe
des ewigen Lebens ist an den Christusglauben gebunden. Aus der
Hingabe Jesu in den Tod entsteht Leben für die Welt. Die sakramentalen
Lebensgaben des Christus sind das in der Geisttaufe
verliehene göttliche Lebensprinzip des Pneuma und die im Herrenmahl
dargebotene Lebensspeise, die zugleich das Unterpfand
der eschatologischen Auferweckung von den Toten ist.

Der Vf. betont, daß für das johanneische Verständnis entscheidend
die Gegenwärtigkeit der t,oorj im Gläubigen ist, die
Gemeinschaft mit dem verherrlichten Christus. Das Wesensgesetz
der „Lebensmystik" ist die äydjir]. Wie Ceo»? und uyamt], so
stehen auch £eo/? und yvmaig und Ceorf und (pdog in enger Beziehung
zueinander.

Von aktueller Bedeutung ist die Auseinandersetzung des Vf.
mit den Versuchen, den johanneischen Begriff vom Leben aus dem
gnostischen Lebensmythus herzuleiten. Mit überzeugenden Argumenten
weist der Vf. nach, daß die johanneische Anschauung
vom Leben sich so stark von der gnostischen Auffassung unterscheidet
, daß es unmöglich ist, das Joh.-Ev. gnostisch zu interpretieren
. Er macht mit Recht geltend, daß der gnostische Erlöser
den Menschen das Leben nicht als Heilsgabe bringt, sondern daß
er nur die Aufgabe hat, die abgespaltenen Lebensfunken wieder
in den transzendenten, himmlischen Lebenszusammenhang zurückzuführen
, indem er sie vom kosmischen Zwange befreit. Die
Frage, ob im Lebensbegriff des 4. Evangeliums „die transzendentale
Gestalt des gnostischen Mythus" zum Vorschein komme,
wird demgemäß verneint, obwohl manche formale und terminologische
Berührungen zwischen Joh. und der Gnosis zugegeben
werden. „Joh. ist die legitime Weiterführung und Vollendung der
jüdisch-synoptisch-paulinischen Tradition" (S. 186).

Entscheidend ist für den Vf. der Gedanke, daß die johanneische
Anschauung von der Gegenwärtigkeit der £mr) atwvios
im Gläubigen eine Folge der johanneischen Christologie ist. Das
eschatologische Heil ist im vvv des Christusgeschehens gegenwärtig
. Die „Lebensmystik" findet ihren Ausdruck in einer Fülle
von Bildern und Formeln, die der Vf. im einzelnen genau untersucht
. Christus bleibt auch in dieser „Lebensmystik" das Mittlerwesen
. Die Dauerhaftigkeit der Lebensgemeinschaft mit Christus
ist abhängig von der sittlichen Bewährung.

Obwohl der Schwerpunkt der johanneischen Lebenstheologie
auf der Gegenwärtigkeit der t,u>r im Gläubigen liegt, finden