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Ausgabe:

1955 Nr. 1

Spalte:

40

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Philosophisches Wörterbuch 1955

Rezensent:

Hessen, Johannes

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1955 Nr. 1

40

gischen Konstruktionen" vorzutasten — und, wenn sonst keine
Lösung auftaucht, seine Konstruktion festzuhalten? Natürlich,
sobald Tatsachen sprechen, muß die Konstruktion korrigiert werden
oder fallen — und auch dafür gab Baumstark Beispiele.

Liturgie Comparee ist auf liturgiewissenschaftlichem Felde
das, was auf dem philologischen Gebiet das etymologische Lexikon
ist — und ebenso interessant und angreiferisch. Wie überhaupt
der ganze Baumstark.

Augsburg Leonhard Fendt

Söhn gen, Oskar: Die Wiedergeburt der Kirchenmusik. Wandlungen
und Entscheidungen. Kassel u. Basel: Bärenreiter-Verlag [1953].
164 S. gr. 8°. Kart. DM 8.50.

Daß der Verfasser dieser Rückschau auf eines der sichtbarsten
kirchengeschichtlichen Ereignisse der letzten rund dreißig Jahre
zugleich einer der wichtigsten Akteure bei dieser glückhaften Entwicklung
gewesen ist, berechtigt ihn vollauf, anstelle einer objektiv
geschlossenen Darstellung (wie sie später einmal dieser
• und jener Dissertation oder Habilitationsschrift zum Thema
dienen wird) eine Mischung von Erzählung und autobiographischem
Selbstbericht, von Historie und Abfolge von Reden, Aufsätzen
, Vorreden, Kontroversen zu bieten. Diese lockere Form
gibt dem Ganzen einen starken Strom von Aktualität, von Schlagkraft
, sie läßt den Leser das gnadenreiche Geschehen unter un-
sern eigenen Augen sich nochmals vollziehen, und wir trinken
aus einer frischen Quelle, nehmen gespannt teil an einem dramatischen
Verlauf, der just hier erstmals und noch nicht mit der
Restlosigkeit eines Perfektums zu Geschichte zu werden beginnt.
Daß wir noch keineswegs am Endpunkt dieser Werdensphase angelangt
sind, bedingt und entschuldigt auch, wenn gelegentlich
eine causa nonjam judicata in die Debatte gezogen wird — die
meisten der schöpferisch oder wertend Mitbemühten weilen noch
unter den Lebenden,, und wer weiß, wie das herrliche Abenteuer
der Musica sacra renovata des evangelischen Bekenntnisses weiterwachsen
mag? Söhngen selbst war der Organisator der hauptsächlichsten
Schauen, des Festes der deutschen Kirchenmusik in
Berlin 1937, der Berliner Orgeltage 1942, der Musikdarbietungen
bei dem Berliner Kirchentag 1951, und er ist kraft seines Amtes
auch der Hauptbeweger bei der Kodifikation der Gesetzgebung
für die Kirchenmusiker gewesen — alle Belehrung kommt also
aus erster Hand, man spürt packend die Freude an der eigenen
Arbeit im Weinberg (ohne daß je das Bewußtsein der alles lenkenden
Gnade von drüben her zu kurz käme), und die Authentizität
wird kaum irgendwo durch Subjektivismen getrübt. Das bedeutet
eine große Leistung nicht nur geschichtstechnischer, sondern
auch charakterlicher Art, ein Zurücktreten hinter der Sache,
die für sich allein zeugen soll. So hat man nicht nur für ein Buch,
das fesselnd zu lesen ist, zu danken, sondern auch für eine stets
gleichbleibende Abfolge getreuen Wirkens um eine köstliche
Sache.

Nach so unbedingter Bejahung darf auch die Problematik
des Gegenstandes erörtert werden. Sie beginnt schon auf der ersten
Seite der eigentlichen Darstellung, dort, wo Söhngen 1932
das „musikalisch-ästhetische Problem" des Verhältnisses von
Kirche und zeitgenössischer Kirchenmusik auf das Psalmwort
„Singet dem Herrn ein neues Lied" in dem Sinn gründet, Gott
verlange damit eine Musik neuen Stils; gewiß ließe sich mit
diesem Wort keine altfränkisch gehaltene Kirchenmusik rechtfertigen
— aber ob es (wie ähnlich es auch der vor wenigen Jahren
verstorbene Hans Hoffmann in einem Büchlein über „moderne"
Kirchenmusik verstanden zu haben glaubt) ein Freibrief für eine
extrem novatorische sein soll? Ich habe dies Problem, das heute
das brennendste in diesem Fragenbereich darstellt, in einem
Eckart-Aufsatz wider den Avantgardismus angeschnitten und verneint
; S. druckt diesen samt seiner Entgegnung in vorliegendem
Buch ab, und da ich seine Antwort noch nicht für endgültig
schlüssig hielt, habe ich dazu noch eine Refutatio als Augsburger
Festvortrag gefügt, die in den Hausmitteilungen der Orgelbaufirma
Walcker-Ludwigsburg (August 1954) als „Das evangelische
Kirchenmusikschaffen zwischen Historismus und Avantgardismus"
gedruckt erschienen ist — ich habe den erfreulichen Eindruck, daß
der „fortschrittliche" Extremismus, der statt der Gemeinde die

Musikfestfachpresse anredet, bereits über den gefahrdrohenden
Höhepunkt hinweg ist und Komponisten von Rang hier bereits
einlenken, so daß auch S. und ich in unsern Standpunkten bereits
aufeinander zuwachsen. Es geht dabei auch darum, ob nicht gerade
die Kirchenmusik als eine ihrem Wesen nach notwendig allverständlich
bleiben müssende Kunst hier eine heilsam auch der
weltlichen Tonkunst vorangehende Führungsrolle übernehmen soll
und kann, um die dort so bedenklich auseinanderklaffende Spaltung
zwischen Massenverständnis und rein artistischer Esoterik
zur Rückannäherung zu bringen, Ars und Usus wieder miteinander
zu versöhnen. Gerade wer den Primat der Kirchenmusik vor der
säkularen anstrebt, wird ihr diese vorbildhaftc Haltung freiwilligen
Dienens vor Gott und der Allgemeinheit grundsätzlich
wünschen, ohne daß sie darüber stagnieren darf. Die außerordentliche
geistige Höhe von S.s treffsicheren Ausführungen schon
in jenem Eröffnungskapitel, etwa über das Verhältnis kultischer
Musik zum „Wort", erkennt man schon daraus, daß hier eine
echte Prophezeiung auf die damals großenteils noch nicht geschriebenen
, sehr bald dann aber in größtem Reichtum hervorgetretenen
Motetten von Hugo Distler, Ernst Pepping, Micheelsen,
Chemin-Petit, Fiebig, Eberhard Wenzel usw. vorliegt. Drießler
und W. Burckhardt, Bornefeld und Reda sind die Vertreter äußerster
Wagnisse, ihnen allen geben S.s Darlegungen den ordnenden
Rahmen, die konstcllatorische Zusammenreihung, und es
ist reizvoll zu beobachten, wie all diese Beiträger zum neuen Werden
, genannt oder nicht genannt, auftauchend beitragen. Auch die
Rückschau auf Max Reger und Heinrich Kaminski, die Nachrufe
auf C. Gerhardt und auf Distler vereinen Wärme mit präzisester
Sachvertrautheit, so daß sie Quellenwert dauernd behalten werden
, auch wenn mit wachsendem Zeitabstand die Möglichkeit der
Bewertung durch das „an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen"
an Tiefenperspektive noch plastischer werden sollte. Audi für die
allgemeine Geschichte der Musik in unserer Zeit fällt vieles ab:
von der kühnen Söhngenschen Prägung „eucharistische Tafelmusik
" bis zu den bald ironischen, bald ernsthaft bewundernden
Äußerungen über Hindemith wird man den Verf. als wichtigen
Wahrzeugen einer Entwicklung zitieren mögen, der die Christlichkeit
als Fundament besitzt, aber ebenso scharfe und zarte
Ohren sein eigen nennt, mit deren Hilfe er die deutsche Klangwelt
der Gegenwart auf ihren Tiefengang hin mustert und kennerisch
abzutasten versteht. Wir warten gespannt auf die uns versprochene
Theoloeie der Musik, die ceeenüber Anläufen wie denen
von Rene Wallau und Dedo Müller hoffentlich eine noch
breitere Grundlegung bieten wird.

Berlin Hans Joachim Moser

RELIGIONSPHILOSOPHIE
UND RELIGIONSPSYCHOLOGIE

Brugg er, Walter, S. J.: Philosophisches Wörterbuch. Unter Mitwirkung
der Professoren des Berchmanskollegs in Pullach bei München
und anderer hrsg. 5., neubearb. Aufl. Freiburg: Herder 1953.
XL, 503 S. 8°. Lw. DM 16.-.

Das in dieser Zeitschrift (1951, Nr. 10) bereits besprochene
Werk hat inzwischen eine Neubearbeitung erfahren, bei der die
in früheren Auflagen im Anhang beigegebenen Verbesserungen
und Ergänzungen in den Text hineingearbeitet wurden. Die in
meiner Besprechung gegebenen Hinweise auf Lücken in den Literaturangaben
wurden größtenteils berücksichtigt. Eine Reihe von
neuen Artikeln wurde hinzugefügt, andere erhielten eine Neufassung
. Der philosophische Standpunkt des Werkes ist natürlich
nach wie vor der neuscholastische. Die dadurch bedingte Einseitigkeit
der Problemsicht und Problemstellung wird in Artikeln wie
„Intuition", „Wert", „Gottesbeweise" u.a. besonders offenbar.
Gleichwohl kann man aus dem Werk manches lernen, wenn man
es mit der nötigen Kritik benutzt.

Köln Johannes Hessen