Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1955

Spalte:

577-586

Autor/Hrsg.:

Parijnskij, N.

Titel/Untertitel:

Das orthodoxe Verständnis von der Kirche 1955

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5

Download Scan:

PDF

617

Theologisdie Literaturzeitung 1955 Nr. 10

618

ihnen hineingeraten bin, und daß es nicht meine Hand war, die
mich aus derselben herausgerissen. Das ist mir aber auch klar geworden
in diesen Nöten, daß unsere Zweifel nicht aus dem Kopf,
sondern allein aus dem Herzen kommen" S. 415).

Durch alles, was Bodelschwingh schreibt, klingt immer die
seelsorgerliche Verantwortung hindurch — das
ist vielleicht der stärkste Eindruck dieser in der Thematik so
mannigfachen Zeugnisse. In diesem Zusammenhange steht auch
der ergreifende Bericht „von dem Leben und Sterben vier seliger
Kinder", der hier ergänzt ist durch die mancherlei Trostbriete,
die Bodelschwingh in diesem großen Leid erhielt, von dem er gesagt
hat: Damais habe er erfahren, wie hart Gott sein kann, aber
daran habe er gelernt, wieviel Liebe die Menschen brauchen.

Das Buch ist über seine Bedeutung als zeitgeschichtliches
Dokument hinaus eine Fundgrube pastoraltheologischer Weisheit
und wird sich neben Büchseis Tagebuch eines Landpfarrers, Zündeis
Biumhardt-ßiographie und Traugott Hahns Erinnerungen
seinen Platz bald erobern. Wir warten mit Spannung auf
den 2. Band.

Kaiserswerth R. Fr ick

L a n g e n, August, Prof. Dr.: Der Wortschatz des deutschen Pietismus.

Tübingen: Niemeyer 1954. VII, 526 S. gl. 8°. Kart. DM 45.—.

Als Rez. 1951 sein Wörterbuch „Der christliche Wortschatz
der deutschen Sprache" herausbrachte, sprach er im Vorwort von
den Mängeln, die seiner Arbeit notwendigerweise anhaften müssen
, weil die fachwissenschaftliche Forschung einige umfassende
Beiträge wortgeschichtiicher Art noch nicht geiietert hätte, und
nannte auch den Wortschatz des Pietismus, der noch immer nicht
erforscht war. Diesem Mangel hilft die vorliegende Arbeit des
in Köln lehrenden Germanisten August Langen ab. Ihr Verfasser
hat rund 70 teils mehrbändige Werke aus dem Schrifttum des
Pietismus ausgeschöpft und insgesamt über 5000 Wörter mit
30—40 000 Beiegen ausgezogen. Aus dieser überwältigenden
Stoffsammlung hat er das vorliegende Werk gestaltet. Er hat den
Wortschatz in alphabetischer Ordnung in einem eigenen Verzeichnis
dargeboten (S. 503—526, dreispaltig). Das Werk selber
stellt den Wortschatz dankenswerterweise nach sachlichen Gesichtspunkten
dar: I. Gottes Einwirkung auf die Seele. II. Der
Seele Weg zu Gott. III. Ergänzende Wortgruppen (S. 301—375).

Um ein Beispiel zu geben, seien die Wörter genannt, die im
II. Teil unter dem Stichwort „Das heilige Schweigen" dargeboten werden
: Schweigen — Stillschweigen — Verschwiegenheit — unaussprechlich —
still — Die Stillen im Lande — Stille — stillen — stillmachen — stillliegen
— stillsein — stillhalten — Sabbat — Sabbatstille — Sabbatruhe —
Seelensabbat — Ruhe (des Gemüts oder der Seele) — Seelenruhe —
Gemütsruhe (zusammen 12 Seiten: S. 172—185).

Der Verfasser bietet in der Hauptsache Belege, mit sprachgeschichtlichen
Erläuterungen versehen, wo diese möglich und
dienlich sind.

Das Ziel der Arbeit ist, wie Verfasser im Vorwort sagt,
„die Verbindung von Philologie mit Literatur- und Geistesgeschichte
". Sie möchte ein „Beitrag sein zum historischen Verständnis
der Seelensprache des 18. Jahrhunderts, zur Entwicklungsgeschichte
der psychologischen Terminologie und damit zur
Geistesgeschichte der Epoche überhaupt". Damit ergibt sich, der
Eigenart des Pietismus entsprechend, daß nicht der philosophisch-
spekulative, sondern der „affektische" Wortschatz im Mittelpunkt
steht (andersgerichtete Schriftsteller wurden nicht herangezogen
). Der gelehrte Verfasser, der sich durch eine ausführliche
Darstellung der „Deutschen Sprachgeschichte vom Barock
bis zur Gegenwart" hochverdient gemacht hat („Deutsche Philologie
im Aufriß", Band I 1952, Spalte 1077—1522), weiß, daß
seine Arbeit, wenn sie vollständig angepackt würde, zu einer
„Geschichte der religiösen Sprache in Deutschland" führen würde
(auf eine ähnliche Aufgabe hat auch das eingangs genannte Wörterbuch
des Rez. schon ausdrücklich hingewiesen). Wie das Wörterbuch
des Rez. sprachgeschichtlidie Mängel aufweist, so befriedigt
die vorliegende Darstellung in theologischer Hinsicht nicht
ganz. Das liegt in der Natur der Sache: solche Gegenstände erfordern
eigentlich eine Gemeinschaftsarbeit von theologischen und
philologischen Forschern.

Dann wären solche kleinen Dinge vermieden worden, wie, daß
Oetinger zu den Sektierern geredinet wird (S. 12): er war Prälat der
württ. Landeskirche! oder daß die pietistische Sprache, weil sie die
Ausdrucksweise nicht großer Originalgenies, sondern vieler kleiner
Leute war, als eine „Massensprache" bezeichnet wird (S. 16). Wenn
Verfasser das Gemeinsame herausarbeiten will, was den Pietisten (deren
Zeit er mit Ritsehl ab 1670—1680 rechnet) zu eigen ist, so muß er
stets bedenken: sie sind durch den entscheidenden Akt zu Pietisten
geworden, der auch heute noch den Menschen davor bewahrt, ein Massenmensch
zu werden, durdi persönliche Hinwendung zu Christus, durch
die der Christenmensch nach einem Ausdruck Kierkegaards ein „Einzelner
" wird.

Ein theologischer Mitarbeiter hätte den Verf. darauf aufmerksam
gemacht, daß es nicht angeht, das Wort „mystisch" als
etwas Eindeutiges zu gebrauchen, denn es gibt Identitätsmystik
und personale Mystik. Jener eignet die u n i o m y s t i c a, dieser
die communio mystica — das sind zwei grundlegend
verschiedene Größen. Deshalb ist es nicht richtig, bei Tersteegen
das Stichwort „Unio mystica im Grund" zu gebrauchen (S. 167) —
die theologischen Erklärungen auf S. 162 zu „Grund" befriedigen
nicht, weil sie jene angedeutete Unterscheidung nicht vollziehen.
Auch würde der theologische Mitarbeiter zeigen können, wieso
es nicht sachgemäß ist, zu sagen: „Eine solche Vertiefung fehlt
der Lutherbibel zumeist" (S. 162). Gemeint ist der mystische
Gebrauch des Wortes „Grund". Hier zeigt sich die Schwierigkeit,
wenn man auf rein philologische Weise Sprache deuten will, die
geistlich geprägt ist.

Diese Bemerkungen wollen das zuvor ausgesprochene Lob
nicht schmälern. Sie wollen nur dazu beitragen, daß die Erkenntnis
erwachen möchte: wir bedürfen der Zusammenarbeit der Forscher
beider Fakultäten. Die Aufgabe überfordert nicht nur einen
Einzelnen, sondern kann auch von einer der beiden Fakultäten
unmöglich allein getan werden. Daß der Verf. angesichts dieser
Schwierigkeiten, die er während der Arbeit gewiß selbst empfunden
hat, dennoch diesen Vorstoß gewagt und sein Ergebnis im
vorliegenden Werk veröffentlicht hat, danken ihm alle, denen
die Erforschung des christlichen Wortschatzes der deutschen
Sprache eine gewichtige Aufgabe ist. Eigentlich hätte die evangelische
Theologie eine Untersuchung und Darstellung wie die vorliegende
unternehmen sollen. Hier wartet eine ganze Welt sprachlichen
Lebens darauf, daß sie theo-philologisch erforscht werde.

Künzelsau Friso Melzer

GESCHICHTE DER CHRISTLICHEN KUNST

L e m p e r, Ernst Heinz: Die Thomaskirche zu Leipzig. Die Kirche
Johann Sebastian Bachs als Denkmal deutscher Baukunst. Leipzig:
Koehler Sc Amelang 1954. 239 S. m. 85 Abb. gr. 8° = Forschungen
zur Sächsischen Kunstgeschichte, hrsg. v. E. Hempel, 3. Hlw. DM 13.50.

Um den Nutzen der vorliegenden Veröffentlichung zu würdigen
, muß man sich vergegenwärtigen, daß die Thomaskirche
seit C. Gurlitts Inventar von 1896 keine ausführlichere Darstellung
erfahren hat. Als Baudenkmal im Stadtbild eindrucksvoll,
als spätgotische Hallenkirche von kunstgeschichtlicher Bedeutung,
als Pflegestätte geistlicher Musik von europäischem Rang, hätte
sie eine Monographie schon längst verdient, zumal die Verknüpfung
mit der Geschichte der Stadt und der Universität sowie die
in ihrer Baugestalt sichtbar gebliebene Frage nach ihrer Entstehung
wichtige Ergebnisse versprachen.

Vielleicht sind es die für eine solche Veröffentlichung notwendigen
, vielfältig verschiedenen Erfordernisse archivalischer
Nachsuche, stadtgeschichtlicher Umschau, topographischer Beobachtung
, kunsthistorischer Untersuchungen, zeichnerischer Darstellung
und fotographischer Veranschaulichung gewesen, die die
Bearbeitung so lange verzögert haben. Der Verfasser hat seine
selbstgestellte Aufgabe in geduldigem Fleiß mit einer Umsicht
gelöst, die über die Darstellung der Thomaskirche hinaus wertvolle
Beiträge zu wichtigen, in neuerer Zeit wenig behandelten
Fragen der mitteldeutschen Kunstgeschichte gibt.

Die Gründung des Chorherrenstiftes wird in Auseinander-