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Ausgabe:

1955 Nr. 11

Spalte:

607

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gutzwiller, Richard

Titel/Untertitel:

Meditationen über Lukas. I. und II. Bd. 1955

Rezensent:

Rendtorff, Heinrich

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Seite 1

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647 Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 11 648

tet nicht einmal das. Ananias gibt bloß die Anweisung des Herrn
weiter, „sich zu taufen und abzuwaschen", wo ist da ein Apostelamt
Öi äv&Qilmov-

Nehmen wir an, Paulus sei 3 Jahre nach Jesu Tod und Auferstehung
bekehrt worden — so behauptet unsere Tradition: er
wurde, wie alle anderen, durch Taufe in die christliche Gemeinde
aufgenommen. Wenn das auf Weisung des erhöhten Herrn geschieht
, erscheint die Annahme einer Nazoräergruppe ohne Taufe,
mit bloßer Abendmahlsfeier wenig wahrscheinlich (cf. Apg. 2 u.
22). Wie sollte Petrus in der ersten öffentlichen Predigt so energisch
zur Taufe auffordern, wie könnte er bei der Taufe des
Cornelius Bedenken tragen oder in seinem Rechenschaftsbericht
vor der Gemeinde sie zerstreuen (11, 16-18), wenn die Taufe noch
nicht Ritus der Aufnahme war? Ganz gleich, wie man sie sich
vollzogen denkt?

Die Tatsache, daß Paulus sie meist durch seine Mitarbeiter
vollziehen ließ und selbst wenig taufte (1. Kor. 1, 16f.), spricht

nicht gegen ihre Notwendigkeit. Fragt man — wie Lohmeyer —
woher es kam, daß die Taufe so selbstverständlich war, obwohl
die ersten Apostel sie offensichtlich aneinander nicht vollzogen,
so muß man annehmen, daß sie wie ihr Herr zu Lebzeiten die Johannestaufe
empfangen hatten (Joh. 1, 35 ff. Apg. 1, 22), daß Jesus
den Geist Gottes mit der Wassertaufe (Mk. 1, 10 f.), seine Jünger
ihn vom Auferstandenen nachträglich (Mk. 1, 8 und Apg. 1, 8)
empfingen (vgl. Joh. 20, 21—23. Apg. 2), mögen die Berichte über
Ort, Zeit und Art des Empfanges auch auseinandergehen. Da Paulus
als t'xTQü)/ua nicht zu den ersten Aposteln gehörte, mußte er
wie jeder hinzukommende Christ getauft werden, um den Geist
zu empfangen. Die Tradition weiß, daß das in Damaskus durch
Ananias geschah. Wir haben keinen Grund, sie als Legende zu
verwerfen, zumal Paulus später Johannesjünger durch Taufe auf
den Namen des Herrn Jesu in die Gemeinde aufnimmt und ihnen
durch Handauflegen den Geist vermittelt, wie er ihn durch Ananias
empfangen hatte (Apg. 19, 1—7; vgl. 19, 6 mit 9, 17).

Zum synoptischen Problem

Ein Bericht über die Theorien Leon Vaganays

Von P. V i e 1 h a u e r, Bonn

Nach Auffassung Leon Vaganays' (Professor an der theologischen
Fakultät Lyon) ist die synoptische Frage seit 50 Jahren
auf einem toten Punkt angelangt. Schuld daran ist die Zwei-
Quellen-Theorie. Denn sie vermag das rätselhafte Ineinander von
Verwandtschaft und Verschiedenheit nicht zu erklären, und die
Versuche Streeters und Bußmanns haben nur die Komplexität des
Problems deutlich gemacht. Die Kritik der Gegner der Zwei-
Quellen-Theorie bleibt im Negativen stecken, und das Aufteilen
des Stoffes auf Mk und Q bei ihren Anhängern ist ,,un procede
enfantin" (444). ,,I1 faut bien avouer que l'hypothese des deux
sources n'a jamais eu bonne presse chez les exegetes catholiques.
Et pour cause. Iis voyaient clairement les consequences du Systeme
pröne par la critique liberale, oü tous les elements synoptiques
sont expliques, non par Matthieu arameen et les logia: l'authen-
ticite du premier evangile devenait inutile, voire impossible"
(121). Diesen Mängeln gegenüber versucht V., mit einer der Komplexität
des Problems entsprechenden komplizierten „Arbeitshypothese
" die synoptische Frage zu lösen und die Echtheit des
Matthäusevangeliums zu retten.

Normativ für die ganze Arbeit ist zweierlei: einmal die unbedingte
Geltung der kirchlichen Tradition über die Evangelien
und ihre Verfasser, also bes. der Papiasnotizen (passim) und dann
das Dekret der päpstlichen Bibelkommission vom 26. VI. 1912,
das sich allerdings einer elastischen Auslegung fähig erweist (27ff.).
Grundlegend für V.s Analyse und Hypothese ist seine dreifache
Klassifikation der synoptischen Perikopen (315ff.): 1. „La triple
tradition" umfaßt die parallelen Perikopen von Mt-Mk-Lk, die
jetzt oder in der gemeinsamen Quelle demselben Kontext angehören
bzw. angehörten; diese dreifache Tradition kann auch da
vorliegen, wo sie nur durch zwei oder einen Evglisten bezeugt ist,
wenn man nur die Auslassung begründen und rechtfertigen kann;
2. „La double tradition" umfaßt die nur Mt und Lk gemeinsamen
parallelen Perikopen, aber allein die, die sich nie im gleichen Kontext
finden, und deren Auslassung durch Mk nicht zu begründen
ist; 3. das Sondergut des jeweiligen Evglisten. — Man wird die
Berechtigung, die beiden ersten Klassen so zu definieren, nicht
von vornherein bestreiten können, muß aber die Richtigkeit der
Anwendung, also bes. der behaupteten Auslassungen, in jedem
einzelnen Falle nachprüfen; jedenfalls hat der Vf. mit seiner Definition
der triple und double tradition zwei sehr handliche Größen
zur Verfügung, mit denen er bei der Destruktion der Zwei-
Quellen-Theorie und bei seiner eigenen Quellenscheidung ebenso
geschickt wie ausgiebig operiert.

V.s These ist, daß sich die jetzige Gestalt der Synoptiker in
folgenden 7 „Etappen" gebildet hat: 1. die mündliche Tradition,

') Vaganay, L, Prof.: Le Probleme Synoptique. Une hypo-
these de travail. Preface de L. Cerfaux. Paris: Desclee & Co. [1954].
XXIII, 474 S. gr. 8° = Bibliotheque de Theologie Serie III: Theologie
Biblique Vol. 1. Frs. beiges 200.—.

aramäisch bzw. griechisch; 2. die ersten schriftlichen Evangelienversuche
, aramäisch bzw. griechisch; 3. die erste synoptische
Quelle, das aramäische Evangelium des Apostels Matthäus (M),
das bald ins Griechische übersetzt worden ist (Mg); 4. die zweite,
M ergänzende, synoptische Quelle, eine Sammlung von Herrenworten
, die sich aber stark von Q unterscheidet und deshalb mit
S bezeichnet wird (ihre griechische Übersetzung mit Sg); 5. Markus
; 6. Matthäus; 7. Lukas (in ihrer kanonischen Gestalt). D. h.
also: Für die kanonischen Evangelien anerkennt V. die Priorität
des Mk und seinen Einfluß auf Mt und Lk. Das Besondere in V.s
Konzeption vom Werden der Synoptiker besteht in dreierlei:

1. Alle kanonischen Evangelien gehen auf die verlorene griechische
Übersetzung eines verlorenen aramäischen Urmatthäus zurück;

2. Mt und Lk haben außerdem die verlorene griechische Übersetzung
einer ebenfalls verlorenen aramäischen Quelle von Herrenworten
benutzt; 3. diese beiden Quellen und alle anderen Stoffe
in den Synoptikern gehn fast ausschließlich auf die ersten schriftlichen
Evangelienversuche, nicht auf die mündliche Tradition
zurück.

Nach einem einleitenden Referat über die Geschichte der
Synoptikerforschung widmet V. jeder der 7 Etappen eine ausführliche
Abhandlung; sechs große Exkurse ergänzen und illustrieren
die Thesen an Einzelproblemen. Der Vf. geht nun so vor, daß er
bei jeder Etappe zuerst „la donnee essentielle" zusammenstellt und
prüft, d. h. 1. das Zeugnis der Tradition (critique externe) und 2.
das Zeugnis der Synoptiker selbst (critique interne), und dann
„observations complementaires" anfügt, die keinem bestimmten
Schema unterliegen.

Die mündliche Überlieferung wird nur unter stilkritischem
Gesichtspunkt gewürdigt (der „mündliche Stil" ist erkennbar an
bestimmten stereotypen Zügen der Logien, am schematischen
Charakter der Erzählungen, an den mnemotechnischen Hilfsmitteln
der Redaktion), aber V. mißt ihr keinen Wert für die Lösung des
synoptischen Problems bei. Der Rezensent hält dieses Urteil für
unrichtig. Ungleich größere Bedeutung haben nach V. die schriftlichen
Evangelienversuche der 2. Etappe, die Lk 1, 1 gemeint seien
und die nicht vollständige Evangelien, sondern Fragmente, Sammlungen
von Einzelstücken (wie Mk 2, 1-3, 6) darstellten. — Daß
es solche Sammlungen gegeben hat, scheint mir richtig; die Interpretation
von Lk 1, 1 scheint mir fraglich; doch sei auf eine Kritik
im einzelnen verzichtet.

Die entscheidenden Ausführungen sind die über die 3. Etappe,
die Argumentation für den aramäischen Urmatthäus (51-100). Die
critique externe behandelt die Papiasnotiz (Euseb h. e. III 39, 16),
die andern altkirchlichen Zeugnisse und das Schweigen des Lukas
über Matthäus. Die Papiasnotiz beziehe sich nicht auf eine Sammlung
von Herrenworten durch den Apostel, in der man gelegentlich
Q sehen wollte, sondern auf „les sentences de Jesus, telles qu'elles
etaient groupees dans l'evangile arameen de Matthieu" (54). Die